Während des Holocaust wurden jüdische Frauen in sieben unterschiedliche Konzentrationslager in ganz Europa verschickt. Ravensbrück war das einzige größere Lager, das speziell für Frauen errichtet wurde. Im Laufe der Jahre wurden hier Gefangene aus 40 Ländern interniert. Darunter waren Mitglieder von Widerstandsbewegungen, Kommunistinnen, Akademikerinnen sowie Sinti und Roma. Jüdische Frauen waren eine Minderheit. Obwohl Widerstand oder Ungehorsam in Ravensbrück – gerade für die Jüdinnen im Lager – undenkbar war, setzten die Frauen trotz der unerträglichen Lebensumstände alles daran, sich im Alltag ein Stück Normalität zu bewahren. Dazu gehörten auch kulturelle Aktivitäten. In den Erinnerungen von Überlebenden stechen zwei Frauen durch ihre Solidarität und ihren geistigen Widerstand gegen die Lebensbedingungen im Lager heraus: Olga Benario-Prestes saß als deutsche Kommunistin ein, die Wienerin Käthe Leichter als Gewerkschafterin und Sozialdemokratin. Beide Frauen wurden als Jüdinnen in der Gaskammer von Bernburg ermordet.
Und wer uns sieht, sieht die Furchen,
die das Leid uns in das Antlitz geschrieben,
sieht Spuren von Körper- und Seelenqualen,
die uns ein bleibendes Mal geblieben.
Und wer uns sieht,
sieht den Zorn, der hell in unseren Augen blitzt,
sieht jauchzend Freiheitsjubel, der ganz unsere
Herzen besitzt.
Und dann reihen wir uns ein
in die letzte große Kolonne,
dann heißt es zum letzten Male: Vorwärts Marsch!
Und jetzt führt der Weg zum Licht, zur Sonne.
Käthe Leichter
Olga's Lebensgeschichte ist ungewöhnlich: Als Tochter wohlhabender jüdischer Eltern aus München wird sie in ihrer Jugendzeit zur begeisterten Kommunistin. Ihre politischen Aktivitäten führen sie in den 30er Jahren von Deutschland über Moskau nach Brasilien, von wo aus sie schwanger an Nazideutschland ausgeliefert und ins Gefängnis gebracht wird. Olga gelingt es, ihre kleine Tochter Anita in Sicherheit zu bringen. Sie selbst wird in Ravensbrück interniert.
Im Lager wird Olga zur Blockältesten ernannt. In den Jahren 1940 und 1941 wohnen alle 600 jüdischen Frauen des Lagers in einer einzigen Baracke. Jeden Morgen gibt sie Gymnastikunterricht, an dem regelmäßig alle Frauen der Baracke teilnehmen. Parallel dazu organisiert sie heimlich Russisch- und Französischunterricht sowie Buchlektüre am Abend. Eine Gefangene erinnert sich, wie sie zufällig eine modrige Ausgabe von Tolstois „Krieg und Frieden“ im Müll fanden. Olga und eine Handvoll anderer Frauen versammelten sich heimlich, um daraus vorzulesen. Zu Olgas größten Erfolgen zählt die Anfertigung eines detaillierten Weltatlas', mithilfe dessen sie ihren Mitgefangenen Geographieunterricht gibt und ihnen hilft, das Kriegsgeschehen besser zu verstehen. Der Atlas befindet sich heute im Archiv der Gedenkstätte Ravensbrück.
Rochelle Saidel, die für ihr Buch Geschichten von inhaftierten Frauen in Ravensbrück gesammelt hat, zitiert aus dem letzten Brief Olgas an ihre Tochter, die sie nie wieder sehen wird:
,,Es ist vollkommen unvorstellbar für mich, meine liebe Tochter, dass ich dich nie wieder sehen werde, dich nie wieder fest in meinen Armen halten werde. So gerne würde ich dein Haar kämmen, dir Zöpfe flechten […]. Ich verspreche dir nun, da ich Abschied nehmen muss, dass ich dir bis zu meinem letzten Augenblick nie Grund geben werde, dich für mich zu schämen.
1895 in Wien geboren, ist Käthe älter als Olga. Nach ihrem Studium bei dem namhaften Soziologen Max Weber promoviert sie mit Auszeichnung in Heidelberg und wird zur sozialdemokratischen Frauenfunktionärin in Österreich. Während es ihrem Mann gelingt, 1938 unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland zu fliehen, wird Käthe am Tag ihrer geplanten Flucht verhaftet. Man wirft ihr illegale politische Aktivität vor. 1940 wird sie nach Ravensbrück gebracht.
Im Lager bringt Käthe ihr Schreibtalent in Gedichten und Manuskripten zum Ausdruck. Eine Gruppe von Häftlingen probt das von ihr verfasste Theaterstück ,,Schumm Schumm“ – durchsetzt mit Sozialkritik und Spottliedern auf die SS – und führt es auf. Das Manuskript muss vernichtet werden, das Stück selbst aber wird 1940 im Lager aufgeführt. Als die Aufführung von einem Spitzel an die SS verraten wird, hält Käthe eine harmlose Variante des Manuskripts für die SS bereit. So erhalten die Beteiligten als „milde“ Strafe nur ein paar Wochen in der Strafbaracke.
1942 ereilt Olga, Käthe und die überwiegende Mehrheit der jüdischen Frauen in Ravensbrück das gleiche tragische Schicksal: Sie werden im Rahmen der Euthanasieaktion ,,14 f 13“ in der Heil-und Pflegeanstalt Bernburg vergast.