Wann haben Sie die Filmaufnahmen Ihrer Familie entdeckt?
Wir haben von den Filmaufnahmen gewusst. Wir wussten dass die Szenen 1923, auf der Hochzeit meiner Großeltern, Silvio Della Setta und Jole Campagnano Della Setta, in Perugia, einer Stadt im Zentrum Italiens aufgenommen wurden. Das Material lag 91 Jahre lang bei uns zuhause. Da aber die 1923 verwendeten 35mm Filme leicht entzündlich und gefährlich zu manipulieren sind und es sich zudem um einen Negativ-Film handelt, konnten wir ihn nicht sichten.
Was zeigen die Aufnahmen?
Dank der Hochzeitsaufnahmen konnte ich letzten Juli, als wir den Film restaurierten und digitalisierten, meine Großeltern Silvio und Jole das erste Mal in jungen Jahren sehen. Das war sehr bewegend. Ich habe sie nie so erlebt, nie so gesehen. Außerdem fanden wir eine längere Sequenz, die an einem Strand gedreht wurde, wahrscheinlich in Anzio, einer kleinen Stadt in der Nähe von Rom. Zudem gibt es eine Aufnahme in einem Kiefernwald und ein paar Szenen im Schnee, die wahrscheinlich im Norden Italiens entstanden sind.
Was geschah mit Ihren Großeltern und den anderen Personen, die in den einzelnen Sequenzen zu sehen sind?
Es ist sehr beeindruckend, dass wir nach 91 Jahren in der Lage sind, sehr viele im Film vorkommende Menschen zu identifizieren. Yad Vashem bat uns darum das Schicksal der Menschen zu rekonstruieren und dank der Hilfe meines Vaters und Onkels gelang uns das auch.
Unsere beiden Familien, die Della Seta und die Di Segni Familie, waren sich sehr nahe und hatten Glück. Viele Familienmitglieder wurden von italienischen Freunden geschützt, einige waren im Kloster Santa Esfandiari in Rom versteckt.
Unter anderem sieht man meine Urgroßeltern Samuele Della Seta und Giulia Di Segni. Beide wurden am Morgen des 16. Oktober 1943 von den Nazis festgenommen. Mein Vater und andere erzählten uns, dass ein deutscher Soldat meinen 72 jährigen Urgroßvater mit einem Gewehr schlug, weil er versuchte Guilia zu helfen. Das war das Letzte was wir von meinen Urgroßeltern gehört haben.
Wer hat die Aufnahmen gemacht?
Salvatore Di Segni, der Bruder von Giulia Di Segni und Italia Di Segni, der Mutter meiner Grußmutter Jole.
Also sind die Familien Della Setta und Di Segni miteinander verwandt?
Ja, verwandt und miteinander eng verbunden. Da Silvio und Jole Cousins waren, war die Familie mit der Hochzeit zuerst nicht einverstanden. Es war nicht einfach, denn die beiden liebten sich sehr, aber die Familien wollten die Hochzeit zunächst nicht akzeptieren.
Denken Sie, dass die Filmaufnahmen für jüngere Generationen von Relevanz sind?
Ich halte die Aufnahmen für außerordentlich relevant. Zum einen ist es das einzige Filmmaterial einer jüdischen Familie aus Italien vor der Shoah, und zum anderen ist es der älteste italienische Privatfilm. 1923 gab es noch keine Amateurfilme wie es sie heute gibt. Man musste eine 35mm Kamera besitzen und die war sehr schwierig zu bedienen, teuer und äußerst selten.
Wenn wir heute von der Shoah reden, dann sprechen wir normalerweise über Zahlen, sehen die Bilder aus den Lagern und entdecken darin Menschen die alle gleich aussahen, da sie von den Nazis entmenschlicht wurden. Für die Nazis waren Juden keine Menschen, sie wollten nicht, dass sie wie Menschen wirkten. Auf den Bildern und Filmen die in den Lagern aufgenommen wurden, können wir nur das sehen. Im Gegensatz dazu, steht der Film meiner Familie. Dort erfahren wir etwas über das Leben jüdischer Familien vor der Shoah in Italien. Unsere Familie war italienisch, es gab keinen Unterschied zu anderen italienischen Familien. Sie waren stolze Italiener. Fünfzehn Jahre nach der Hochzeit wurden die rassistischen Gesetze verabschiedet und exakt zwanzig Jahre nach der Hochzeit wurden sie von den Nazis verfolgt.
Wir haben den Film bereits drei Mal in Rom vorgestellt. Unter den Zusehern waren sehr viele Jugendliche. Ich weiß selbst nicht so genau, mit welchen Augen sie den Film sehen, aber ich denke es ist wichtig ihnen diesen Film zu zeigen, um ihnen zu zeigen dass jüdische Menschen ganz normal sind und damit die Erinnerung an die nächste Generation weitergegeben wird. Wir müssen das jetzt machen, wir tragen als zweite Generation nach dem Krieg die Verantwortung dafür. Wir sind jetzt die Zeitzeugen. Wir befinden uns gerade in den letzten Jahren, in denen wir Informationen sammeln können. Das ist unsere Aufgabe: wir müssen so viele Informationen sammeln wie nur möglich.
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