Wovon handelt „Hannas Reise“ bzw. was wollten Sie als Regisseurin und Drehbuchautorin abbilden? Deutschland, Israel, den Umgang mit dem Holocaust heute oder aber Deutsche in Israel im Jahr 2014? Welche Rolle spielt die Shoah letztlich im Film?
„Hannas Reise“ zeigt, wie die Shoah bis in die dritte Generation hinein Menschen in Deutschland und Israel prägt. Selbst Menschen wie Hanna, die meinen, nichts mit diesem Thema zu tun zu haben und genervt davon sind. Viele Deutsche aus der dritten Generation haben keine persönliche Verbindung zur Shoah, sie kennen nur den immer wiederkehrenden Schulstoff, dessen sie überdrüssig sind. Obwohl 70 Prozent aller Deutschen 1945 Mitglieder in nationalsozialistischen Organisationen waren, denken keinesfalls 70 Prozent ihrer Nachkommen, dass die Großeltern Täter oder Mitläufer waren. Die meisten meinen, ihre Großeltern waren „irgendwie dagegen“. Über drei Generationen ist es den Deutschen gelungen, die persönliche Geschichtsschreibung, die innerhalb von Familien weitergegeben wird, zu verdrehen, bzw. abreißen zu lassen. Davon handelt mein Film.
Zu Beginn des Films ist das Verhältnis von Hanna in Bezug auf die Geschichte des Holocaust von Abwehr und Desinteresse geprägt. Durch ihren Aufenthalt in Israel und den persönlichen Zugang zu Überlebenden und Nachkommen der Shoah öffnet sie sich dann immer mehr und setzt sich schließlich doch mit der eigenen Familiengeschichte auseinander. Wie kommt es zu diesem Wandel? In welchem Verhältnis stehen sich die verschiedenen Generationen (erste, zweite und dritte) in Deutschland und Israel gegenüber?
Der Wandel und das Interesse entstehen zunächst dadurch, dass Hanna sich in einer persönlichen Sackgasse fühlt. Sie hasst ihren unfreiwilligen Aufenthalt in Israel, sie hasst ihre Mutter und im Grunde auch sich selbst. Als sie aber bei der Überlebenden, die sie zu betreuen hat, etwas über die verhasste Mutter erfährt, kann sie anfangen die verschiedenen Puzzleteile ihres Lebens zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Sie kann sich auch ihr eigenes starres Verhalten erklären und das ist ein Anfang, daraus auszubrechen.
Städteaufnahmen, insbesondere von Berlin, Tel Aviv und Jerusalem, kommen immer wieder vor. Manchmal scheint es, als würde Israel im positiven und negativen Sinn überzeichnet werden, und dass bestimmte Bilder, wie das queere Tel Aviv oder aber die Mauer der israelischen Sperranlage, nicht fehlen dürfen. Welches Bild von Israel wollten Sie durch diese Auswahl vermitteln?
Ich habe das Israel gezeigt, das ich selbst kennengelernt habe. Ich fahre seit vielen Jahren dorthin, habe Freunde in Jerusalem und in Tel Aviv. Israel zeige ich weder negativ noch positiv, sondern einfach den Ausschnitt, den ein junger Deutscher kennenlernt, der mit einer Organisation wie „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ zum ersten Mal das Land besucht. Stimmen in Deutschland sagten, ich verkläre Israel, weil ich den Nahostkonflikt und das Leid der Palästinenser nicht auch noch miterzähle. In Israel hatte ich wiederum Feedback von Menschen, die sagten, ich zeichne ein negatives Bild ihres Landes, indem ich Israelis der dritten Generation zeige, die das Land verlassen, um ausgerechnet in Deutschland zu leben. Man kann es niemandem Recht machen, wenn es um Israel geht, aber das ist auch überhaupt nicht mein Wunsch oder Ansatz.
Der Umgang mit der Shoah in Israel und Deutschland unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht voneinander. Ähnlich verhält es sich auch mit der Bewertung Ihres Films. Während „Hannas Reise“ im deutschsprachigen Raum sehr positiv aufgenommen wurde, stieß der Film in Israel zum Teil auf Ablehnung und wurde von einigen Kritikern als oberflächlich und klischeebeladen beschrieben. Der Filmkritiker der Tageszeitung Haaretz, Uri Klein, verglich den Film gar mit einem zionistischen Werbevideo. Haben Sie solche Kommentare überrascht? Wie schätzen Sie diese doch sehr unterschiedlichen Bewertungen ein? Hat das etwas mit einem anderen Geschichtsverständnis oder unterschiedlichen emotionalen Zugängen zu tun?
Es gab, wie gesagt, auch in Deutschland sehr kritische Stimmen. Ich habe Briefe bekommen, regelrechte Hassbotschaften, die mir vorwarfen, der Film sei zionistisch und spare es aus zu erzählen, dass Israel ein „rassistischer Apartheitsstaat“ sei. Den gleichen Vorwurf machte mir Uri Klein. Mich hat das nicht überrascht. Es gehört längst zum Mainstream „israelkritisch“, bzw. „antizionistisch“ zu sein. Ein Film, der nicht in dieses Horn stößt, eckt an. Aber es geht mir um Figuren und ihre Emotionen, ihre persönlichen Verstrickungen und mir geht es nicht zuletzt darum, Menschen mit dem Film zu unterhalten. Ein politisches Pamphlet als Film, das eine Position zum Staat Israel propagiert, interessiert mich als Filmemacherin nicht.
Denken Sie, dass sich der Film auch für die schulische bzw. außerschulische Bildungsarbeit eignet und haben Sie vielleicht schon Erfahrungen damit sammeln können? Wie sollte der Film Ihrer Meinung nach in der Schule eingesetzt werden und welche Aspekte erscheinen Ihnen hierbei besonders wichtig?
In Deutschland habe ich unzählige Filmgespräche zu „Hannas Reise“ geführt. Nach jeder Vorführung kommen mindestens drei Menschen zu mir, die erzählen, nicht zu wissen, was ihre Großeltern oder Urgroßeltern während der Nazizeit gemacht haben. Viele überlegen, ob sie sie nicht doch noch einmal fragen können, bei den meisten ist es dafür natürlich mittlerweile zu spät, weil niemand mehr lebt. Sie müssen sich nun an die Eltern wenden. Wenn ich in Familien solche Gespräche auslöse, bin ich froh.
Ihr Film thematisiert die Shoah indirekt. Es geht bei der Auseinandersetzung weniger um den Kern der Geschichte als vielmehr um den Umgang der zweiten und dritten Generation mit der Geschichte der Eltern und Großeltern. Denken Sie, dass es besser ist Filme zu machen, bei denen die Shoah zwar thematisiert, aber gleichzeitig nicht ins Zentrum des Geschehens gerückt wird?
So eine Aussage würde ich niemals treffen. Es gibt großartige und wichtige Filme, alleine „Shoah“ von Claude Lanzmann hat mich sehr geprägt, so wie dutzende weiterer Meisterwerke zu diesem Thema. Ich denke, es muss und wird noch viele Filme und Bücher geben, die um das Thema kreisen. So vieles ist noch ungeklärt.