„So, da bin ich also, fast achtzig Jahre alt - mein achtzigstes Lebensjahr steht vor der Tür. Ich habe zwei verheiratete Kinder, wunderbare Kinder. Ich habe fünf Enkel und einen Urenkel. Drei Generationen, die aus der Asche des Holocaust geboren wurden und aufgewachsen sind. Heute bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Gerade vor einer Woche dachte ich: Mein Gott, vor zweiundsechzig Jahren kam ich hier an, ein sechzehnjähriger Junge, von einem anderen Stern auf einen anderen Stern, und jetzt, heute, nach zweiundsechzig Jahren, ziehe ich von einer Wohnung in die andere.”
Elieser Ayalon, Holocaustüberlebender
„Ich kann meinen Söhnen und Kindern keine Vorträge halten. Sie wollen keine Vorträge hören. Tatsache ist, sie wissen, dass ich durch die Hölle gegangen bin. Sie wissen, dass ich meine Eltern verloren habe. Sie fragen mich nie. [...] Bevor ich nach Amerika fuhr, hielt mich mein Sohn in der Küche auf und fragte mich, [...] 'Wer bist du?' Ich war schockiert. [...] Hat man je davon gehört, dass ein Sohn seinen Vater fragt: 'Wer bist du?' [...] Aus diesem Grund habe ich ihnen von dort geschrieben und alles erzählt, was ich durchgemacht habe.”
Professor Zwi Bacharach, Holocaustüberlebender
Einführung
Im Folgenden finden Sie Interviews mit sieben Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die in Israel leben, dort interviewt wurden und dabei ihre Gedanken und Erfahrungen nach der Shoah in den Mittelpunkt gestellt haben.
Der Fokus soll hier auf das Leben danach gesetzt werden, um die Komplexität des Lebens von Holocaustüberlebenden zu thematisieren. In den Jahren nach dem Holocaust setzten sie sich ständig mit den schmerzvollen Erinnerungen auseinander, während sie - meist mit Erfolg - versuchten, ihr Leben in einer neuen und unbekannten Umgebung in den Griff zu bekommen.
Die Erfahrungen der Holocaustüberlebenden, die unmittelbar nach dem Holocaust in Israel eintrafen, unterschieden sich deutlich von jenen, die viele Jahre später ankamen. In gewisser Hinsicht hatte diese spätere Gruppe schon vor der Ankunft ihre neue Identität ausgebildet - sie hatten ihr Leben oft schon in einem anderen Land neu aufgebaut, hatten geheiratet und ein Familienleben begonnen. Die Pein der Erfahrungen des Holocaust blieb jedoch bei beiden Gruppen bestehen.
Im Gegensatz zu den späteren Einwanderungsgruppen hatten Überlebende, die sofort nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Palästina kamen, häufig keine Angehörigen, kaum Besitz und mussten den Aufbau ihres Lebens und ihrer Identität allein bewältigen. In einigen Fällen dauerte es viele Jahre, bis sie bereit waren, über ihre Erlebnisse zu sprechen und die israelische Gesellschaft bereit war ihnen zuzuhören.
Dieser Artikel wurde zuerst im englischsprachigen Newsletter im Januar 2008 veröffentlicht. Die vollständige Version der Interviews findet sich dort auf Englisch. Hier folgen einige Fragen, die den Überlebenden gestellt wurden, und ihre Antworten. Wenn Sie auf die Namen der Interviewpartner klicken können Sie eine kurze Biografie der Überlebenden lesen.
Beschreiben Sie bitte Ihre erste Begegnung mit der israelischen Gesellschaft.
Elieser Ayalon erinnert sich an den Augenblick seiner Ankunft in Haifa nach einer viertägigen Seereise von Süditalien:
„Es war der 8. November 1945. Als das Schiff anlegte, kamen mir Haifa und der Karmel wie der Himmel vor. [...] Hier fing mein neues Leben in einem Land an, in dem das jüdische Volk lebte. Ich hatte das Gefühl, dass ich gerettet war.”
Zweieinhalb Jahre später erreichte Elieser Ayalon einen weiteren Meilenstein:
„Am Tag, an dem der Staat Israel im Mai 1948 gegründet wurde, fühlte ich, dass ich zu einem normalen Leben zurückkehrte.”
Für Elieser Ayalon und viele andere Überlebende war es nicht einfach, sich an das Leben in dem neugegründeten Staat zu gewöhnen. Er erinnert sich, dass die Holocaustüberlebenden das starke Bedürfnis verspürten, anderen über die schrecklichen Erlebnisse der Shoah zu berichten:
„... wir waren wirklich begierig danach, anderen unsere Geschichten zu erzählen, aber plötzlich merkte ich, dass sie uns eigentlich nicht glaubten. Unsere Geschichten waren so unglaublich, außerdem konnte man manchmal zwischen den Zeilen die Anspielung heraushören, dass wir vielleicht etwas Unrechtes getan hatten, weil wir überlebt hatten.”
Elieser Ayalons Betrachtungen werden von vielen Überlebenden bestätigt. Elieser Ayalon bezeugt, dass ihn diese Reaktionen zwangen, eine Haltung des Schweigens einzunehmen, die er 37 Jahre aufrecht hielt, bevor es ihm schließlich gelang, öffentlich über das Thema Holocaust zu sprechen. Es war unvermeidbar, dass dieses Schweigen einen hohen Tribut von den Holocaustüberlebenden forderte, die oft den Eindruck hatten, als führten sie ein Doppelleben. Er fügt hinzu:
„Es brauchte einige Jahre, aber Stück für Stück begann ich zu reden und sofort spürte ich eine große Erleichterung und Befreiung ...”
Auch Professor Zwi Bacharach bestätigt die extrem schwierige, existentielle Kluft zwischen den Holocaustüberlebenden und der lokalen israelischen Bevölkerung. Jene, die geografisch von den Geschehnissen getrennt gewesen waren, hatten Schwierigkeiten, die Realität des Holocaust zu verstehen oder zu glauben.
Er stellt fest:
„Sie konnten für das Wesen eines Menschen, der gerade aus einem Konzentrationslager der Nazis befreit worden war, kein Verständnis aufbringen. Wir kamen aus der Abnormalität in die Normalität, und die normalen Menschen konnten uns nicht verstehen.”
Im Gegensatz zu Professor Zwi Bacharach und Elieser Ayalon kam Ehud Loeb erst 1958 nach Israel, dreizehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Innerhalb von achtzehn Monaten war er verheiratet, hatte ein Heim und arbeitete. Ehud Loeb beschreibt seine ersten Jahre in Israel und erinnert sich:
„Ich versuchte ein Mitglied der israelischen Gesellschaft zu werden ... am Anfang machte ich Fehler im Hebräischen und hatte einen auffälligen Akzent ... aber ich versuchte die hebräische Sprache perfekt zu lernen, um vollständig Teil des neuen Landes und der neuen Identität zu werden, weil ich in Israel lebte und zur israelischen Gesellschaft gehören wollte. Ich sprach nicht über meine Vergangenheit, weil es nicht ‚im Trend’ war. Daher lag meine Vergangenheit ganz im Dunkeln, und wieder lebte ich in einer neuen Gesellschaft ... mit einer ganz neuen Identität.”
Aus den drei Zeitzeugenberichten geht hervor, dass einerseits der persönliche Umgang mit der Vergangenheit schwierig war und andererseits in Israel anfangs auch kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit den Erinnerungen der Überlebenden vorhanden war.
Elisheva Lehmann heiratete einen jungen jüdischen Soldaten aus Palästina, den sie in Holland nach der Befreiung kennenlernte, und kam mit ihm 1946 nach Palästina. Wenn sie danach gefragt wird, wie sie sich am Anfang an ihr neues Land gewöhnte, sagt sie:
„Einige konnten nicht sprechen, denn das in den Lagern Erlebte war zu schrecklich. Aber wir, die wir im Untergrund waren, konnten sprechen. Ich wollte eine Liebesgeschichte erzählen, aber sie erlaubten es uns nicht. Jedes Mal, wenn ich zu erzählen versuchte, sagte man mir: ‚Du bist jetzt hier und du bist frei.’ Niemand ließ die Leute reden - niemand.”
Zwi Bacharach stammt aus einer assimilierten jüdischen Familie in Hamburg. Nach seiner Ankunft in Israel trat er in einen religiösen Kibbuz ein. Er berichtet, dass die Kibbuzmitglieder, von denen viele Deutschland in der Zeit der Weimarer Republik verlassen hatten, sich aufgrund ihrer gemeinsamen Sprache und Vergangenheit aus der Zeit vor dem Holocaust verständnisvoller verhielten. Dies führte dazu, dass er über seine Erfahrungen sprechen konnte. Auf die Frage, ob er mit ihnen über seine verlorene Familie sprach und ob sie zuhörten, erklärt er kategorisch:
„Natürlich. Ich hatte einen sehr guten Freund, der mein Lehrer war, mein ‚Madrich’ (Mentor), und wir waren wie zwei Brüder. Wir standen einander so nahe wie Brüder. Ich bin immer noch mit seiner Frau und seinen Kindern in Kontakt. Er ist gestorben und ja ihm und einigen nahen Freunden erzählte ich meine Geschichte im privaten Kreis. Aber ich brauchte eine leitende Hand und die bekam ich nicht. Nicht, weil sie nicht wollten, sondern weil sie nicht wussten, wie sie das bewerkstelligen sollten. Damals wusste niemand, wie man mit uns umgehen sollte.”
Wie fühlen Sie sich in der heutigen Gesellschaft als Überlebender?
Elieser Ayalon sagt:
„Die Wunden sind verheilt, aber die Narben bleiben.”
Heute nimmt die Holocausterziehung in der heutigen israelischen Gesellschaft eine so prominente Stellung ein. Die Überlebenden, die in der Vergangenheit das Gefühl hatten, sie könnten über ihre Erfahrungen nicht sprechen, werden nun klar dazu aufgefordert, ihre Geschichten zu erzählen. Auch von der Seite der Überlebenden selbst wird die Notwendigkeit gesehen, ihre Geschichte in den wenigen Jahren, die dafür noch bleiben, weiterzugeben.
So spürt auch Ehud Loeb, dass sich die Haltung der Menschen in Israel gegenüber dem Holocaust und den Überlebenden im Laufe der Jahre geändert hat:
„... Die Haltung der Menschen in Israel gegenüber der Shoah und den Überlebenden hat sich verändert. Sie sind aufnahmebereiter, hören zu und lesen über den Holocaust und die Überlebenden. Auch die Schulen sind interessierter, alle lernen darüber, Kinder, Studenten und Erwachsene. Auch die Gedenkveranstaltungen sind in den letzten zwölf Jahren viel umfassender geworden.”
Henry Foner kam 1938 mit einem Kindertransport von Deutschland nach England. 1968 übersiedelten er und seine Frau nach Israel. Er fühlt sich in Israel zu Hause. Er sagt:
„Ich hatte keine Schwierigkeiten bezüglich des Holocaust. Ich kann es nur mit meinem Leben in Israel in Beziehung bringen, dass ich denke, sollte es jemals wieder passieren, würden die Juden und ich uns wenigstens verteidigen können. Ich bin sicher, dass meine Vergangenheit meine Persönlichkeit geprägt hat. Sie hat mich unsicher gemacht und bewirkt, dass ich Dinge nicht für selbstverständlich nehme und nicht denke, dass immer alles wieder in Ordnung kommen wird.”
Was betrachten Sie als Ihren Beitrag zur israelischen Gesellschaft?
Viele Überlebenden leisteten zusätzlich zu ihrer beruflichen Tätigkeit, auf persönlicher Ebene einen erzieherischen Beitrag zur israelischen Gesellschaft, indem sie Familien gründeten und über den Holocaust sprachen. Die Überlebenden, die in den späten Vierzigerjahren kamen, leisteten ihren Beitrag, indem sie sich zum Militär meldeten und für die bloße Existenz des Staates Israel kämpften. Später legten viele Überlebende bedeutende Initiativen an den Tag und spielten eine aktive Rolle beim Aufbau des im Entstehen begriffenen Staates.
Meir Eldar kam im Juli 1946 auf dem Haganaschiff „Bira” nach Palästina. Er wurde ein Soldat im „Palmach”.Er nahm an den Kämpfen für die Öffnung der Straße nach Jerusalem teil, die während des Unabhängigkeitskrieges besetzt war. Er erinnert sich:
„Im April 1948 nahmen wir an einer Öffnung der arabischen Blockade des Jerusalem Korridors teil. Wir öffneten die Straße nach Jerusalem von Scha´ar HaGai.”
Elisheva Lehmann sagt folgendes über ihren Beitrag zur israelischen Gesellschaft:
„Sicherlich in der Erziehung. Ich habe den Kindern beigebracht, wie man liebt. Ich habe sie in Musik unterrichtet. Ich spreche über den Holocaust - das kann man auch einen Beitrag nennen, denke ich, ich betrachte es als ein Muss, darüber zu erzählen. Der Holocaust darf nicht vergessen werden. Ja, das ist ein Beitrag.”
Als junger Mann wurde Professor Bacharach von seinem Universitätslehrer Prof. Talmon dazu ermutigt, eine akademische Laufbahn auf dem Gebiet der Holocaustforschung als Professor für moderne Antisemitismus- und Holocaustforschung einzuschlagen. Auf die Frage, ob er seinen Beitrag in den letzten fünfzig Jahren als Überlebender oder als israelischer Staatsbürger leistete, antwortet er:
„Ich versuche, in dieser Gesellschaft und in anderen Gesellschaften allen gegenüber offen zu sein. Zuerst muss man ein Mensch sein und erst dann ein Jude, nicht umgekehrt. Das ist mein Motto: sei ein Mensch. Wir sind nicht als Juden auf die Welt gekommen, sondern als menschliche Wesen. Ich wurde nicht als religiöses Kind geboren, daher versuche ich in einem gewissen Sinn, das meinen Studenten und anderen Leuten zu vermitteln.”
Ehud Loeb beantwortet diese Frage folgendermaßen:
„Also, ich glaube, hier ein ehrliches Leben zu führen, eine Familie aufzuziehen, mit meiner Familie, deren Mitglieder - unsere vier Kinder und Enkelkinder - hier leben, glücklich zu sein, mein Lebtag lang bis zu meiner Pensionierung schwer gearbeitet zu haben, einerlei was ich tat, welchen Beruf ich ausübte, das ist ein Beitrag; und ich glaube, wenn man ein ehrliches Leben führt und arbeitet, dann kann man etwas zum Wohlergehen eines Landes beitragen, vor allem, wenn man aus einem solchen Umfeld kommt, dann ist das etwas sehr Befriedigendes.”
Wann haben Sie angefangen, Ihrer Familie über Ihre Erfahrungen während des Holocaust zu erzählen?
Zu einer der schwierigsten und schmerzvollsten Entscheidungen der Holocaustüberlebenden gehört, wie sie ihren Familienangehörigen über ihre traumatischen Erlebnisse berichten sollen. Überlebende mussten entscheiden, wann und ob sie ihren Familien wirklich über die Schrecken des Holocaust erzählen sollten. Einige Überlebende erzählten ihre Erlebnisse gleich vom Anfang ihres neuen Lebens an.
Masha Greenbaum kam 1978 nach Israel. Ihre Erfahrung während des Holocaust wirkte sich weniger traumatisch auf ihre Integration aus, da sie bereits gut Hebräisch sprach. Die Kommunikationsfähigkeit war ein bedeutender Faktor ihres Einwanderungsprozesses. Während sie in England und Südamerika lebte, sprach sie oft vor Gruppen über ihre Erfahrungen während des Holocaust. Daher war ihre Eingliederung in die israelische Gesellschaft nicht so sehr vom Drang des Erzählens geprägt.
Masha Greenbaum sagt, ihre Kinder seien mit ihren Geschichten aufgewachsen. Nichts wurde verborgen. Interessanterweise sprach Mashas Mutter nie über ihre Erlebnisse, aber sie hörte ihrer Tochter zu, wenn sie ihre Geschichte erzählte.
„Es war nie leicht, aber es war wichtig.”
Aber Masha Greenbaum gibt zu, dass sie heutzutage nach dem Erzählen oft emotional viel erschöpfter ist als früher.
Meir Eldar war nicht imstande, seiner Familie direkt über seine Holocausterfahrungen zu berichten, aber er fand andere Wege.
„Ich wollte nicht darüber nachdenken und darüber sprechen. Ich schrieb. Ich brachte alles zu Papier, das war’s. Meine Frau war nicht im Lager, daher hatte sie keine persönlichen Erfahrungen gemacht. Ich habe nicht viel geredet. Die Kinder wurden älter, sie haben nicht gefragt und ich habe ihnen nichts erzählt. Ich habe ein Buch geschrieben, das 1999 erschienen ist. Sie haben nicht gefragt. Und wenn sie jetzt das Buch lesen wollen, können sie es lesen. Ich fahre auch mit Gruppen nach Polen und mein Sohn sagte, er wolle mitkommen. Also sagte ich: ‚Komm mit.’ Er hatte keine Ahnung - fragte nichts.
Am Abend fragten die Teilnehmer alles mögliche über den Holocaust und einer fragte meinen Sohn: ‚Welche Fragen haben Sie Ihrem Vater über den Holocaust gestellt - was hat er Ihnen erzählt?’ Mein Sohn antwortete: ‚Ich wollte immer dieselben Fragen stellen wie Sie, aber ich konnte nicht, und jetzt habe ich die Antwort bekommen.’
Sie fragen mich nie - sie haben das Buch. Ich schreibe.”
Vor einigen Jahren besuchte Meir Eldar einen Kurs in Yad Vashem, in dem Überlebende angeleitet werden, mit Gruppen über ihre Erlebnisse zu sprechen. Er spricht jetzt regelmäßig mit Gruppen und schreibt immer noch.
Ehud Loeb musste mit einer komplizierten persönlichen Geschichte mit wechselnden Namen und Identitäten zurechtkommen. Er wurde als Herbert Odenheimer in einer kleinen süddeutschen Stadt geboren. Um sein Überleben zu ermöglichen, war er gezwungen seinen Namen und seine Identität mehrfach zu ändern. Er vermittelte seiner Familie das Bild einer unruhigen Kindheit.
„Ich musste ihnen die Skizze meiner Biografie geben, aber in den ersten Jahrzehnten habe ich ihnen einfach nur die Fakten erzählt. Ich musste ihnen ganz kleine Teile, Fragmente meines Lebens erzählen. Nach dem Ende der Achtziger- und Anfang der Neunzigerjahre, als es der breiten Öffentlichkeit mehr und mehr bekannt wurde, was im Holocaust geschah, fingen die Leute immer mehr zu reden an und Geschichten wurden veröffentlicht. Dann hatten wir den Mut, darüber zu sprechen. Ich sage ‚wir’ - ich meine nicht nur mich, aber auch sie hatten den Mut zu fragen und hatten den Mut und die Geduld zuzuhören. [...] Sie waren schon erwachsen oder Heranwachsende und sie konnten verstehen, was Verständnis bedeutet.”
Professor Bacharach sagt:
„Wissen Sie, was ich getan habe? Ich besuchte meinen Bruder in den USA und dort setzte ich mich hin und schrieb auf zwölf Seiten die grauenhaftesten Erlebnisse auf. Das habe ich aus Amerika an meine Kinder geschickt. Bis heute habe ich keine Reaktion darauf bekommen.
Man kann es nicht in Worte fassen. Wenn ich unterrichte, dann tue ich das auf eine disziplinierte und wissenschaftliche Weise, was meine Gefühle und Emotionen unter Kontrolle hält. Dort im Hörsaal kann ich nicht sitzen und weinen [...] Ich kann meinen Söhnen und Kindern keine Vorträge halten. Sie wollen keine Vorträge hören. Tatsache ist, sie wissen, dass ich durch die Hölle gegangen bin. Sie wissen, dass ich meine Eltern verloren habe. Sie fragen mich nie. [...] Ich glaube, sie können nicht damit umgehen. Bevor ich nach Amerika fuhr, hielt mich mein Sohn in der Küche auf und fragte mich: ‚Wer bist du?’ [...] Ich war schockiert. Hat man je davon gehört, dass ein Sohn seinen Vater fragt: ‚Wer bist du?’ Das kann ich nicht vergessen. [...] Aus diesem Grund habe ich ihnen von dort geschrieben und alles erzählt, was ich durchgemacht habe.”
Wie reagieren Sie als Holocaustüberlebender auf gegenwärtige Genozide?
Ehud Loeb sagte:
„Diese Genozide sollten jedem Menschen Anlass zu Besorgnis geben, aber leider tun sie es nicht. Ich spreche nicht nur über Darfur, sondern auch über Ruanda und Kambodscha und andere Länder. Ich glaube, Leiden ist Leiden, ein Waise ist ein Waise, eine vergewaltigte Frau ist überall eine vergewaltigte Frau, aber ich glaube, für einen Überlebenden ist es viel schmerzvoller. Es ist schmerzvoller, weil ein Überlebender diese Verluste und dieses Leid selbst oder in seiner Familie erfahren hat. Man identifiziert sich nicht nur besser, sondern man leidet mehr mit der Pein anderer Menschen mit.”
Vor einiger Zeit nahm Ehud an einem Yad Vashem Seminar mit einigen Überlebenden aus Ruanda teil. Über diese Begegnung sagt er:
„Wenn man miteinander spricht, dann verwendet man dieselbe Sprache des Leidens. Wenn man mit ihnen zusammensitzt und ihre Stimmen hört und hört, was sie nicht sagen, dann versteht man, was sie nicht ausdrücken können, und man fühlt sich mit ihnen solidarisch. Bei den Begegnungen mit diesen Überlebenden fühlt man alles von neuem und man kann nicht verstehen, man kann einfach nicht verstehen, dass solche Dinge heute geschehen können, obwohl die Leute wissen, was passiert ist. Das verstehe ich einfach nicht.”
Masha Greenbaum erklärt:
„Alle Überlebenden fühlen für sie [die Opfer anderer Genozide] durch ihre eigenen Erlebnisse mit.”
Meir Eldar antwortet:
„Nein - ich denke nicht daran. Ich lese darüber in Büchern. Ich weiß, was einem meiner Freunde passiert ist, der aus Armenien stammt. Aber ich kann mich nicht darauf beziehen. Was im Holocaust geschehen ist, ist nirgendwo sonst geschehen.”
Schlussfolgerung
„Ich habe das Gefühl, dass ich erreicht habe, was ich wollte. Mein Leben, meine Kinder und Enkel, ich könnte nirgendwo glücklicher sein. Ich sage den Leuten immer: Die Tatsache, dass ich als anständiger Mensch und gläubiger Jude überlebt habe, der lachen und lieben und die Welt von der heiteren Seite aus betrachten kann, das ist nichts Geringeres als herrlich. Mein ganzes Leben hat sich verändert, aber mein Leben ist immer noch eine permanente Niederlage für Hitler und die Nazis, die uns vernichten wollten, aber ‚Am Israel Chai’ (das Volk Israel lebt).”
- Elieser Ayalon
Wie zu Beginn des Artikels erwähnt, sind die Zeitzeugenberichte von Überlebenden unentbehrlich für das Verständnis der Ereignisse während des Holocaust. Durch sie beginnt man zu verstehen, wie die Erfahrungen der Überlebenden im Holocaust ihr neues Leben in Israel beeinflussten und wie diese Erfahrungen das israelische Kollektivbewusstsein geprägt haben. Die heutige Generation der Lernenden kann durch die Geschichten der Überlebenden vor allem aus ihren Erzählungen der Nachkriegszeit ein Verständnis dafür aufbauen, dass die Geschichte des Holocaust mit 1945 nicht abgeschlossen und zum Teil bis heute auf unsere Gegenwart auswirkt.
Wir danken den Überlebenden für ihre Bereitschaft an den Interviews teilzunehmen.