Dem Genossen Pawl Hertz gewidmet
Sonntag bis Donnerstag: 9.00-17.00 Uhr Freitags und an den Abenden vor einem Feiertag: 9.00-14.00 Uhr
Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
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Dem Genossen Pawl Hertz gewidmet
Wie in einem Frauenleib die Frucht heranreift, so erfüllt mich seit einiger Zeit mit bebender Erwartung das Bewußtsein, daß das unermeßliche Weltall sich wie eine lächerliche Seifenblase mit unvorstellbarer Geschwindigkeit aufbläht; das nagende Unbehagen eines Geizhalses beschleicht mich, sooft ich daran denke, daß dieses Weltall in nichts zerrinnt, wie Wasser, das einem durch die Finger fließt, und daß einmal – vielleicht noch heute, vielleicht erst morgen oder in ein paar Lichtjahren – das Weltall im Nichts versinken wird, so als wäre es nicht aus solider Materie geschaffen, sondern nur aus flüchtigen, verklingenden Tönen. Ich muss allerdings schon jetzt bekennen, daß ich – obwohl ich mich seit dem Krieg nur noch selten dazu aufraffe, mir die Schuhe zu putzen –, daß ich, obwohl ich so gut wie nie den Dreck aus meinen Hosenumschlägen bürste, obwohl es mich schon allerhand Anstrengung kostet, wenigstens jeden zweiten Tag das Stoppelfeld von Wangen, Kinn und Kehle abzuschaben, obwohl ich – um Zeit zu sparen – meine Fingernägel einfach abbeiße und weder seltene Bücher noch außergewöhnliche Geliebte sammle – durch die Resignation sozusagen die Verbundenheit zwischen dem Sinn meines Schicksals und dem Sinn des Weltalls demonstriere –, ich muß also sagen, dass ich erst seit sehr kurzer Zeit meine Vorliebe für einsame, lange Spaziergänge entdeckt habe, die mich an heißen Nachmittagen in die Arbeiterviertel meiner Stadt führen.
Ich liebe es, den abgestandenen, trockenen Staub der Ruinen in tiefen Zügen einzuatmen, der wie alte Semmelbrösel schmeckt. Ich schaue mit schlecht verhohlener Ironie und mit aus alter Gewohnheit leicht zur rechten Schulter geneigtem Kopf den alten Dorfweibern zu, die dicht unter den Mauern der eingestürzten Häuser über ihrer Ware hocken, den schmutzigen Kindern, die zwischen den Pfützen, die der Nachtregen hinterließ, hinter einem dreckigen Fetzen herjagen, auch den verstaubten, nach Schweiß riechenden Arbeitern schaue ich zu, die auf den menschenleeren Straßen von früh bis abends die Straßenbahngleise zusammenschweißen. Ich sehe deutlich, so deutlich wie in einem Spiegel, wie diese Ruinen – das Gras wächst langsam über sie hinweg –, wie diese Dorfweiber und ihre mit Mehl verdickte Sahne, ihre stinkigen Schuhe, die Straßenbahngleise, der dreckstarrende Fetzen und die Kinder, die ihm nachjagen, die Eisenstangen und die schweren Hämmer, die muskulösen Arme und die müden Augen und Körper der Arbeiter, die Straße und der kleine Platz dahinter, die Holzstände, über die sich ein wütendes Gemurmel der Menschenmenge legt und über denen die vom Wind getriebene Wolken dahinjagen – wie das alles plötzlich durcheinandergewirbelt und irgendwohin in die Tiefe fällt, unter meine Füße, dorthin, wo unter einem Steg das Spiegelbild der Bäume und des Himmels in einem munteren Bach dahinplätschern.
Manchmal kommt es mir fast vor, als ob sich auch meine Gefühle – fast möchte ich sagen, biologisch – in mir verdickten und versteinerten, um so gefühllos zu werden wie Harz. Ganz im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, als ich mit weit aufgerissenen Augen in die Welt starrte, als ich erstaunt und aufmerksam durch die Straßen ging wie eine junge Katze über den Fenstersims, tauche ich heute gleichgültig in der geschäftigen Menge unter, streife völlig ungerührt die heißen Körper der Mädchen, die mit der Nacktheit ihrer Knie locken und mit dem kunstvoll ungewollt zerzausten Haar. Ich kneife die Augen zu und sehe unter den gesenkten Lidern, angenehm erregt, wie ein jäher Stoß des kosmischen Windes die ganze Menschenmenge bis in die Baumwipfel hinaufträgt, die Leiber in einem riesigen Wirbel kreisen läßt, die staunend offenen Münder verdreht, die rosigen Kinderwangen an behaarte Männerbrüste drückt, geballte Fäuste mit den bunten Fetzen aus Frauenkleidern umwickelt, die weißen Schenkel wie Schaumkronen nach oben hebt und wie Hüte und Kopfstücke mit wallendem Haar darunter hervorlugen, wie diese ungeheuere Mischung, eine gigantische Suppe, aus einer Menschenmenge gekocht, die Straßen entlangfließt, immer weiter durch den Rinnstein, bis sie schließlich blubbernd im Nichts verschwindet, als hätte sie ein riesiger Abflußkanal verschlungen.
Es kann daher nichts Überraschendes dabei sein, wenn ich voller Geringschätzung, in die sich leichte Verachtung mischt, mit menschlicher Würde das massive, kühle Granitgebäude betrete. Ich bin nicht gewohnt, mich beim Anblick einer breiten Marmortreppe zu begeistern, die man von allen Spuren des Brandes gesäubert und mit einem roten Läufer belegt hat – jeden Tag wird dieser Läufer geklopft, und die Putzfrauen stöhnen dabei vor Erschöpfung –, ich betrachte auch nicht eingehend die neuen Fensterrahmen und die frisch gestrichenen Wände des ausgebrannten Hauses. Ich trete gleichmütig in die engen, aber doch gemütlichen Räume ein, in denen ernste Menschen sitzen, und manchmal bitte ich gar höflich um Kleinigkeiten, die mir zwar von Rechts wegen zustehen, die aber – was ich ja weiß – nicht gegeben werden können, weil die Welt sonst wie eine überreife Frucht aufspringen müßte und sich dann statt Kernen nur trockene, flüsternde Aschstäubchen in die glasige Leere ausschütten würden.
Wenn nach einem heißen, staubigen, von Benzingestank erfüllten Tag endlich die erfrischende Dämmerung kommt und die schwindsüchtigen Ruinen in eine harmlose Dekoration verwandelt, die sich dunkel gegen den immer dichter werdenden Himmel abzeichnet, kehre ich unter den frisch errichteten Straßenlaternen heim in meine nach frischem Kalk riechende Wohnung, die ich von einem Vermittler bekam, erkauft mit einer hübschen runden Summe, die in keinem Buch bei keiner Behörde eingetragen ist, setzte mich ans Fenster, stütze den Kopf in die Hände – nebenan in der Kochnische spült meine Frau das Geschirr, und das leise Klirren der Teller wiegt mich sanft in beschauliche Ruhe ein – und blicke zum Haus gegenüber, in dem eins nach dem anderen Lichter erlöschen und eins nach dem anderen Radio verstummen.Eine Weile lausche ich noch dem Stimmengewirr von der Straße: ein Trinklied aus der Zigarettenbude an der Ecke, schlurfende Schritte, das dumpfe Rattern der Züge, die in den Bahnhof einfahren, das zudringliche, hartnäckige Klopfen der Hämmer, offenbar arbeitet die Nachtschicht des Straßenbahntrupps schon an unserer Straßenecke – und ich spüre immer deutlicher, daß eine große Enttäuschung in mir wächst. Energisch stoße ich mich vom Fenster ab, so, als müßte ich eine Schnur zerreißen, dei mich hemmt, setze mich an meinen Tisch – mit dem Gefühl, daß ich wieder kostbare, unwiederbringlich verlorene Zeit vergeudet habe –, hole aus der Tiefe der Schublade Papiere heraus, die ich vor einer Ewigkeit selbst hineingeworfen hatte, und weil die Welt sich heute doch noch nicht aufgelöst hat, schichte ich die weißen Papiere pedantisch auf, schließe halb die Augen und sehe zu, ob ich in mir nicht das rührselige Gefühl der Freundschaft finden kann, die ich für die Arbeiter an den Straßenbahngleisen empfinde, für die Dorfweiber mit ihrer gepanschten Sahne, für Güterzüge, für den Himmel, der sich über den Ruinen dunkler färbt, für die Vorbeigehenden aus der Allee, für neue Fensterrahmen, sogar für meine Frau, die nebenan die Teller abtrocknet – und mit großer intellektueller Anstrengung suche ich, den wirklichen Sinn der erschauten Gegenstände, Ereignisse und Menschen festzuhalten. Denn ich habe die Absicht, ein großes, episches Werk zu schreiben, das der unvergänglichen, schweren, wie in Steinen gehauenen Welt würdig wäre.
Tadeusz Borowski: Die steinerne Welt. Warschau 1959, Piper & Co. Verlag, S.204-208.
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