Inhalt
- Info: Karl Kretschmer und das Massaker von Babi Jar
- Briefe von Karl Kretschmer an seine Familie:
- Ergänzende Textquellen
- Ergänzende Bildquellen
Sonntag bis Donnerstag: 9.00-17.00 Uhr Freitags und an den Abenden vor einem Feiertag: 9.00-14.00 Uhr
Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
Karl Kretschmer
Kretschmer war Obersturmführer im Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C, die u.a. für das Massaker in Babi Jar bei Kiew verantwortlich war. In der außerhalb der Stadt gelegenen Schlucht fielen den Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes am 29. und 30. September 1941 mehr als 33.000 ukrainischer Juden zum Opfer.
Die Einsatzgruppen waren Sondereinheiten zur Bekämpfung politischer Gegner, die erstmals beim "Anschluß" Österreichs 1938 und beim Einmarsch in die Tschechoslowakei 1939 eingesetzt wurden. Für den rassistischen Vernichtungskrieg im Osten stellten die Sicherheitspolizei (Sipo) und der Sicherheitsdienst (SD) spezielle Einsatzgruppen auf, die dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unterstanden.
Das Massaker von Babi Jar
Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 besetzte die Wehrmacht bis Oktober 1941 fast die gesamte Ukraine. Die Schlacht um Kiew hatten die Deutschen bereits Mitte September für sich entschieden. In der Stadt selbst begannen Einsatzgruppen sofort mit der Erfassung der jüdischen Einwohner.
Am 27. September 1941 fand eine Besprechung über die "Evakuierung" der jüdischen Bevölkerung statt.
Daran nahmen neben dem Ortskommandeur von Kiew unter anderem auch Wehrmachtsoffiziere, Angehörige der Sicherheitspolizei, der Geheimen Feldpolizei und der Einsatzgruppe C teil. Der Höhere SSund Polizeiführer im rückwärtigen Heeresgebiet Süd, Friedrich Jeckeln (1895-1946), der Befehlshaber der Einsatzgruppe C, Emil Otto Rasch (1891-1948), sowie der Befehlshaber des Sonderkommandos 4a der Einsatzgruppe C, Paul Blobel (1894-1951), beschlossen, die Kiewer Juden zu ermorden. Mit der Durchführung wurde das Sonderkommando 4a beauftragt.
Auf Plakaten wurden die Kiewer Juden aufgefordert, sich zu Umsiedlungsmaßnahmen einzufinden. Dem Befehl folgten über 30.000 Menschen, die zur außerhalb der Stadt gelegenen Schlucht Babi Jar getrieben wurden. Dort mußten sie Papiere, Gepäck sowie Wertgegenstände abgeben, sich vollständig ausziehen und sich in Zehnergruppen an den Rand der Schlucht stellen. Dann wurden sie niedergeschossen. In Babi Jar ermordete das Sonderkommando laut einem Einsatzgruppenbericht am 29. und 30. September 33.771 Juden. In den folgenden Monaten wurden dort Tausende weiterer Juden erschossen. Auch als Zigeuner verfolgte Menschen und sowjetische Kriegsgefangene zählten zu den späteren Opfern. Insgesamt wurden nach Untersuchungen der sowjetischen Staatskommission in Babi Jar rund 100.000 Menschen ermordet.
Im Juli 1943, während des deutschen Rückzugs, sollten die Spuren des Massenmords verwischt werden.
Polizeieinheiten der Sonderkommandos ließen Insassen eines nahe gelegenen Lagers die Leichen ausgraben und verbrennen. (www.dhm.de)
(Quelle: Yad Yashem, Jerusalem)
Brief Nr. 6
Sonntag, 27.9. 1942
Meine liebe Soska!
Du wirst ungeduldig sein, weil Du von mir seit Montag, den 21.9.42, keinen Brief bekommen hast. Ich konnte aber wirklich nicht eher schreiben. Einmal weil ich in der Zwischenzeit wieder Tausend Kilometer gereist bin (diesmal im Auto, 2 Tage Staub und Schuckelei) und zum andern, weil ich krank bin. Mir ist elend und trostlos zu Mute. Wie gerne würde ich bei Euch sein. Was man hier sieht, macht entweder roh oder sentimental. Ich bin nicht mehr in der Gegend von Stalingrad, sondern mehr nach Norden, in der Mitte der Front. Nicht direkt an der Front, aber soweit dicht genug, daß mich eines Tages doch eine Fliegerbombe treffen kann. Es bleibt sich aber gleich, ob ich sie hier bekomme oder in Karlsruhe. Soviel, wie ich bisher weiß, seid Ihr von den Engländern verschont worden. Hoffentlich bleibt es weiterhin dabei. Mein schönes Heim ist mir nach meinen bisherigen Rußland-Kenntnissen nicht mit Gold aufzuwiegen. Wenn ich beten könnte, würde ich die Vorsehung bitten, mir Euch und die Heimat zu erhalten. Es wird später wieder herrlich sein, wenn wir vereinigt sind. Du wirst Dich wundern, daß ich Dir das schreibe.
Meine Stimmung ist, wie gesagt, sehr düster. Ich muß mich erst selbst überwinden. Der Anblick der Toten (darunter Frauen und Kinder) ist auch nicht aufmunternd. Wir kämpfen aber diesen Krieg heute um Sein oder Nichtsein unseres Volkes. Ihr in der Heimat spürt es Gott sei Dank nicht zu sehr. Die Bombenangriffe haben aber gezeigt, was der Feind mit uns vorhat, wenn er die Macht dazu hat. Die Front erfährt es auf Schritt und Tritt. Meine Kameraden kämpfen buchstäblich um das Sein unseres Volkes. Sie machen dasselbe, was der Feind machen würde. Ich glaube, Du verstehst mich. Da dieser Krieg nach unserer Ansicht ein jüdischer Krieg ist, spüren die Juden ihn in erster Linie. Es gibt in Rußland, soweit der deutsche Soldat ist, keine Juden mehr. Du kannst Dir vorstellen, daß ich erst einige Zeit benötige, um dies zu überwinden.
Sprich bitte nicht zu Frau Kern darüber.
Krank bin ich auch (Durchfall, Fieber, Schüttelfrost). Es soll hier jeder durchmachen. Die Umstellung in der Ernährung, noch dazu kein Wasser. Wenn man die großen Städte West-Rußlands hinter sich hat, kommt man in die unendliche Steppe. Afrika kann nicht schlimmer sein. Das Land ist furchtbar. Nur Staub, Staub und nochmals Staub. Die Menschen vegetieren dahin. Die Zerstörungen des Krieges sind bald wieder ausgebessert, denn die Häuser bestehen ja nur aus einigen Balken und Brettern. Alles andere aus Lehm, den die Natur liefert. Das Dach wird mit Stroh und Heu gedeckt und ebenfalls Lehm darauf geschmiert. Die Sonne brennt alles zu einem Klumpen fest. Da es außerdem viel Kreide gibt, wird alles noch weiß angepinselt, und fertig ist alles. Alle Arbeiten machen Frauen. Die Männer, die auch zu sehen sind, müssen sich irgendwie betätigen, wo man sie nicht sieht. Zur Zeit spuckt hier alles, Groß und Klein. Man sieht die Leute den Mund voller Sonnenblumenkerne nehmen, und dann geht es los. Den ganzen Tag. Wie die Papageien. In den Städten habe ich noch etwas Kultur angetroffen. Auf dem Lande ist nichts mehr zu sehen. Alles primitiv. Ich weiß nur noch nicht, wo Stalin die Kriegsmacht und Ausrüstung herbekommen hat. Es kann nur sein, daß das gesamte Volk die ganzen 20 Jahre lang nur für den Krieg gearbeitet hat.
Anders ist es nicht denkbar. Soviel über diese Angelegenheit. Nun zum Essen. Ich habe Dir immer gesagt, der Soldat hungert nicht. Die Sache hat nur einen Haken. Die Ernährung wird aus dem Lande bezogen.
Wenn man die reichen Felder der Ukraine hinter sich hat und in die Steppen kommt, gibt es verschiedenes weniger, z. B. Butter. Die Heeresführung hilft dann durch Konserven. Ich selber habe Glück gehabt, weil wir nur in Anbetracht unserer schweren Arbeit Lebensmittel zukaufen können. Kaufen ist falsch, das Geld gilt nicht, es wird getauscht. Wir sind zufällig im Besitz von Lumpen, die sehr begehrt sind. Hier bekommen wir alles. Die Lumpen gehörten den Menschen, die heute nicht mehr leben. Du brauchst mir also keine Kleidungsstücke oder ähnliches schicken. Was wir hier haben, reicht noch für Jahre. Besorge mir Salz, und zwar abgepacktes, weißes Salz von Kaisers-Kaffee. Wenn ich auf Urlaub komme, will ich mindestens 30 Pfund mitnehmen. Es ist kostbarer als Gold. Ich schrieb Dir, daß ich Dir vielleicht einen Persianer besorgen kann. Das wird nichts werden. Einmal bin ich nicht mehr in der Gegend. Außerdem leben die Juden nicht mehr, die damit handelten, und zum anderen, es wollen noch mehr Leute so etwas haben. Ferner habe ich gehört, daß Vermögen dafür gezahlt worden sind. Da kann ich nicht mitmachen. Vielleicht ist uns das Glück doch hold. Dieses ist der 6. Brief. Heute habe ich das Päckchen Nr.2 (Butter) und 3 (2 Büchsen Ölsardinen, 2 Gummibälle, 1 x Tee und 2 Rollen Bonbons für die Kinder) abgeschickt. [...j Nach Einsetzen der Kälte bekommst Du gelegentlich, wenn jemand auf Urlaub fährt, eine Gans. Wir sehen hier über 200 Stück herumschnattern, dazu Kühe, Kälber, Schweine, Hühner und Puten. Wir leben wie die Fürsten. [...) Heute am Sonntag, gab es Gänsebraten ('/4). Am Abend gibt es Täubchen. Die Butter streiche ich dick aufs Brot.
Gesüßt wird mit Honig, weil kein Zucker vorhanden ist. Schicke mir leere Büchsen mit Deckel (nicht über 100 Gramm schwer) aber keine großen. Sie werden hier gefüllt und verlötet. Wir können Päckchen bis zu 1 Kg. in beliebigen Mengen versenden. Für die beiliegende Briefmarke kannst Du mir ein Paket bis zu 1 Kg. senden. Ich bin jetzt dabei, die Geschäfte zu übernehmen. Zur Zeit zähle ich Geld kistenweise, über 110000.- RM in Rubeln. […]
Hüte mir die Kinder
Mit Wehmut im Herzen
in Liebe
Dein Karl.
Schicke mir bitte täglich den Führer und die anderen Zeitungen. Hier gibt es nichts.
Brief Nr. ?
[Datum unbekannt]
[...] Wenn jetzt die Kälte einsetzt, brauchst Du Dich nicht zu wundern, wenn Du eines Tages ein Paket mit
einer Gans erhältst. Wenn ein Kamerad auf Urlaub geht, nimmt er sie mit und schickt das Paket ab. Auch
wenn Du ein Paket aus Ungarn bekommen solltest, nimm es ab. Ich habe Deutschen aus Ungarn, die
freiwillig bei der SS dienen, Geld geliehen und ihnen meine Heimatanschrift dazu. Wenn sie auf Urlaub
fahren, wollen sie daran denken. Du siehst, ich sorge für euch. Aus der Göring-Rede hast Du ja auch
sicherlich entnommen, daß es uns gestattet ist, Päckchen zu schicken. Der Führer billigt es. Die letzte
Konsequenz würde so weit gehen, daß das Volk hier vor Hunger krepieren kann, wir würden uns schon das
Essen holen. Ganz so schlimm braucht es ja nicht zu kommen. Es wäre nur die letzte Härte. Hart müssen wir
hier draußen sein, sonst verlieren wir den Krieg. Mitleid in irgend einer Form ist nicht am Platze. Ihr Frauen
und Kinder in der Heimat hättet, wenn der Feind sich durchsetzen sollte, keine Gnade oder Mitleid zu
erwarten. Deshalb räumen wir auf, wo es not tut. Sonst ist der Russe willig, einfältig und gehorsam. Juden
gibt es hier nicht mehr. Bisher habe ich folgende Päckchen geschickt: Für Euch:
Brief Nr.8
Mittwoch, 7. Oktober 1942
Liebe Sonja, liebe Kinder!
Nun ist es schon einen ganzen Monat her, daß ich Euch verlassen mußte. Ich bin ganz traurig und einsam.
Zur Zeit regnet es heftig. Da ist die Welt sowieso trübe. Die Stadt ist ein furchtbar trauriges Kaff. Nicht einmal die Fußwege sind in Ordnung. Beim Gehen muß man immer tüchtig aufpassen. Alles, was der Russe gemacht oder gebaut hat, ist nur halbe Arbeit, und alles nur äußerlich. Wir Deutschen werden hier später noch Jahrzehnte hindurch für Ordnung sorgen müssen. [...]
Brief Nr. 11
Kursk, den 15.10. 1942
Geliebte Frau, liebe Kinder!
Ihr werdet überrascht sein, von mir einen Brief aus dem Reich zu erhalten. Es kommt aber daher, daß ein Urlauber ihn mitnimmt und dann abschickt. Außerdem gebe ich dem Urlauber ein Paket (8 Kg.) mit, das er in Koblenz aufgeben soll. Es enthält: 5 kg Butter, 2,5 kg Weizenmehl und 1 Stück Kernseife. [...]
Von meinem heutigen Leben kann ich Dir berichten, daß es einigermaßen regelmäßig verläuft. Wir haben ein Häuschen, ähnlich wie in der Gartenstr., nur nicht so schön, mit Beschlag belegt. Alles dreckig und verbaut. Ungefähr 40 Familien wohnten hier früher. Sie mußten für uns Platz machen. Ich selber habe jetzt eine Zweizimmerwohnung. Der Wohnraum ist mein Arbeitsraum mit Kriegskasse (150 000.- RM), und in der Küche schlafe ich. Geheizt wird von der Küche aus. Bisher war noch keine große Kälte, so daß es auszuhalten ist. Holz fahren wir in rauhen Mengen heran. Hoffentlich reicht es über den Winter aus. Die Gefangenen müssen es klein machen und aufstapeln. Ich kann es also aushalten. Wenn Ihr nur bei mir wäret, dann wäre es wunderschön. Um 6.00 Uhr ist Wecken. Ich bin aber schon immer früher wach, weil ich bisher noch nicht länger als 5 Stunden habe schlafen können, obwohl ich manchmal schon früher schlafen gehe. Um 7.00 gibt es Kaffee (Brot, so viel jeder will, Butter ein Klecks, ca. 60 gr., manchmal Mus oder Kunsthonig, wenn unser Umzug erst durchgeführt ist, gibt es immer richtigen Honig). Ich esse jedesmal 4 Stullen. Dann wird gearbeitet bis 12.00. Zu Mittag gibt es stets gutes Essen, viel Fleisch, viel Fett (wir haben eigenes Vieh, Schweine, Hammel, Kälber und Kühe). Da wir auch viele Kartoffeln organisiert haben, kann jeder reichlich essen. Tomaten und Gurken haben wir selber eingelegt. Unser Koch ist im Nebenberuf zu Hause Feinkosthändler und versteht alles ausgezeichnet. Je nach Lust und Laune esse ich bis drei Teller voll. Dann wird wieder bis 18.00 gearbeitet. Zum Abendbrot gibt es entweder warm: Bratkartoffeln (roh in die Schüssel mit Fett) mit Rühreiern oder sonstigen Speisen, oder kalt mit Brot und etwas Wurst. Ihr seht, für unser leibliches Wohl ist gesorgt. Wir bekommen die Wehrmachtsverpflegung, die nicht übermäßig, aber ausreichend ist, und besorgen uns daneben etwas Zusatz. Ich glaube, es reicht alles über den Winter. Augenblicklich machen 600 Gänse auf dem Hof großen Krach. Eure Weihnachtsgans (Gänse?) werden hoffentlich dabei sein. Wenn es geht, bringe ich sie selber. Wenn nicht, werde ich schon dafür sorgen, daß ihr sie rechtzeitig erhaltet.
Den Abend verbringen wir dann entweder mit Kartenspiel, Saufen oder Zusammensitzen mit dem Chef. Ich muß viel beim Chef sein. Wenn er Kartenspielen, Kaffeetrinken oder Schnapstrinken will, müssen einige Führer [bei] ihm sein. Da kann man sich nicht absondern. Ich glaube, ich habe soweit einen guten Eindruck gemacht. Die ersten paar Tage war ich allerdings müde und schnell fertig. Dann ist es mir aber gelungen, die Nächte durchzuhalten und als Letzter das Feld zu verlassen. Über die Schießerei habe ich Dir schon berichtet, daß ich auch hier nicht versagen durfte. Im Großen und Ganzen haben sie erklärt, daß sie jetzt endlich als Verwaltungsführer einen Kerl bekommen hätten, nachdem der frühere ein Feigling gewesen sei.
So werden hier die Menschen beurteilt. Anders, als bei uns. Ihr könnt aber Vertrauen auf Euren Papa haben. Er denkt stets an Euch und schießt nicht über das Maß hinaus. So ist unser Leben. Wir kommen nicht aus dem Bau heraus, bis auf Kinobesuche, Theater oder Einladungen bei Dienststellen oder Offizieren.
In der Stadt ist absolut nichts los. Der Sonntag ist genau wie der Wochentag. Wie schön ist es doch bei Euch zu Hause. Was macht mein Garten? [...]
Daß Herr Kern nach Frankreich kommen soll, ist nett. Ich glaube, für den Osten wäre er zu weich. Jedoch, hier ändern sich die Menschen. Blut kann man dann schon bald sehen, nur Blutwurst ist bei uns nicht beliebt.
Nun seid schön gegrüßt. In der nächsten Zeit werden meine Päckchen (10 Päckchen, 2 Pakete) hoffentlich eintreffen. Ich kann vorläufig nichts mehr schicken, da nichts verkauft werden darf. Was ich Euch geschickt habe, wird ja eine Weile reichen. Bis dahin kommt wieder eine Gelegenheit.
Hoffentlich kommt das Päckchen für Wurzel noch zum Geburtstag zurecht. Ich würde mich riesig freuen.
Für die Kinder viele Küßchen und Grüße.
Für die liebe Mutti einen langen und innigen Kuß.
Ihr seid mein Alles
Euer Papa.
Brief Nr. ?
O. U., den 19. Oktober 1942.
Liebe Mutti! Liebe Kinder!
Ich will Euch schnell einen Brief schreiben, damit Ihr nicht denkt, der Papa hat Euch vergessen. Ich habe augenblicklich sehr viel zu tun. Ich hoffe aber, daß es sich in zwei Wochen gelegt haben wird. Dann ist der Laden aufgeräumt,und ich kann ein bißchen nach meiner Berechnung leben und mir die Arbeit einteilen.
Wenn man nur nicht immer um die hohen Herren herum sein müßte. Sonnabend ging es wieder die Nacht hindurch. Den ganzen Tag danach ist man müde und abgespannt. Dabei ist unser Chef insofern zugänglich, als er nicht das unmöglichste verlangt und auch sonst sehr gefällig ist. Am Sonntag haben wir geschmaust.
Es gab Gänsebraten. Ich habe zum Frühstück, zum Mittag, kalt zum Nachmittag, Gänsebraten gegessen. Am Abend aß ich dann Fisch. Der beste Braten schmeckt auf die Dauer nicht. Überhaupt braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen, daß wir hier schlecht leben. Unser Dienst verlangt es, wie ich es Euch ausführlich beschrieben habe, daß wir gut essen und trinken. Sonst gehen unsere Nerven durch. Euer Papa wird schon sehr aufpassen und Maß und Ziel halten. So schön ist das alles gar nicht. Ich würde viel lieber schlafen.. In dieser Woche habe ich Offizier vom Dienst und muß in der Nacht mehrere Kontrollen machen. Wir können den Russen in unserer Gegend nicht allzusehr trauen. Bisher ist aber nichts passiert, sie haben zu großen Respekt vor uns. Wir sind berüchtigter als ihre alte Tscheka oder GPU. [Die GPU, die politische Polizei der UdSSR, war 1922 aus der Tscheka hervorgegangen; d. Hrsg.]
Wenn ich nur wieder schon bei Euch wäre. Das Leben ist sehr eintönig und öde. Den ganzen Tag hocke ich bis auf die paar Ausnahmen in der Bude. Selbst das Skatspielen ist nicht mehr reizvoll wie am Anfang. Ich denke an Euch sehr viel und hoffe, daß in der Zwischenzeit nun endlich die ersten Pakete bei Euch eingetroffen sein werden. Am meisten Freude würde ich haben, wenn das Paket für Wurzel zur rechten Zeit eintreffen würde. Für die liebe Dagi-Muckerle habe ich entweder schon ein Weihnachtsgeschenk, wenn ich selber komme, oder sonst ein Geburtstagsgeschenk. Die Mutti darf es aber nicht verraten (ein Kinderfahrrad, alt, wird hergerichtet). Ich glaube, die Freude wird groß sein. Sie bekommt es aber nur, wenn Sie immer lieb ist und viel einholen geht. Meinen Kameraden, die in Urlaub fahren, habe ich so allerlei Wünsche mit auf den Weg gegeben. Da werden hoffentlich eines Tages sogar Schuhe aus dem Protektorat für die Kinder eintreffen. Die Mutti soll alle Pakete annehmen, auch wenn sie von fremden Menschen kommen sollten. Ich gebe nur denen unsere Heimatadresse, von denen ich weiß, daß sie Wort halten. Bei uns sind Kameraden aus ganz Groß-Deutschland. Der eine oder der andere kann doch immerhin etwas besorgen, ohne gegen die Gesetze zu verstoßen. Ihr sollt nur keinen großen Tam-Tam davon machen. Auch Dagi muß sich angewöhnen, daß sie nicht so viel auf der Straße davon spricht. An und für sich ist es ja erlaubt, daß man Pakete schickt. Der Neid der Menschen ist aber doch zu groß, daß man am besten nicht davon spricht. Für Euch sind bis jetzt 10 kleine Kilopäckchen abgegangen. Außerdem zwei große Pakete aus Deutschland und eine besondere Überraschung. Ob die letzte Überraschung klappen wird, weiß ich nicht. Die Kameraden sind bei Nacht und Nebel abgefahren. Ich konnte sie nicht mehr sprechen. Es waren aber Männer, die ihr Versprechen halten werden. Es kann sogar sein, daß einer bei Euch persönlich einen Gruß von mir ausrichtet. Da sie über Berlin kommen, werden sie auch bei den Eltern und in Reinickendorf vorsprechen. Du siehst, ich denke also auch an die Oma. Auch wenn ich nicht so oft schreibe. Die Eltern haben von mir bisher ein Butterpäckchen, 1 Zigarettenpäckchen und den besonderen Gruß erhalten. Die Besorgerei wird für den Winter schlecht werden. Ihr werdet aber mit dem, was ich Euch bisher geschickt habe, schon eine Weile auskommen. Wir selber haben großes Pech gehabt. Wir haben zwei große Fässer, in denen vorher Öl und Benzin war, mit Honig gefüllt. Obwohl die Fässer nach Angaben der Russen tadellos gesäubert und hinreichend mit warmen Wasser ausgespült worden sein sollten, schmeckt das ganze Zeug sehr stark nach Petroleum und ist ungenießbar. Das riecht nach Sabotage. Wenn wir die Kerle erwischen, werden sie ohne Gnade umgelegt. [...j Wir waren in der Zwischenzeit schon zweimal im Kino und einmal im Theater. Wir sind hier dankbar für jede Abwechslung. Von Mutti habe ich bis jetzt die Briefe Nummer eins bis zehn, ohne 2 und 9, dazu das Päckchen Nummer 1 erhalten. Schickt mir nur nicht zu viel. Auch Weihnachtspäckchen nicht, weil ich versuchen werde, auf Urlaub zu kommen. Bis jetzt kann man darüber noch nicht reden, weil es zu früh ist und ich als Anfänger überhaupt keine Wünsche vortragen darf. Die Männer hier sind aber alle lange nicht auf Urlaub gefahren und fahren jetzt, so schnell es geht. Dadurch entsteht Weihnachten eine Lücke, die ich ausnützen werde. Dabei ist das Weihnachtsfest als sozusagen kirchliches Fest nicht allzu beliebt. Wir feiern die Wintersonnenwende. Wenn es ganz schlimm mit dem Urlaub kommen sollte, muß mir die Mutti Klagebriefe schreiben und krank werden, so daß ich dringend nach dem Rechten sehen muß. Du mußt Dich aber so ausdrücken, daß ich es merke, und nicht unnötige Angst auszustehen brauche. Vorläufig haben wir erst Ende Oktober und können, wie gesagt, nicht über Weihnachten beratschlagen.
Sind die Kinder auch immer schön artig? Lernt Muckerle auch gut? Macht Volkmar nicht mehr das Bettchen naß? Er wird doch schon ein großer Mann und darf so etwas nicht mehr tun. Wie steht es mit dem Händewaschen und Zähneputzen? Nur nicht liederlich werden. Auch muß sich Dagi jetzt angewöhnen, bei Tisch artig zu sitzen und nicht den Ellenbogen aufzustützen. Wenn sie später groß ist, wird sie als deutsches Mädel viel in der Welt herumkommen. Alle Leute werden sie beobachten und von ihr lernen. Die fremden Völker merken sofort, wo eine Schwäche vorhanden ist und nützen diese dann aus. Bei kleinen Dingen fängt es an, und mit großen hört es auf. Also auch hier an sich arbeiten und immer aufpassen. Wir Deutsche sind nun einmal nach dem Willen des Schicksals das Volk der Zukunft. Wie wir unsere Kinder erziehen und wie sie sich zur Sache stellen, davon hängt die Zukunft ab, ob die vielen Gefallenen nicht umsonst gestorben sein werden. Also bring es der Dagi [bei]: viel Lernen und immer gehorsam zu den Eltern und in der Schule sein. Nur wer sich selber in der Zucht hat, kann über andere urteilen oder herrschen. Das Mädel wird jetzt 8 Jahre und muß so langsam Verständnis für solche Dinge aufbringen. Sie wird die Welt kennenlernen und viel Freude haben. [...]
Nach den Wehrmachtsberichten der letzten Zeit habt Ihr entweder immer Ruhe gehabt oder brauchtet nur in den Bunker zu gehen, ohne daß Angriffe auf Euch erfolgten. Hoffentlich bleibt Ihr auch weiterhin von Angriffen verschont. Dann bleiben auch die Fensterscheiben drin, und es wird nicht zu kalt. Dem Polizeirat bestelle einen schönen Gruß von mir. Ich hätte viel Arbeit und käme nicht zum Schreiben. Wenn Du es für nötig hältst, mit der Frau zu poussieren, dann kannst Du Dich ja anbiedern und mal ein halbes Pfund rüberbringen. Wenn nicht, soll es mir recht sein. Ich habe hier schon andere Herren kennengelernt, die mich später einmal nach Berlin holen werden (wenn sie Wort halten, was man nicht immer glauben kann), wir haben also Hoffnung. Jedenfalls haben sie hier schon alle gemerkt, daß ich meine Sache verstehe. Das ist die Hauptsache. Bisher hatten sie als Verwaltungsbeamten nur Pflaumen gehabt und glaubten, dementsprechend mit mir umgehen zu können. Sie waren teils sehr erstaunt, teils sehr zufrieden, denn ein tüchtiger Verwaltungsbeamter wird überall gern gesehen. Für mich selber springt auch etwas dabei heraus, denn die Kameraden erfüllen mir gern meine Wünsche, wie Du schon auch noch erleben wirst. Wenn nicht die dummen Gedanken über die Tätigkeit von uns hier im Lande wären, wäre der Einsatz hier für mich wunderschön und hätte auch insofern Erfolg, als ich Euch gut unterstützen kann. Da ich Dir ja schon schrieb, daß ich den letzten Einsatz und die daraus entstehende Konsequenz für richtig halte und bejahe, ist der Ausdruck: Dumme Gedanken, eigentlich auch nicht zutreffend. Es ist vielmehr eine Schwäche, keine toten Menschen sehen zu können, die man am besten dadurch überwindet, indem man öfter hingeht.
Dann wird es zur Gewohnheit. Ich bin gespannt, wie Du meinen Brief vom 13. 10. aufgenommen hast. Es wäre vielleicht besser gewesen, ich hätte ihn nicht oder erst später geschrieben. Denn je mehr man sich die Sache überlegt, desto mehr kommt man zum Schluß, daß es für uns die einzige Tat ist, die unbedingt zur Sicherheit unseres Volkes und unserer Zukunft erforderlich ist. Ich will also nicht mehr daran denken und auch nicht mehr davon schreiben. Ich mache Dir nur unnütz das Herz schwer. Wir Männer hier an der Front werden schon den richtigen Weg gehen. Der Glaube an den Führer erfüllt uns und gibt uns Kraft zu unserer schweren und undankbaren Aufgabe. Denn überall, wo wir hinkommen, werden wir etwas schräg angesehen. Das soll uns auch nicht von der Erkenntnis abbringen, daß es notwendig ist.
Es ist spät geworden. Ich werde schließen. Morgen früh, am 20. 10., geht der Brief noch weg. Wenn wir Glück haben, kann er zum 25. bei Euch sein. Er soll Euch zeigen, daß meine ganzen Gedanken um Euch kreisen. Ihr seid Inhalt meines privaten Lebens.
Euch gelten meine besten Grüße
und alle meine Liebe
Euer Papa.
„Die Einsatzgruppen bzw. -kommandos sind berechtigt, im Rahmen ihres Auftrages in eigener Verantwortung Exekutivmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung zu treffen. Sie sind zu enger Zusammenarbeit mit der Abwehr verpflichtet.“
Weisung des Chefs des Oberkommandos des Heeres, Walther von Brauchitsch, betreffend den Einsatz der Sicherheitspolizei und des SD, 28. April 1941
„1. Der Bolschewismus ist der Todfeind des nationalsozialistischen deutschen Volkes. Dieser zersetzenden Weltanschauung und ihren Trägern gilt Deutschlands Kampf.
2. Dieser Kampf verlangt rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden und restlose Beseitigung jeden aktiven oder passiven Widerstandes.“
Auszug aus den »Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Rußland« des Oberkommandos der Wehrmacht, 19. Mai 1941
„Das Judentum bildet den Mittelsmann zwischen dem Feind im Rücken und den noch kämpfenden Resten der Roten Wehrmacht und der Roten Führung. Es hält stärker als in Europa alle Schlüsselpunkte der politischen Führung und Verwaltung, des Handels und des Handwerks besetzt und bildet weiter die Zelle für alle Unruhen und möglichen Erhebungen. […]
Für die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum, dem geistigen Träger des bolschewistischen Terrors, muss der Soldat Verständnis aufbringen. Sie ist auch notwendig, um alle Erhebungen, die meist von Juden angezettelt werden, im Keime zu ersticken.“
Auszug aus dem Armeebefehl des Oberbefehlshabers der 11. Armee, Erich von Manstein, 20. November 1941 (StA Nürnberg)
An die Gruppe A in Riga
Betr.: Exekutionen bis zum 1. Februar 1042 durch das EK [Einsatzkommando] 3.
Bezug: Dortiges Fs Nr. 1331 vom 6.2.42
A.: Juden 136.421
B: Kommunisten 1064 (darunter 1 Kommissar, 1Oberpolitruck , 5 Politruck)
C: Partisanen 56
D: Geisteskranke 653
E: Polen 44, russische Kriegsgefangene 28, Zigeuner 5, Armenier 1 Gesamtzahl: 138,272, darunter Frauen 55.556, Kinder 34464.“
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