Die Unterrichtseinheit bietet ein Konzept zur pädagogischen Vermittlung von Täterschaft. Dabei wurde ein multiperspektivischer Zugang gewählt, der sich nicht darauf beschränkt, das Handeln eines bestimmten Personenkreises, nämlich der Täterinnen und Täter zu beleuchten, sondern auch das anderer Akteure.
Die Grundlage der Unterrichtsmaterialien bildet ein konkretes historisches Ereignis im Kontext der Shoah, nämlich das Massaker, das deutsche Polizisten und Wehrmachtsangehörige wenige Tage nach Beginn des Unternehmens Barbarossa im Sommer 1941 an der jüdischen Bevölkerung von Bialystok verübten. Der Fokus wird auf die Handlungen und Entscheidungen verschiedener Akteure, die an diesem Tag in Bialystok anwesend waren, gerichtet, ohne aber eine Gleichstellung der unterschiedlichen Gruppen zu erzeugen. Die Lernenden sollen sich selbständig mit verschiedenen Handlungsoptionen auseinandersetzen und diese zu den tatsächlich stattgefundenen Handlungen und getroffenen Entscheidungen in Beziehung setzen, um die Komplexität des Spektrums möglicher Handlungsoptionen zu erkennen. Ziel ist es, die Handlungen und Entscheidungen der beteiligten Personen kontextgebunden einzuordnen.
Ein weiterer Teil der Unterrichtseinheit beschäftigt sich mit der Nachkriegszeit, insbesondere mit dem in Wuppertal durchgeführten Prozess von 1967/68 gegen Angehörige des Kölner Polizeibataillons 309. Schülerinnen und Schüler setzen sich mit der Frage auseinander, wie die jeweiligen Personen mit ihrer Vergangenheit umgegangen sind und wie sie sich in den Nachkriegsjahrzehnten dazu verhalten haben. Auch hier steht ein multiperspektivischer Zugang im Vordergrund. Aussagen von ehemaligen (oder noch immer aktiven) Polizisten werden Aussagen von jüdischen Überlebenden gegenübergestellt. Damit soll darauf aufmerksam gemacht werden, wer sich aus welcher Perspektive und weshalb an die Ereignisse in Bialystok erinnert hat. So wird deutlich, wie unterschiedlich sich die Erfahrungen der Shoah in der Gegenwart der einzelnen Personen manifestierten und welche Bedeutung sie im Leben des Einzelnen einnahmen. Schließlich verweisen die Materialien auch auf gesamtgesellschaftliche Fragestellungen. Auf Basis der erarbeiteten Erkenntnisse lassen sich allgemeinere Rückschlüsse über Stabilität oder Verschiebung gesellschaftlicher Normvorstellungen ziehen, die zu einem Gegenwartsbezug einladen. Im besten Fall wird so ein Sich-ins-Verhältnis-setzen und In-Dialog-treten mit der Vergangenheit möglich.
Obwohl im Zentrum dieser Unterrichtseinheit nicht die Beschäftigung mit individuellen (jüdischen) Lebensgeschichten steht, die als biografisches Kontinuum des Lebens vor, während und nach der Schoah vermittelt werden, sollen die Lernenden in einem ersten Arbeitsschritt dennoch einen Einblick in das Alltagsleben von Jüdinnen und Juden in Bialystock vor dem Einsetzen der Shoah erhalten. So werden sie dabei unterstützt, eine kognitive Empathie für deren Erfahrungen während der Shoah einzunehmen.
Das Unterrichtsmaterial besteht aus drei Teilen. Der zweite (Bialystok – 27. Juni 1941) und dritte (Bialystok – Auswirkungen nach 1945) Teil der Einheit stehen in gedruckter Version zur Verfügung und können unter folgendem Link bestellt werden.
Der erste Teil der Einheit – Jüdisches Leben in Bialystok bis 1941 – steht online, durch die hier vorliegende virtuelle Lernumgebung, zur Verfügung.