1. Kapitel (S. 1-4): Kindheit vor dem Krieg (Farbe: rosa)
Seite 1-2 (Hannah stellt sich vor):
Anmerkung für den Lehrer:
Auf der ersten Seite offenbart Hannah ihre Identität wie auf einer Kennkarte: ihren Namen, den Namen ihrer Eltern, ihren früheren Kosenamen, ihre Geburtsstadt in Polen und die Tatsache, dass während ihrer Kindheit Juden und Polen in der Stadt zusammen lebten. Diese Informationen bilden die Einführung zu dem Buch und gleichsam zu Hannahs Person, die den Leser durch die Geschichte begleitet, sowie den Hintergrund zu der Welt, die Hannah im Krieg verloren hat.
Der Lehrer bittet die Kinder, das Buch auf den Seiten 1-2 zu öffnen, und die beiden Photos zu betrachten. Dabei erzählt er in einer Weise, die die Neugier der Kinder weckt, von Hannah und ihren Eltern Herschel und Sissel Herschkowitz, die ihr Kind bei dem Kosenamen Haneczka riefen. Die Familie lebte in der kleinen polnischen Stadt Biala Rawska, in der damals Juden und Polen zusammen lebten.
Variante/Anmerkung für den Lehrer:
Diese Stunde kann auch mit der Betrachtung und Lektüre der letzten Seite (S. 36) begonnen werden. Hier wird Hannah Gofrith als Großmutter vorgestellt, die in Tel Aviv (Israel) lebt und auf dem Foto mit ihrem Sohn und ihren Enkelkindern zu sehen ist. Dieser Einstieg ist schonender für die Schüler: Sie nehmen die Geschichte von Anfang an in der Gewissheit auf, dass sie ein sicheres und vertrautes Ende hat, von dem aus nun zurück gegangen wird in die Zeit, in der sich die schreckliche Geschichte selbst abspielte.
Der Einstieg in die Geschichte mit der Beschreibung der Vorkriegszeit (S.1-2, siehe oben) bietet dem jungen Leser weniger Schutz, da er weniger Klarheit über den Ausgang der Geschichte hat.
Wer sich für diese Variante entscheidet, setzt die Stunde mit dem oben beschriebenen Einstieg fort.
S.3-4 (Hannahs Kindheit vor dem Krieg):
Wer sich für diese Variante entscheidet, setzt die Stunde fort mit dem Einstieg wie oben beschrieben.
Anmerkung für den Lehrer:
Auf diesen Seiten erfährt der Leser mehr über Hannahs Leben und die polnische Stadt, in der sie vor dem Krieg lebte. Dieser Abschnitt enthält vier wichtige Elemente:
- Die Vorkriegswelt
Hannah wuchs in einer Welt auf, die seit dem Holocaust so nicht mehr existiert. Die Namen der Menschen und Orte, die Hannah in der Geschichte nennt, sind uns heute nicht vertraut, und niemand mehr benutzt sie. Sie bilden ein wesentliches Element: über das Vertrautwerden mit diesen Namen machen wir uns vertraut mit Hannahs Welt, in der diese Namen ein Teil der Sprache der Menschen waren, und beginnen, diese Welt zu respektieren.
- Die Stadt
Durch Hannahs Beschreibung bekommen die Schüler einen Eindruck von der Stadt, so wie Hannah sich an sie erinnert: eine kleine Stadt malerischen Charakters und mit heimeliger Atmosphäre.
- Eine gewöhnliche Kindheit
Die Schüler verstehen, dass Hannah trotz des Etiketts „Überlebende des Holocaust“ bis zu dem Augenblick, in dem der Krieg ausbrach, eine gewöhnliche Kindheit hatte.
- Kriegsausbruch und Verlust der Kindheit
Der letzte Absatz dieses Kapitels ist entscheidend für das Verständnis, dass der Krieg schlagartig die glückliche Kindheit Hannahs und die vieler anderer Überlebender des Holocaust beendete.
Impuls | Erwartungshorizont möglicher Antworten |
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Beschreibt das Kind Hannah | Gewöhnlich, begabt (Lieder und Gedichte), glücklich, geliebt |
War Hannahs Kindheit der deinen ähnlich? | Ähnlichkeiten: Spiele, Lieder, typische Kinderbeschäftigungen Unterschiede: Als jüdisches Kind unter Nicht-Juden, Leben in einer Minderheit |
Wie beschreibt Hannah das Leben in ihrer Stadt? | Malerische Kleinstadt mit Fluss und Marktplatz, gemischte jüdische und nicht-jüdische Bevölkerung |
Wie beschreibt sie ihr Verhältnis zu den polnischen (nicht-jüdischen) Nachbarn? | Das Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden bildet einen festen Bestandteil in Hannahs Leben. Ihre beste Freundin Marischa ist Polin. |
Wie beschreibt Hannah den Kriegsausbruch? | Abruptes Abbrechen der Kindheit, komplette Veränderung ihrer Situation (Erst im Laufe des Buches wird das Ausmaß klar.) |
2. Kapitel (S. 5-6): Besetzung der Stadt, Kennzeichnung der Juden mit dem gelben Stern (Farbe: gelb)
Anmerkung für den Lehrer:
Im vorangegangenen Kapitel sagt Hannah, ihre Welt sei zusammengebrochen. Der Kriegsausbruch bedeutete einen Wendepunkt ihrer Kindheit. Diese Beschreibung ist charakteristisch für viele Zeugenberichte Überlebender, die ihre Kindheit im Rückblick aufspalten in ihre „normale“ Kindheit und die Zeit, in der diese durch Verfolgung und Krieg massiv erschüttert und schließlich abgebrochen wurde.
In diesem Kapitel begegnet Hannah erstmals dem Konzept des „Gelben Sterns“, den Hannahs Mutter an ihrem Mantel und dem ihres Mannes – Hannahs Vater – annäht. Hannah stellt neugierige Fragen zu dem Stern, einer ihr bislang unbekannten Realität, erhält aber eine ungeduldige und gereizte Reaktion und im Grunde keine wirkliche Antwort auf ihre Fragen.
Von dem kurzen, angespannten Dialog zwischen Hannah und ihrer Mutter können die Schüler noch nicht die volle Bedeutung und die historischen Hintergründe der Anordnung zur Kennzeichnung der Juden mit dem „Gelben Stern“ ableiten. Dies wird erst im weiteren Verlauf der Lektüre klar werden. An diesem Punkt der Geschichte soll lediglich begriffen werden, dass der „Gelbe Stern“ Spannungen und Verunsicherung verursacht und für Hannah und ihre Familie eine böse Neuigkeit darstellt.
Die Juden werden von Anordnungen und Restriktionen bedrängt, und Hannah ist mit einer neuen, ihr völlig unvertrauten Situation konfrontiert. Sie ist gezwungen, sich in einer komplexen Realität zurechtzufinden, ohne auf all ihre Fragen Antworten zu erhalten. Die Zeichnung am Ende des Kapitels verdeutlicht, dass nun neue, unveränderliche Tatsachen geschaffen wurden, an denen nicht zu rütteln ist. Obwohl wir nicht allzu viel erfahren darüber, was Hannah empfindet, so verstehen wir doch anhand des kurzen Dialogs zwischen ihr und ihrer Mutter, warum nach Hannahs Empfinden ihre Kindheit damals endete.
Gemäß unseres altersangepassten pädagogischen Ansatzes ist die Beschreibung der Atmosphäre, in der das Gespräch über den gelben Stern zwischen Hannah und ihrer Mutter abläuft, ausreichend, um in dieser Altersstufe ein erstes Verständnis zu erreichen. Zusätzliche historische Hintergründe werden in höheren Klassenstufen gegeben.
Impuls | Erwartungshorizont möglicher Antworten |
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Warum reagiert Hannahs Mutter gereizt auf Hannahs Fragen? | Angst der Mutter vor Krieg, dem “Gelben Stern“, der Zukunft. Ungewissheit über die exakte Bedeutung der einzelnen Anordnungen, globales Gefühl der Bedrohung. Ungehaltenheit der Mutter, weil sie spürt, dass sie keine guten Antworten für ihre Tochter hat. |
3. Kapitel (S. 7-9): Umsiedlung der Juden ins Ghetto (Farbe: blau)
Anmerkung für den Lehrer:
Dieses Kapitel behandelt das Thema der Ghettos. Drei Gesichtspunkte sind hier von Bedeutung:
- Von der Geschichte des Einzelnen zur Geschichte des Holocaust:
Bis zu diesem Punkt standen Hannah und ihre Familie im Zentrum. Dieses Kapitel weicht in gewisser Weise vom Hauptstrang der Geschichte ab, da Hannahs Familie selbst nicht im Ghetto lebte. Die Abweichung ist also bewusst eingeschaltet, um den Leser auch mit dem Konzept Ghetto vertraut zu machen. Das Leben der Mehrheit der Juden, die ins Ghetto umgesiedelt wurden, wird durch das Schicksal von Hannahs entfernter Familie (Großmutter, Tanten, Onkel und Cousine) illustriert.
- Das Thema wird schrittweise eingeführt:
Zunächst wird erzählt, wie die Juden im Ghetto gezwungen waren, ihr Eigentum weit unter Wert zu verkaufen, etwas später wird erwähnt, dass „viel zu wenig“ Lebensmittel ins Ghetto gelangten, und erst am Ende des Kapitels wird explizit klar, dass Hannahs Mutter Suppe „an die hungernden Familien verteilte.“
Diese schrittweise Hinführung hilft den Schülern, mit dem Thema Ghetto und den schwierigen Lebensumständen dort besser zurechtzukommen.
- Die besondere Stellung von Hannahs Familie bietet einen erweiterten Blick auf das Phänomen Ghetto.
Der Schüler gewinnt einen Einblick in die schwierigen, und manchmal ungleichen Bedingungen, unter denen Juden im Ghetto lebten, sowie in die gegenseitige Hilfsbereitschaft unter den Juden. Das besondere Schicksal von Hannahs Familie lässt sich durch die allgemeine Geschichte nachvollziehen, und durch die Ausnahmesituation wird die Regel sichtbar.
Impuls | Erwartungshorizont möglicher Antworten |
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Wie beschreibt Hannah die Situation im Ghetto? | Verbot, das Ghetto zu verlassen, Hunger, Schwarzmarkt. Ungleiche Bedingungen: Hannahs Familie zunächst bessergestellt, unterstützt konsequent und gewissenhaft die bedürftigen Menschen im Ghetto |
Warum musste Hannahs Familie nicht ins Ghetto ziehen? | Interesse der Nazis, die handwerkliche Begabung der Näherin für ihre Zwecke auszunutzen, daher Erlaubnis, außerhalb des Ghettos zu wohnen |
4. Kapitel (S. 12-13): Hannahs Ausschluss von der Schule (Farbe: grün)
Hannah lernt mit ihrem Vater zu lesen (eine Illustration aus dem Buch)
Anmerkung für den Lehrer:
Mit diesem Kapitel rückt wieder Hannahs persönliche Geschichte in den Mittelpunkt des Geschehens. Als Sechsjährige geht sie am ersten Schultag gemeinsam mit ihrer polnischen Freundin Marischa zur Schule, wird aber als Jüdin nicht eingelassen und öffentlich vor allen Kindern auf demütigende Weise abgewiesen.
Das Kapitel enthält vier wichtige Elemente:
- Die Bedeutung des “Gelben Sterns“
Zunächst scheint es, als würde die Geschichte eines gewöhnlichen Schulanfangs einer Erstklässlerin erzählt werden. Bald stellt sich jedoch heraus, dass die Tatsache, dass Hannah jüdisch ist, ihr ein außergewöhnliches Schicksal vorausdiktiert, anders als das ihrer polnischen Freunde, und sie vom Schulbesuch abhält. Auf diese Weise wird die Bedeutung des „Gelben Sterns“, die im vorausgehenden Kapitel noch unklar bleibt, deutlich: Er isoliert und demütigt die Juden. Dies betrifft nicht nur die Gruppe der Juden im Allgemeinen: Diesmal erfährt Hannah eine persönliche Verletzung.
- Zuschauer und Mitläufer
Dieses Kapitel erzählt auch über jene, die als Zuschauer oder Mitläufer Zeugen des Mordes an den Juden wurden. Der Schuldiener, den Hannah schon aus der Zeit vor dem Krieg kennt, hält sie davon ab, die Schule zu betreten. Dies bedeutet einen Vetrauensbruch an Hannah: Nach bisherigen Normen sind es die Erwachsenen, die die Kinder in Schutz nehmen. Hier verletzt der Schuldiener Hannah in aller Öffentlichkeit, und dazu kommt, dass ihre dabei stehenden Freunde sie ignorieren und ihr nicht zur Hilfe kommen.
- Rollentausch zwischen Hannah und ihren Eltern
Hannah schützt ihre Eltern, indem sie ihnen verschweigt, dass der Schuldiener sie abgewiesen hat – vielleicht, um sie nicht zusätzlich zu bedrücken. Während des Holocaust gerieten Kinder in vielen Fällen in die Lage, ihre Eltern schützen und manchmal sogar unterstützen zu müssen. Die natürliche Ordnung, nach der Eltern ihre Kinder schützen und begleiten, war in vielen Fällen verdreht.
- Die Erinnerung an den Vater
Von der zärtlichen, warmen Erinnerung, die Hannah an ihren Vater hat, kann ein wenig Trost abgeleitet werden. Obwohl der Vater, wie aus dem weiteren Verlauf der Geschichte hervorgeht, nicht überlebte, prägt die vor allem von ihm erdachte und durchgeführte, liebevolle Alternative zu dem Unterricht, von dem Hannah so schroff abgewiesen wurde, entscheidend Hannahs Kindheitserinnerungen, vor allem jene an den Vater. Diese begleiten Hannah durch ihr gesamtes Leben und bilden damit den Trost, dass die Nazis zwar Hannahs Vater ermordet haben, Hannahs Erinnerung an ihn aber nicht auslöschen konnten.
Impuls | Erwartungshorizont möglicher Antworten |
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Was fühlt Hannah in dem Moment, als der Schuldiener ihr den Eintritt in die Schule verwehrt? | Hannah spürt den Vertrauensbruch. Normverletzung: Statt Schutz erfährt sie Demütigung vor all ihren Freunden durch einen Erwachsenen. Isoliertheit. |
Was fühlt Hannah ihrer Freundin Marischa und den anderen Kindern gegenüber? | Auch hier Vertrauensbruch: Ihre Erwartungen an ihre Freunde werden enttäuscht. |
Warum sagt Hannah ihren Eltern nicht die Wahrheit? | Hannah will sie nicht bedrücken. Wieder Normverletzung: Das Kind beschützt die Eltern, nicht umgekehrt. |
Worin liegt die Bedeutung von Hannahs Erklärung „Ich weinte nicht!“ | Hannah kann bereits im Alter von sechs Jahren kein Kind mehr sein. Plötzliche Frühreife ist ein typisches Phänomen bei Kindern, die während des Holocaust aufwuchsen. Hannah beschützt ihre Eltern, und sie weint nicht, wenn sie verletzt wird. Gleichzeitig versuchen ihre Eltern, ihrem Kind weiterhin ein „normales“ Umfeld zu bieten: feierlicher, fröhlicher „Schulbeginn“ zu Hause. |