6. Kapitel (S. 14-15): Deportation der Juden der Stadt (Farbe: grau)
Anmerkung für den Lehrer:
In diesem Kapitel wird wieder abgewichen vom Hauptstrang der Geschichte (Hannahs Familie) zur allgemeinen Geschichte der polnischen Juden.
Zwei Gesichtspunkte sind hervorzuheben:
- Die Deportation der Juden in das Vernichtungslager Treblinka
Hannah verliert ihre gesamte entfernte Familie, wobei die polnische Bevölkerung (hier: die Fahrer der Pferdewagen) gleichgültig zusehen und mit den Deutschen kollaborieren.
Das Kapitel geht jedoch nicht ins Detail, was die Beschreibung der Vernichtungslager und die Ermordung der Juden anbelangt. Dieser Vorgang wird erwähnt, aber nicht vertieft, um die Schüler emotional nicht zu überfordern.
Manche Lehrer halten es vielleicht für verfrüht, den Massenmord an den Juden zu erwähnen. Sie sollten dann das Kapitelüberspringen und mit dem darauffolgenden Kapitel fortfahren. Anderen Lehrern mag es wichtig erscheinen, ihrer Klasse diese Information zu geben. Wir empfehlen, die Frage, ob dieses schwierige Kapitel in der Klasse gelesen oder übersprungen werden soll, im Voraus gründlich zu erwägen.
- Die Erinnerung an die verlorene Welt
Hannah beschreibt, wie Fotografien der deportierten Juden verstreut auf der Straße vor dem Fotoatelier liegen. In zwei Sätzen wird hier die Frage nach dem Gedenken an den Holocaust und der Erinnerung an die verlorene jüdische Welt vor dem Holocaust aufgeworfen. Hier ist Raum für eine Diskussion mit den Schülern darüber gegeben, wie wir die Erinnerung an die ermordeten Juden, deren Fotografien im Wind verstreut wurden, lebendig erhalten können.
Impuls | Erwartungshorizont möglicher Antworten |
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Was wird Hannah wohl empfinden, als sie ihre beiden Eltern weinen sieht? Ist es normal, die Eltern weinen zu sehen? | Schwierig für Kinder, die Eltern weinen zu sehen, und in den meisten Familien unüblich und verbunden mit traumatischen Wendepunkten im Leben der Familie. |
Im ersten Kapitel erfahren wir, dass Juden und Polen in Biala Rawska gute nachbarschaftliche Beziehungen hatten. Was wird hier in diesem Kapitel beschrieben? | Die polnischen Fahrer der Deportationswagen brachten ihre jüdischen Nachbarn an ein ihnen unbekanntes Ziel. Gleichgültigkeit der Polen dem Schicksal der Juden gegenüber. |
Warum erwähnt Hannah die Fotografien aus dem Fotoatelier? | Die verstreuten Bilder symbolisieren den Verlust der jüdischen Welt. Das jüdische Volk sollte spurlos vernichtet werden, es sollte kein Grab, kein Denkmal, keine persönlichen Dokumente/Fotografien das jüdische Leben bezeugen. |
7. Kapitel (S. 16-19): Flucht und Versteck (Farbe: braun)
Anmerkung für den Lehrer:
Das Kapitel führt zurück zu Hannahs Familiengeschichte.
Es enthält zwei zentrale Aspekte:
- Strategie der Imaginationskraft in dramatisch sich verschlechternder Situation
Bisher war Hannah relativ geborgen und von den Auswirkungen des Holocaust persönlich noch kaum betroffen. Nun verändert sich ihre Situation entscheidend. Obwohl sie noch mit ihren Eltern zusammen sein kann, sind deren Möglichkeiten, ihrer Tochter Schutz zu bieten, sehr begrenzt: Sie sind selbst auf die Hilfe von Fremden angewiesen. Die Lage der Familie verschlimmert sich drastisch.
Hannah bedient sich einer Strategie, die häufig von Kindern benutzt wird, um mit Stresssituationen zurecht zu kommen: ihrer Phantasie. Versteckt in der Enge des Kartoffelsacks, redet sie sich selbst Mut zu: „Ich bin eine Kartoffel. Sich zu bewegen ist verboten – Kartoffeln bewegen sich nicht. Kein Mucks – Kartoffeln sprechen nicht...“ Obwohl die Situation bedrohlich ernst ist, leitet Hannah aus ihrer Vorstellung die Kraft ab, mit ihrer Angst fertig zu werden.
- Zuschauer und Retter
Es muss deutlich werden, dass die polnische Bevölkerung auf unterschiedliche Weise auf die dramatische Situation der Juden reagierte. Im bisherigen Verlauf der Geschichte konnten die Leser zwei Beispiele dafür kennen lernen, dass die polnischen Nachbarn den Juden nicht zu Hilfe kamen: den Schuldiener und die Fahrer der Pferdewagen.
Hier lernen wir eine Frau kennen, die hilft, obwohl sie sich dabei selbst in Gefahr bringt. Sie bleibt nicht länger gleichgültiger Zuschauer, sondern bietet ihre Hilfe an, wobei sie sich selbst und ihre eigene Familie gefährdet. Den Schülern muss klar vor Augen geführt werden, dass die Strafe, die der Frau im Fall einer Entdeckung durch die Deutschen bevorsteht, der Tod ist. Ebenso wichtig ist es, den Schülern klar zu machen, dass es nicht viele waren, die während des Holocaust Juden retteten. Jeder Jude jedoch, der während des Holocaust versteckt wurde, erhielt Hilfe durch einen oder mehrere Nicht-Juden, Gerechte unter den Völkern, die sich selbst in Gefahr brachten, um Juden zu helfen.
(Für weiterführende Informationen bzw. Rettungsgeschichten finden Sie auf unserer Homepage unter „Die Gerechten unter den Völkern“).
Impuls | Erwartungshorizont möglicher Antworten |
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Hannah erzählt, wie sie, am Höhepunkt von Krieg und Verfolgung, von ihrer Mutter ein neues Kleid bekommt, und wie glücklich sie darüber ist. Wie erklärst du dir das? | Hannah ist trotz der harten Kriegsrealität noch Kind, das sich über ein neues Kleid freut. Evtl. bietet ihr das Kleid auch die Gelegenheit, für wenige Momente aus ihrem schwierigen Alltagsleben zu fliehen (vgl. Hannahs Tanz auf dem Tisch). |
Im bisherigen Verlauf der Geschichte haben wir zwei Beispiele dafür kennen gelernt, dass die polnischen Nachbarn den Juden nicht zu Hilfe kamen: den Schuldiener und die Fahrer der Pferdewagen, auf denen die Juden in den Osten transportiert wurden. In diesem Kapitel erfahren wir, dass es Leute gab, die Hannahs Familie helfen wollten. Was wäre ihnen passiert, wenn die Deutschen sie entdeckt hätten? | Obwohl die polnische Frau dies nicht explizit ausdrückt: Auf das Verstecken von Juden stand Todesstrafe. |
Was bedeutet es, Juden in einem sozialen Umfeld zu helfen, in dem nicht jeder bereit wäre, so zu handeln? | Erfordernisse auf praktischer Ebene: finanzielle Quelle, Netz von zuverlässigen Mithelfern, Fähigkeit zum absoluten Geheimhalten. Persönliche Anforderung: Fähigkeit, gegen den Strom zu handeln und Juden zu helfen, wenn die allgemeine Tendenz ist, sich ihnen gegenüber gleichgültig oder abweisend zu verhalten. |
Hannah beschreibt, wie sie sich von ihren Eltern trennen musste, um sich in einem Kartoffelsack zu verstecken. Wie ging es ihr in dem Versteck? Wie ging sie mit ihrer Angst um? | Hannah bekämpft ihre tiefe Angst, indem sie sich vorstellt, sie sei eine Kartoffel. So übersteht sie die nervenzehrende Zeit in dem Sack, bis sie zu ihren Eltern zurückkehrt. |
8. Kapitel (S. 20-23): Trennung vom Vater (Farbe: schwarz)
Anmerkung für den Lehrer:
In ihrer zunehmend sich verschärfenden Situation sieht Hannahs Familie sich gezwungen, sich zu trennen. Das menschliche Dilemma, vor dem die Familie steht, ist die Frage, ob es sinnvoll ist, um jeden Preis zusammenzubleiben, oder ob sich ihre Überlebenschancen erhöhen, wenn sie sich trennen. Hannahs Eltern sind in dieser Frage nicht einer Meinung, am Ende trifft der Vater die Entscheidung, sich von der Familie zu trennen und sich den Partisanen anzuschließen, da gefälschte Papiere nur für zwei Personen zu beschaffen sind.
Drei Aspekte kommen in diesem Kapitel zur Sprache:
- Menschliche Dilemmata
Die Diskussion menschlicher Dilemmata ist ein wesentliches Element beim Unterrichten des Holocaust. Die Bedeutung dieser Diskussionen liegt nicht darin, mit der Klasse zu entscheiden, welche Entscheidung wohl „die Richtige“ wäre. Im Gegenteil, es ist wichtig, die Schüler von jeder Form der Verurteilung abzuhalten. Das Gespräch über Dilemmata soll die Schüler näher an die Personen, deren Geschichte sie kennen lernen, heranbringen und ein tieferes Verständnis für ihr Handeln und schließlich Empathie ermöglichen.
Je jünger die Schüler, desto mehr Vorsicht ist geboten bei der Diskussion menschlicher Dilemmata in der Klasse. Das Gespräch muss der kognitiven Entwicklungsstufe der Schüler angepasst sein.
- Retter
Die Leser lernen weitere Personen kennen, die bereit sind, eigenes Risiko auf sich zu nehmen, um Hannah und ihrer Familie zu helfen.
- Verkehrung der Rollen zwischen Hannah und ihrem Vater
Hannah versucht, ihren Vater davon zu überzeugen, dass er bei der Familie bleibt. Sie warnt ihn vor den Gefahren, die ihm im Wald bei den Partisanen drohen. Sie möchte ihren Vater schützen.
Hier liegt ein weiteres Beispiel für die Verkehrung der Rollen zwischen Eltern und Kindern vor, eine für den Holocaust charakteristische Erscheinung (vgl. 4. Kapitel).
Impuls | Erwartungshorizont möglicher Antworten |
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Warum besteht Hannahs Vater darauf, seine Frau und seine Tochter zu verlassen, um sich den Partisanen anzuschließen? | - Unsicherheit des Versteckes, täglich wächst die Gefährdung der Familie. - Schwierigkeit bei der Beschaffung zusätzlicher gefälschter Ausweispapiere für den Vater. |
Wie reagiert Hannah auf die Idee des Vaters? | Sie versucht ihn davon abzubringen, sorgt sich um ihn, möchte ihn schützen. |
9. Kapitel (S. 24-25): Im Versteck in Warschau (Farbe: violett)
Anmerkung für den Lehrer:
Das Kapitel beschreibt das Leben von Hannah und ihrer Mutter im Versteck in der Großstadt Warschau. Zwei wesentliche Aspekte werden herausgestellt:
- Die Retter
Hier wird beschrieben, welchen Preis im Alltagsleben die Familie zu zahlen hatte, die Hannah und ihre Mutter versteckten. Abgesehen von dem permanenten Risiko, entdeckt zu werden und für ihr Tun mit dem Leben bezahlen zu müssen, nehmen sie immense Schwierigkeiten im Alltagsleben auf sich: Sie dürfen niemanden zu sich einladen, ihr Geheimnis mit niemanden teilen, müssen ihre Wohnung und die ohnehin knappen Lebensmittel mit Fremden teilen. Diese radikal veränderten Lebensbedingungen sollten in der Klasse diskutiert werden.
- Die Versteckten
Hannah beschreibt die Schwierigkeit, im Versteck zu leben. Zwei Jahre lang kann sie weder die Sonne sehen noch frische Luft atmen noch sich frei bewegen. Als Gast im Haus eines Fremden hat sie ständig das Gefühl, zu stören oder im Weg zu sein, so dass sie immer mehr verstummt. Zudem muss sie stets auf der Hut sein, wenn unangemeldete Gäste der Familie kommen, um nicht entdeckt zu werden.
Impuls | Erwartungshorizont möglicher Antworten |
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Wie beschreibt Hannah ihr Leben im Versteck? | Gefühl des Fremdseins: kaum sprechen, um niemanden zu verärgern; nur lesen, wenn sie alleine mit Mutter ist; viele Einschränkungen; ständige Angst, entdeckt zu werden. |
Wie, glaubt ihr, denken die beiden Töchter der Familie Skovronek, über die Tatsache, dass Hannah mit ihrer Mutter bei ihnen lebt? | Einerseits: Schwierigkeit, Fremde bei sich zuhause aufzunehmen, keine Freunde einzuladen, Raum, Lebensmittel, Bücher usw. zu teilen. Andererseits: Wissen, dass sie und ihre Familie etwas sehr Wichtiges, Bedeutendes tun und Menschenleben retten. (Hinweis des Lehrers auf das folgende Kapitel, in dem sich klären wird, in welche Richtung die beiden Mädchen mehr tendieren.) |