Lehrerhandreichung
LehrerhandreichungDieser Film ist für Schüler_innen der 3. /4. Jahrgangsstufe geeignet.
Er ermöglicht eine behutsame Erstbegegnung mit dem Thema Holocaust. Dafür wurde die Form einer Binnenerzählung gewählt, die in eine Rahmenhandlung eingebettet ist:
Erzählte Zeit | Handlung | Darstellungsform | |
---|---|---|---|
Rahmenhandlung | Eine Wohnung im heutigen Israel | Ein Großvater erzählt seinem Enkelsohn eine Geschichte aus seiner Jugendzeit | Reale Schauspieler, reales Szenenbild |
Binnenerzählung | Ghetto Warschau, Winter 1941-42 | Die Geschichte von Simcha Holtzberg, mit dem der Großvater damals befreundet war | Animationsfilm |
Die Rahmenhandlung vermittelt den Kindern das Gefühl emotionaler Wärme und Sicherheit, indem sie das vertraute und ansprechende Ambiente einer heutigen Wohnung erzeugt. Von Anfang an wird klar gestellt, dass es sich um eine Überlebendengeschichte handelt. Zudem wird durch die positive Beziehung zwischen Enkel und Großvater, der die Fragen des Jungen sorgfältig aufgreift und beantwortet, eine Atmosphäre der Offenheit hergestellt. Damit steht das Thema Holocaust ausdrücklich nicht für eine traumatische und daher tabuisierte Vergangenheit, über die nicht gesprochen werden darf. Stattdessen zeigt der Film eine Dialogsituation, in der Neugierde und Fragen der jungen Generation zugelassen sind. Die beiden unterschiedlichen Ebenen (Animation vs. reale Filmschauspieler) sorgen zudem dafür, dass die Schülerinnen und Schüler eine klare Trennung zwischen Gegenwart und der Zeit des Holocaust vollziehen können. Sie positionieren sich in ihrer eigenen Gegenwart und verbinden sich zunächst wohl intuitiv mit der ihnen vertrauten Umgebung, nämlich mit der Figur des Enkelkindes, das bei seinem Großvater zu Mittag isst. Damit wird eine deutliche Abgrenzung zwischen den historischen Protagonisten der Geschichte und den Lernenden selbst unterstützt, die wichtig ist, um einen kognitiv gesteuerten Lernvorgang anzustoßen, bei dem die Lernenden emotional nicht überfordert oder gar überwältigt werden.
Die historische Binnenerzählung unterstützt u.a. durch das Medium des farbigen Animationsfilms den Aufbau einer empathischen Lernhaltung. Anstelle von historischen schwarz-weiß-Bildern, die möglicherweise das Gefühl der Distanz erzeugen, wird die Geschichte durch ein kindernahes und ansprechendes Medium vermittelt. Gleichzeitig ermöglicht das Medium der Animation, die Härte des Alltags, den die Familie im Ghetto zu überleben versuchte, in Bildern zu vermitteln, die weit weniger traumatisch wirken als historisches Fotomaterial aus dem Warschauer Ghetto. Die Binnenerzählung erzählt die Geschichte eines Überlebenskampfes, jedoch zugleich die Geschichte einer Familie, die an ihren Werten festhält, Initiative ergreift, ihren inneren Zusammenhalt bewahrt und sich solidarisch mit ihren Leidensgenossen verbindet. So wird das Klischee der passiv leidenden Opfergesellschaft aufgebrochen und verständlich gemacht, dass auch innerhalb der Opfergruppe Entscheidungen getroffen wurden – Entscheidungen, die in dem genozidalen Rahmen, den die deutschen Besetzer in den Ghettos geschaffen hatten, oft zu tragischen, weil alternativlosen Dilemmaentscheidungen gerieten.
Ein drittes Element stellen in diesem Film die eingeblendeten historischen Fotografien dar, die jüdische Kinder und Jugendliche in der Vorkriegszeit in Polen bei Tätigkeiten abbilden, die auch heutigen Schülerinnen und Schülern vertraut sind: Kinder innerhalb ihres sozialen Umfelds, die sich mit Brettspielen, Schlittschuhlaufen und anderen Sport- und Spielarten beschäftigen. Diese Fotografien erfüllen zwei Funktionen:
Sie verorten zunächst die Binnenhandlung in einem klaren historischen Kontext. Dadurch werden historische Grundkonzepte und –begriffe vermittelbar, die als Basiswissen für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema abgespeichert werden können:
- Jüdisches Leben in Europa vor dem Holocaust
- Grundverständnis des Begriffes Holocaust
- Besetzung Polens durch NS-Deutschland und die daraus resultierenden existenzbedrohenden Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerung Polens
- Kennzeichnung der Juden mit dem Gelben Stern und weitere antjüdische Maßnahmen der NS-Besetzer
- Ghettoisierung
- Die Rolle des Kindes innerhalb der jüdischen Familie (abruptes Ende der Kindheit im Sinne einer kindgerechten Entwicklungsphase, Bildungsverlust, plötzliche Erwachsenenreife der Kinder, die nicht selten für ihre Familie oder die jüngeren Geschwister sorgen mussten, etc.)
Zweitens wird durch die Einblendung der historischen Fotografien aus der Vorkriegszeit ein wichtiges didaktisches Prinzip Yad Vashems umgesetzt, nämlich die Darstellung der jüdischen Opfer in dreifacher Periodisierung: Erzählt wird nicht nur die Periode der Verfolgung, Entrechtung und Erniedrigung der Opfer, sondern auch Ausschnitte der Zeitspannen vor und nach der Verfolgung, in denen die Jüdinnen und Juden Europas innerhalb ihres jeweiligen Lebensumfelds ein selbstbestimmtes Leben führten.
Vor der Filmbetrachtung
Vor der FilmbetrachtungDie Schülerinnen und Schüler sollten zum Stundenbeginn darüber informiert werden, dass sie einen Film sehen werden, der die Geschichte eines Holocaustüberlebenden erzählt. Dazu kann das Foto (siehe Fotografien) benutzt werden, das Simcha Holtzberg als Erwachsenen in Israel zeigt. So wird zunächst ein emotional sicherer Raum geschaffen (der Protagonist hat überlebt). Zusätzlich kann die Lehrkraft abfragen, was die Kinder mit dem Thema Holocaust verbinden. So werden Präkonzepte, Vorwissen, aber auch emotionale Befangenheiten thematisiert, die während des Unterrichts dann in altersgerechter Weise aufgegriffen und bearbeitet werden können.
Darüber hinaus können die weiteren Fotos aus dieser Galerie betrachtet werden, die jüdische Kinder aus Warschau bei verschiedenen Spiel- und Alltagsaktivitäten in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zeigen. Diese historischen Schwarz-Weiß-Fotografien können zwar einerseits die zeitliche Distanz zwischen den Lernenden und dem historischen Geschehen hervorheben, andererseits bieten sie Gelegenheit, in einem Unterrichtsgespräch über die dargestellten Kinder und deren Aktivitäten ein Bezug zur Gegenwart herzustellen. Wichtig ist, dass dieser Bezug nicht zu einer Überidentifikation mit den geschichtlichen Protagonisten führt, sondern neben möglichen Gemeinsamkeiten (z.B. Spiele) auch klar die Unterschiede zur Lebenswelt der Lernenden sichtbar macht.
Anmerkung: Die Fotografien erscheinen auch im Film. Sie illustrieren dort das jüdische Lebensumfeld, in dem Simcha Holtzberg in der Vorkriegszeit aufwuchs. Bei der Filmbetrachtung stellt sich hier für die SchülerInnen ein Wiedererkennungseffekt ein, der die Verknüpfung neuer Lerninhalte unterstützt.
Nachbereitung
NachbereitungDie Nachbereitung dieses Films dient drei didaktischen Zielen:
- Verarbeitung auf kognitiver Ebene
Sicherung der historischen Abläufe (siehe Lehrerhandreichung), Vermittlung eines Bewusstseins für die unterschiedlichen Ebenen und des durch sie dargestellten Geschehens (Rahmenhandlung und Binnenerzählung)
- Verarbeitung auf emotionaler Ebene
- Besprechung der zwischenmenschlichen Werte, die in der Geschichte eine Rolle spielen: Solidarität, Hilfsbereitschaft, Verantwortung etc.
Methodische Vorschläge zur Nachbereitung:
Die Szenenbilder aus dem Animationsfilm (siehe Bilder aus dem Film) werden (möglichst in Farbe) ausgedruckt und im Klassenraum in geeigneter Weise ausgebreitet.
- Klassengespräch
Mithilfe der Szenenbilder werden die Schülerinnen und Schüler eingeladen, zu einzelnen Schlüsselszenen Stellung zu nehmen:
- Welche Situation wird hier dargestellt?
- Wie handeln und entscheiden die dargestellten Personen?
- Was empfinde ich in Bezug auf diese Szene?
- Gruppenarbeit
Die Schülerinnen und Schüler wählen in Kleingruppen die drei Szenenbilder aus, die ihrer Meinung nach die wichtigsten Szenen des Films zeigen. Anschließend präsentieren die Kleingruppen ihre Auswahl und begründen sie vor der Klassengemeinschaft.
- Einzelarbeit (auch in Gruppenarbeit möglich)
Die Schülerinnen und Schüler werden eingeladen, jeweils drei Szenenbilder auszuwählen und eine passende Bildüberschrift für jedes Bild zu finden. Die Ergebnisse werden der Klassengemeinschaft vorgestellt, die Wahl der Bildüberschriften begründet.
- Einzelarbeit (empfohlen als Abschlussaktivität)
Die Schülerinnen und Schüler erhalten Post-it-Zettel , mit deren Hilfe sie ihre persönliche Position reflektieren und den anderen mitteilen können:
- Meine Gefühle:
- Ich habe eine Frage:
- Ich finde, dass Simcha...
- Das würde ich Simcha gerne sagen:
Die (anonym) ausgefüllten Zettel werden auf den jeweils relevanten Szenenbildern angebracht. Die Kinder erhalten anschließend genug Zeit, um sich die Kommentare ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler anzusehen. Zum Abschluss werden die persönlichen Stellungnahmen im moderierten Klassengespräch diskutiert. Dabei ist wichtig, dass ein stabiler sozialer Raum hergestellt wird, in dem die Kinder sich sicher fühlen. Die einzelnen Stellungnahmen sollten keinesfalls durch Mitschülerinnen und Mitschüler oder durch die Lehrkraft positiv oder negativ bewertet werden.
Biografischer Hintergrund zu Simcha Holtzberg
Biografischer Hintergrund zu Simcha HoltzbergSimcha Holtzberg
Unmittelbar nach dem Überfall NS-Deutschlands auf Polen im September 1939 und der Besetzung des Westteil des Landes begannen die Deutschen, Ghettos einzurichten. Die jüdische Bevölkerung wurde gezwungen, sich in diesen (meist heruntergekommenen und viel zu kleinen) Wohnbezirken niederzulassen. Das Ghetto in Warschau wurde im November 1940 abgeriegelt. Unter den knapp 500.000 Juden, die dort eingeschlossen waren, befand sich auch Familie Holtzberg. Die von den Deutschen ausgegebene tägliche Lebensmittelration lag bei 184 Kalorien pro Einwohner. Im Jahr 1941 starben rund 100.000 Jüdinnen und Juden im Ghetto Warschau an Hunger, Kälte und Krankheiten. Simcha versuchte, durch Gelegenheitsarbeiten und vor allem durch Schmuggel Nahrung für seine Familie zu besorgen. Wegen seiner Hilfsbereitschaft schätzten die Ghettobewohner ihn sehr.
Simcha Holtzberg beteiligte sich an dem Aufstand, der im April 1943 von der jüdischen Widerstandsbewegung des Warschauer Ghettos begonnen wurde. Nach der entgültigen Niederschlagung des Aufstandes durch deutsches Militär und der Liquidierung des Ghettos wurde Simcha Holtzberg in das Lager Budzyn deportiert. Nach vielen weiteren Stationen verschleppten ihn die Deutschen in das Konzentrationslager Bergen Belsen, wo er schließlich im April 1945 befreit wurde.
Im Jahr 1946 gründete Holtzberg in Deutschland gemeinsam mit Freunden einen religiösen Kibbutz, dessen Mitglieder das Ziel hatten, sich auf die Einwanderung nach Israel vorzubereiten. Bereits damals begann er, Lebensmittel an Holocaustüberlebende zu verteilen und Überlebende in Einrichtungen für psychisch Kranke zu besuchen. Simcha Holtzberg immigrierte im Jahr 1949 nach Israel, wo er heiratete und zwei Kinder bekam. Auch hier setzte er sein soziales Engagement fort.
In den späten 1950er Jahren lernte Simcha Holtzberg in Israel den Rabbiner Arie Levin kennen. Seit dieser Begegnung widmete Holtzberg den Großteil seiner Zeit dem Besuch und der Pflege von kriegsversehrten israelischen Soldaten, Witwen und Waisenkindern. Er unterstützte sie sowohl durch menschliche Zuwendung als auch finanziell. Besonders kümmerte er sich um verletzte Soldaten: er sprach ihnen Mut zu, besuchte sie, brachte in Erfahrung woran es ihnen mangelte, und viele von ihnen hatten das Gefühl, dass sie ihre Genesung nur Simcha Holtzberg zu verdanken hätten. Sie hielten über Jahre Kontakt mit ihm und luden ihn zu ihren Familienfesten ein.
Hilfsbereitschaft und Solidarität seinen Mitmenschen gegenüber waren Grundwerte, die Simcha Holtzbergs Eltern ihrem Sohn vermittelt hatten. Sie blieben für ihn sein gesamtes Leben lang die Grundlage seines Handelns.
Im Jahr 1976 wurde Simcha Holtzberg mit dem Israelpreis ausgezeichnet. Er starb im Jahr 1994 in Jerusalem.
- Der Name Simcha bedeutet auf hebräisch Freude.