Nina Springer-Aharoni
Sonntag bis Donnerstag: 9.00-17.00 Uhr Freitags und an den Abenden vor einem Feiertag: 9.00-14.00 Uhr
Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
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Nina Springer-Aharoni
Eine Kamera ist ein sehr ausdrucksstarkes Instrument. Durch das visuelle Festhalten des Bruchteils einer Sekunde wird dieser Moment für alle Ewigkeit bewahrt. Historiker betrachten die Kamera deshalb als einflussreiches, wichtiges historiographisches Hilfsmittel.
Aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust sind uns zahlreiche fotografisch festgehaltene Momente und Szenen erhalten geblieben. Einige, wie das Bild des Jungen aus dem Warschauer Ghetto, sind uns so vertraut und bekannt, dass wir meinen, uns diese Zeit ohne sie kaum vorstellen zu können. Wir begreifen sie als Symbole einer dunklen Epoche der europäischen Geschichte.
Das NS-Regime hatte die Macht der Kamera mit ihren positiven, aber auch ihren negativen Möglichkeiten erkannt. Während ihrer Herrschaft machten sich die Nazis dieses Instrument voll und ganz zu Nutzen. Sie veröffentlichten hunderttausende antisemitisch geprägter Fotos, um auf diese Weise die öffentliche Meinung in Deutschland zu manipulieren und den Deutschen mit dem Einsetzen der antijüdischen Aktionen einen ideologisch gefärbten Antisemitismus einzuimpfen. Während der Verabschiedung der Nürnberger Rassengesetze, der "Arisierung" jüdischen Eigentums, der Errichtung der Ghettos, der Deportationen in die Konzentrationslager und selbst bei der Durchführung der "Endlösung" war die Kamera ein wichtiges Hilfsmittel der Nazis.
Die Kamera diente jedoch auch den Befreiern. Die Soldaten der Alliierten nutzten sie häufig, um zu dokumentieren, was sie bei der Befreiung der Konzentrationslager sahen. Nach dem Krieg wurden Fotos in vielen Fällen wie Augenzeugen und als belastendes Beweismaterial gegen Naziverbrecher eingesetzt. Viele Persönlichkeiten der ehemaligen NS-Führung konnten so im Laufe der Jahre in den Nürnberger Prozessen, dem Eichmann-Prozess in Jerusalem und anderen NS-Prozessen verurteilt werden.
Fotos scheinen einen direkten Zugang zur Realität zu ermöglichen. Sie erfassen einen Augenblick, auch wenn die Realität dieses Moments bereits der Vergangenheit angehört, und dokumentieren ihn bildlich. Die auf diese Weise im Bild festgehaltene Zeit hinterlässt im Gedächtnis des Einzelnen einen unauslöschlichen Eindruck und bleibt für alle Zeiten ein öffentliches Vermächtnis. Dieses visuelle Zeitfragment erlaubt dem Betrachter wieder und wieder hinzusehen und sich auf die Einzelheiten zu konzentrieren, die dann Gedanken und Erinnerungen wachrufen. Dies verleiht den Fotografien eine große Macht, die selbst im Zeitalter des Films nicht an Bedeutung verloren hat.
Trotzdem haben Fotografien als historische Dokumente auch eine problematische Seite. Obwohl man sie als Produkt einer rein technischen Aktivität ansehen kann, sind sie nicht notwendigerweise objektiv. Wie alle historischen Dokumente haben auch Fotografien eine persönliche Perspektive. Der Fotograf wählt die Zeit und den Blickwinkel und kann verschiedene manipulative Techniken einsetzen, wie z. B. die Arbeit mit Licht und Schatten, das Verwischen oder Betonen der Konturen, die Verkleinerung oder Vergrößerung des Objekts. Und nachdem die Arbeit des Fotografen beendet ist, kommen weitere Faktoren ins Spiel, die das Endprodukt beeinflussen und verändern können. Der thematische Rahmen des Fotos, der Zusammenhang, in dem es gedruckt wird, aber auch die Formulierung der Bildlegende können zu unterschiedlichen Interpretationen führen und auf diese Weise Einfluss auf die historische Wahrheit nehmen. Historiker müssen deshalb die Details eines Fotos ebenso kritisch untersuchen, wie sie es bei einem historischen Quellentext tun würden. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Identifizierung der auf dem Foto abgebildeten Personen, des Fotografen, überhaupt so vieler Einzelheiten wie möglich, und das genaue Datum des Fotos.
Das Einsetzen von Kameras während der NS-Zeit
Der Fotojournalismus hatte in den Jahren vor der nationalsozialistischen Machtergreifung einen Höhepunkt erreicht. Fotografien erzielten allgemeine Aufmerksamkeit dank der Herstellung kommerzieller Kameras und ihrer Nutzung durch eine breite Öffentlichkeit. Die tragbare Leica-Kleinbildkamera, die an Stelle der feststehenden Großformatkamera trat, eröffnete neue fotografische Möglichkeiten. Es war nun möglich, spontane Aufnahmen im Freien aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu machen.
Die Nazis nutzten die Kamera als Hilfsmittel, um das Dritte Reich und seine Führungsschicht zu verherrlichen, um Menschen zu überzeugen, die öffentliche Meinung zu manipulieren und die nationalsozialistische Rassenlehre zu verbreiten. Sie waren sich aber auch bewusst, dass Fotografien als Beweismaterial gegen sie benutzt werden konnten. Aus diesem Grund wurden Gesetze verabschiedet, die das Fotografieren in den Ghettos, Lagern und anderen "kritischen" Gegenden untersagten. Professionelle NS-Fotografen arbeiteten unter der direkten Aufsicht der Regierung. Die Fotografen in den Propagandaeinheiten an der Front, Pressefotografen, aber auch unabhängige Fotografen, die für die ausländische Presse in Deutschland arbeiteten, unterlagen alle einer strengen Zensur.
Es gab jedoch auch Personen, die ungehindert Fotos machen konnten und dabei viel schwieriger zu kontrollieren waren: Deutsche Zivilisten, die Kameras besaßen und deutsche Soldaten, die ihre Kameras mit an die Front nahmen, dokumentierten das dort Erlebte in persönlichen Alben. Hunderte von Fotografien, z. T. in Farbe, zeigen das Leben der Juden in den großen Ghettos, wie z. B. im Warschauer Ghetto, aber auch in den kleineren Ghettos. Fotoserien und persönliche Alben deutscher Soldaten und Polizisten verewigten den
"jüdischen Typus" vor dem Hintergrund von Armut, Hunger und überfüllten Ghettos. Sie dokumentieren die Misshandlung von Juden, die "Aktionen" und die Deportationen. In einigen Fällen machten deutsche Soldaten sogar Aufnahmen der Morde, die von Mitgliedern der Einsatzgruppen ausgeführt wurden. Weil sie befürchteten, dass dieses Material bekannt werden könnte, ließen die Befehlshaber der Wehrmacht das Fotografieren verbieten und ordneten an, Fotos von den Aktivitäten der Einsatzgruppen zu konfiszieren.
Auch jüdische Fotografen in Deutschland dokumentierten diese Zeit mit ihren Kameras. Die bekanntesten unter ihnen, die während der Weimarer Republik noch für die deutsche Presse gearbeitet hatten, wurden mit dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze entlassen. Ein Teil arbeitete danach für die jüdische Presse, die bis zu den Deportationen weiterhin aktiv blieb. Sie hinterließen wertvolle fotografische Dokumentationen über das Leben der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Fotografen wie Mendel Grossman im Ghetto Lodz und Zvi Hirsch Kadushin (George Kadish) im Ghetto Kovno benutzten ihre Kameras um das Ghettoleben zu dokumentieren. Sammlungen ihrer Fotos befinden sich heute in den Archiven und dienen den kommenden Generationen als Zeugnisse und historische Dokumente.
Das "Auschwitz-Album"
Ein außergewöhnliches visuelles und historisches Dokument
Im Jahr 1980 wurde das "Auschwitz-Album" von Lili Jacob an Yad Vashem übergeben. Laut den Untersuchungen und Labortests von Prof. Gerhard Jagschitz von der Universität Wien handelt es sich dabei um das in Auschwitz hergestellte Originalalbum. Das Album enthält heute 198 Fotos, darunter eine Reihe von Duplikaten. Auf der Innenseite der vorderen Einbanddecke steht eine Widmung in schlechtem Deutsch, die jedoch in keinerlei Verbindung zu dem Inhalt der Fotos steht. Die Titelseite zeigt zwei Fotos mit Gruppen von Juden -in Profil- und Frontalansicht- im Stil antisemitischer Propagandaaufnahmen. Darunter steht die handschriftliche Bildlegende "Umsiedlung der Juden aus Ungarn". Die übrigen Fotografien sind thematisch geordnet und werden ebenfalls von Bildlegenden begleitet.
Die Sammlung dieser Fotos steht in direkter Verbindung mit der "Endlösung". Es handelt sich hierbei um ein außergewöhnliches Dokument, ein bisher einzigartiges visuelles Zeugnis über die Ermordung der Juden in den Vernichtungslagern. Die Kamera begleitet einen Transport ungarischer Juden aus Transkarpatien, von dem Moment an, in dem sie aus den Güterwaggons an der Rampe in Auschwitz-Birkenau steigen. Sie begleitet die Trennung der Männer von den Frauen und Kindern, den Selektionsprozess und die Desinfizierung und folgt den Juden bis zu den Vernichtungsanlagen im Lager. Sie erfasst das Leid der Neuankömmlinge, das Chaos und den Tumult der Massenankunft an der Rampe, die SS-Männer und Häftlinge in gestreiften Häftlingsuniformen, die die Neuankömmlinge weiterstoßen. Zum ersten Mal wird hier der Begriff "Selektion" bildlich festgehalten. In den letzten Bildern konzentriert sich die Kamera auf das Sammeln und Ordnen des persönlichen Eigentums der Opfer durch die Häftlinge der "Kanada"- Baracke. Der Massenmord selbst wurde nicht aufgenommen.
Bis heute konnten nur drei Aufnahmen gefunden werden, die das "Auschwitz Album" vervollständigen und den Massenmord dokumentieren. Die Fotografen des Albums sahen davon ab, diese Szenen zu fotografieren. Eine Aufnahme zeigt nackte Frauen, die zu den Gaskammern geführt werden. Die anderen beiden Aufnahmen zeigen Männer des Sonderkommandos, die zwischen den Leichen der Opfer stehen und ihnen den Schmuck abnehmen. Diese Aufnahmen repräsentieren das letzte Glied des Vernichtungsprozesses, den das "Auschwitz Album" dokumentiert. Sie wurden heimlich neben den Krematorien in Auschwitz gemacht, wahrscheinlich von einem Mitglied des Sonderkommandos, und von der Widerstandsbewegung während des Krieges aus dem Lager geschmuggelt.
Wer machte die Aufnahmen des "Auschwitz-Albums"?
Diese Frage wurde während des Frankfurter Auschwitz-Prozesses im Jahr 1964 gestellt. Der "Erkennungsdienst" in Block 26 von Auschwitz I bestand aus zwei SS-Männern. Bernhard Walter fungierte als Leiter des "Erkennungsdienstes", Ernst Hoffmann als Fotograf. Etwa zehn bis zwölf Häftlinge unterstützten sie in ihrer Arbeit. Ihre Hauptaufgabe war es, die Häftlinge für die Akten zu fotografieren. Diesen Fotos wurden auch Fingerabdrücke beigefügt. Von Zeit zu Zeit machten sie auf Anordnungen von SS-Ärzten und Lagerkommandant Rudolf Höss auch weitere Aufnahmen.
Es wird allgemein angenommen, dass die Aufnahmen des "Auschwitz-Albums" vor allem von dem Fotografen des "Erkennungsdienstes", Ernst Hoffmann, stammen. Der Leiter, Bernhard Walter, hat von den Aufnahmen gewusst und Hoffmann in seiner Arbeit unterstützt.
Die hohe technische Qualität der Fotos fällt sofort auf. Sie wurden offensichtlich mit großer Sorgfalt geplant und aufgenommen. Der Fotograf versuchte sowohl die Ereignisse auf der Rampe zu erfassen als auch einen allgemeinen Überblick über den Ort und das Geschehen zu bieten. Er fotografierte aus der Entfernung und von oben mit Weitwinkelobjektiven. In den Nahaufnahmen wird manchmal auch die Reaktion der Menschen auf die Gegenwart des Fotografen sichtbar. Ein Teil der Fotografien wurde von den Dächern der Güterwaggons oder vom Wachturm aus gemacht. Dies erforderte vom Fotografen eine große physische Mobilität im Lager und an der Rampe.
Die Aufnahmen des "Auschwitz-Albums" entstanden nicht überstürzt oder in Eile. Die Fotografen müssen viele Stunden an der Rampe verbracht haben. Ihre Arbeit wurde in aller Öffentlichkeit und zweifellos mit dem Mitwissen der Lagerkommandantur geleistet. Auch das Album selbst wurde fachmännisch gestaltet, im Geist der NS-Fotografie.
Die Fotografien des "Auschwitz-Albums" enthalten einige antisemitische Elemente, die für die Aufnahmen von professionellen NS-Fotografen typisch sind. Ein behinderter Jugendlicher, zwei Geisteskranke, ein alter Mann und eine alte Frau werden in Nahaufnahmen gezeigt. Das ist die allgemein bekannte Methode der Nazis die Juden als degeneriert, anomal und für die Gesellschaft nutzlos darzustellen.
Daraus sollte jedoch nicht geschlossen werden, dass das Auschwitz-Album" der antisemitischen Propaganda dienen sollte. Man kann nur definitiv schlussfolgern, dass es sich bei den Fotografen um professionelle NS-Fotografen gehandelt haben muss. Es scheint, dass das NS-Regime diese Fotografen regelmäßig indoktrinierte und instruierte.
Visualität als zusätzliche Dimension - das "Auschwitz-Album" als Hilfsmittel für Identifizierungen und die Datierung der Aufnahmen
Das "Auschwitz-Album" ist ein gutes Beispiel dafür, auf welche Weise Fotografien als historisches Zeugnis und damit als entscheidender Beitrag für die Forschung dienen können. Auf den Aufnahmen sind die neuen Gleise sichtbar, die in Birkenau bis wenige Meter vor dem Krematorium gelegt wurden. Diese Gleise waren erst wenige Tage vor den Aufnahmen in der Erwartung großer Transporte aus Ungarn gelegt worden. Auf den Fotos kann man erkennen, dass diese Gleise bereits genutzt wurden. Daraus geht hervor, dass die Aufnahmen nach dem Legen der neuen Gleise, d.h. nach Mitte Mai 1944, gemacht sein müssen. Nach Zeugenaussagen von Überlebenden traf der fotografierte Transport am Vorabend von Schavuot, am 6. Sivan (27.-28. Mai 1944) ein.
Die Kamera kann auch bei der Identifizierung der Menschen auf den Aufnahmen des „Auschwitz-Albums" behilflich sein. Überlebende konnten auf diese Weise Verwandte aus Bilke, Tacovo (ungarisch: Técso), Uzhhorod (ungarisch: Ungvàr) und anderswo identifizieren. Daraus lassen sich Schlüsse über die Herkunftsorte der Transporte und ihre Ankunftsdaten ziehen. Lili erkannte zuerst sich selbst und Mitglieder ihrer Familie. Weitere Juden aus Bilke konnten von überlebenden Verwandten identifiziert werden. Rabbiner Bernhard Farkas aus Ungvàr, der das Album in den 1950er Jahren sah, identifizierte Bekannte auf den Fotos und konnte so bestätigen, dass die Juden auf einigen der Aufnahmen aus Ungvàr deportiert worden waren. In den 1980er Jahren wurden viele weitere Menschen von Überlebenden aus Tacovo identifiziert.
Mit Hilfe der Kamera konnte auch der Nazi Stefan Baretzki identifiziert werden, der auf den Fotos des Albums auf der Rampe in Auschwitz zu erkennen ist. Aufgrund eines Fotos konnte er 1964 in Frankfurt vor Gericht gestellt werden. Die Auswahl der Fotos des "Auschwitz-Albums", einschließlich der dazugehörigen Bildlegenden, ist tendenziös. Die Formulierung der Bildlegenden und die darin gewählten Begriffe stellen die Ankunft der Juden in Auschwitz einseitig und verkürzt dar. Hier sollte die NS-Version der Geschichte der "Umsiedlung der Juden aus Ungarn" präsentiert werden. Man kann das "Auschwitz-Album" daher auch wie ein Kapitel aus einem Geschichtsbuch der Nazis lesen.
Die Fotos des Albums mit ihren Begleitlegenden repräsentieren ein gutes Beispiel dafür, wie Fotos als historische Dokumente manipuliert werden können. Die NS-Tarnung ist perfekt und bietet keinerlei Hinweise auf die "Endlösung".
Diese Fotos sind der einzige Beweis für die Ankunft dieser Menschen im Vernichtungslager Auschwitz. Die meisten tauchen in den schriftlichen Dokumenten, Zahlen und Listen der registrierten Häftlinge in Auschwitz nicht auf. In den Lagerdokumenten werden diese "arbeitsuntauglichen" Frauen, Kinder und alten Menschen nirgends erwähnt. Das Album ist so der einzige Beweis dafür, dass sie nach Auschwitz deportiert wurden.
Aus NS-Perspektive gesehen präsentiert das "Auschwitz-Album" ein Kapitel, das "Umsiedlung der Juden aus Ungarn" genannt wurde. In der jüdischen Geschichtsschreibung dient es als Beweis für die Vernichtung von fast einer halben Million ungarischer Juden.
Nina Springer-Aharoni: Fotografien als historische Dokumente, in: Israel Gutman (Hg.): Das Auschwitz-Album. Geschichte eines Transports, Yad Vashem 2002, Wallstein 2005.
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