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Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
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Prof. Dan Michman
Jonny Moser
Nisko - Die ersten Judendeportationen
Edition Steinbauer, Wien 2012
206 Seiten
22, 50 €
Ein bedeutender Beitrag zur frühen Holocaustforschung wurde durch Überlebende geleistet, die einen akademischen Hintergrund aus der Vorkriegszeit besaßen. Einer von ihnen, der tschechisch-jüdische Historiker Hans Günther Adler, erklärte, dass sein Buch Theresienstadt 1941-1945 „aus der Not entstanden war, Selbsterlebtes in Abstraktion von meinem eigenen Schicksal und in größere Zusammenhänge eingeordnet so zu gestalten, daß ich selbst weiterleben konnte“.1
Jonny Moser, einer der ersten Holocaust-Historiker in Österreich, fand auf ähnlichem Weg zu diesem Themenkomplex. Im Vorwort zu Nisko erklären seine Söhne, dass für ihren Vater, der 2011 verstarb, „die wissenschaftliche Aufarbeitung des Holocaust eine Möglichkeit [war], sich mit dem Trauma seiner Jugend ... auseinanderzusetzen“ (S.8).
Daher konzentrierte sich seine Forschungsarbeit auf den österreichischen Antisemitismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und auf das Schicksal der österreichisch-jüdischen Gemeinschaft in der Zeit von 1938 bis 1945. Innerhalb dieses Rahmens interessierte sich Moser insbesondere für das kurzlebige und gescheiterte Kapitel des „Judenreservats“ in Nisko, das am Fluss San im besetzten Polen lag, und wohin Juden von Wien und Mährisch-Ostrau im Winter 1939 deportiert wurden. Im Laufe der Jahre schrieb er mehrere Artikel zu diesem Thema und das Buch stellt das abschließende Ergebnis dieses langwierigen Projekts dar.
Die Nisko-Aktion, von Adolf Eichmann in großem Umfang initiiert und geführt, und unter der Leitung von Reinhard Heydrich zusammengefasst, ist zwar für die meisten Laien ein unbekanntes Kapitel der Geschichte, jedoch nicht für HistorikerInnen. Nationalsozialistische Pläne für „Judenreservate“ in Nisko oder Madagaskar waren die Idee von NS-„Experten“ auf niedriger Ebene der SS. Ersteres wurde schon nach einigen Monaten geschlossen und während viele der Insassen nach Hause zurückkehrten, waren andere bereits früher geflohen. In Bezug auf die Geschichtsschreibung steht die Frage im Raum, welchen Platz dieser kurzlebige Abschnitt innerhalb des breiteren Kontextes eskalierender Entwicklungen einnimmt, die schließlich zur sogenannten Endlösung führten.
Mosers Buch ist die detaillierteste Studie über die Einzelheiten dieses historischen Zeitabschnittes. Es berücksichtigt deutsch-österreichische, sowie jüdische Perspektiven und basiert auf vielen Dokumenten, die Moser persönlich sammelte, sowie auf privaten Sammlungen, die ihm anvertraut wurden. Im Buch sind viele Zeichnungen abgebildet, die Leo Haas, einer der ersten Insassen des Zarzecze Lagers in Nisko, zur damaligen Zeit anfertige. Sie fügen der schriftlichen Analyse einen eindringlichen visuellen Eindruck bei. Das Buch selbst ist in vier Teile gegliedert. Der erste Teil („Die Suche nach einem ‚Judenreservat’“) begutachtet in knapper Weise die antijüdische Politik der Nationalsozialisten vor der Besetzung Polens, die Idee von einem Reservat für Juden (sowohl außerhalb, als auch innerhalb Deutschlands) vor 1939, einige relevante Aspekte der deutschen Bürokratie und deren Funktionsweise und die Konzeptualisierung sowie die ersten verwaltungstechnischen Schritte zur Umsetzung des Nisko-Plans. Der zweite Teil („Endstation: Nisko“) behandelt die Durchführung des Projekts: Die Deportationen (eingerechnet des Scheiterns der Deportationen der sogenannten ‚Zigeuner’) nach Nisko, die Reaktionen auf die Deportationen von außen und unter den Juden selbst, Probleme und Konflikte innerhalb der deutschen Bürokratie und Strategien der jüdischen Gemeinschaften, die deutschen Anordnungen zu umgehen und sie zu bewältigen. Der dritte Teil („Der Kampf ums Überleben“) betrachtet die Funktionsweise des Lagers Nisko und das Leben dort, berücksichtigt auch dessen Umfeld und beschreibt und analysiert umfassend Fluchtversuche aus dem Lager – viele von ihnen waren erfolgreich. Der letzte Teil („Das Scheitern eines ‚Judenreservats’“) verbildlicht den Untergang des Plans sowohl auf bürokratischer Ebene als auch vor Ort. In diesem Zusammenhang zeigt Moser, dass Eichmann sogar noch die letzte Phase des gescheiterten Projekts als eine Möglichkeit zu nutzen versuchte, die Emigration österreichischer Juden voranzutreiben.
Moser vermittelt uns wertvolles Wissen über die Nisko-Aktion, nicht nur über das gescheiterte „Judenreservat“ selbst, sondern auch über andere wichtige Themen, wie etwa Eichmanns Antrieb, jüdische Verwaltungen (z.B. das „Judenrat“-Konzept) einzurichten. Trotz des Umstands, dass die Nachforschungen für dieses Buch schon im letzten Jahrzehnt abgeschlossen wurden, war sich Moser nicht ganz über die enorme Forschungsarbeit, die in den letzten 20 Jahren zur Entwicklung der antijüdischen Politik der Nationalsozialisten geleistet wurde, bewusst. Die meisten von ihnen sind direkt mit der Nisko-Thematik verknüpft, manche Untersuchungen enthalten sogar ganze Kapitel über das Reservat. Zum Beispiel hätte Mosers Studie von Ian Kershaws Konzept „working towards the Führer“ („dem Führer zuarbeiten“) profitiert, in dem dieser den Kontext der Entstehung der Nisko-Idee beschreibt, oder auch von der zehn Jahre früheren Arbeit des Historischen Komitees über Österreich während der Zeit des Nationalsozialismus, die ebenfalls die Gildemeester Aktion behandelt, oder auch von der relativ neuen Arbeit von Hans Safrian, Hans Jansen, Leni Yahil und Christopher Browning über die antijüdischen Maßnahmen und die allgemeine Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten in Polen zwischen 1939 und 1940.
Trotzdem trifft Mosers überzeugende Ausführung gut die Entstehungsweise der Nisko-Initiative und verstärkt die heutige Mehrheitsmeinung zum Verständnis der Entwicklung der antijüdischen Politik als einem Prozess des Zusammenspiels einer zwar vagen, aber dennoch nachdrücklich andauernden Zielsetzung des „sich-Befreiens von den Juden“ und ihrer Durchführung, für die kreative und einfallsreiche Bürokraten Ideen vorschlugen und Pläne ausprobierten, um dieses Ziel zu erreichen. Niskos Scheitern war das Ergebnis eines voreiligen und improvisierten modus operandi, wie er für die SS in den späten 1930er Jahren typisch war. Dennoch bewirkte allein die Tatsache, dass das Projekt scheiterte, keine Veränderung oder Aufgabe des Endziels.
Dan Michman ist Leiter des internationalen Instituts für Holocaustforschung in Yad Vashem, Professor für modern jüdische Geschichte und Vorsitzender des Arnold und Leona Finkler Instituts für Holocaustforschung an der Bar-Ilan Universität.
Der Text ist erstmals in der German Studies Review 36/3, 2013, erschienen und wurde aus dem Englischen von Pauline Stolte übersetzt.
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