Sonntag bis Donnerstag: 9.00-17.00 Uhr Freitags und an den Abenden vor einem Feiertag: 9.00-14.00 Uhr
Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
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In dem 1982 veröffentlichten Essay „Morgenröte“ beschreibt Amoz Oz seine Begegnung mit verschiedenen Redakteuren der Zeitschrift Al-Fagr al Arabi (Die arabische Morgenröte). Oz hatte die Redaktionsräume im östlichen Teil Jerusalems aufgesucht, um dort mit Autoren der Zeitschrift das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern, Juden und Arabern zu erörtern. Nicht von ungefähr hatte sich Oz Al-Fagr als Diskussionspartner ausgesucht. Die Zeitschrift war im Jahre 1972 mit der unter den Palästinensern weithin verbreiteten Position, die als Besatzung empfundene Präsenz der Israelis auch mit Gewalt zurückzudrängen, aus der Taufe gehoben worden. Im Verlaufe der Zeit hatte sie – ohne von ihrer scharfen Israelkritik Abstand zu nehmen – jedoch auch Positionen Raum gegeben, die Annäherung und Dialog in Erwägung zogen. Al-Fagr richtete sich nach eigenem Bekunden zuvorderst an ein intellektuelles arabisches Publikum, veröffentlichte ihre Ausgaben aber auch in englischer und hebräischer Sprache, somit bemüht jüdischen Israelis ihre Wahrnehmung des fortdauernden Konflikts näher zu bringen. Oz‘ Ansinnen, einen offenen und ungeschminkten Austausch über strittige und schmerzhafte Aspekte des beschädigten Verhältnisses zu führen, stand somit unter keinem schlechten Stern. Auch deshalb nicht, weil Oz dem palästinensischen Anliegen eines eigenen Gemeinwesens nicht abgeneigt und der von ihm als harsch empfundenen Politik des Ministerpräsidenten Menachem Begins ablehnend gegenüberstand. Obgleich die Gespräche vom Gedanken der Annäherung geprägt waren und aus ihnen vielfach die Einsicht eines gemeinsamen Schicksals in Palästina/Israel und das Bekenntnis zu einem friedvollen Mit- und Nebeneinander sprach, kam Oz nicht umhin, an der Belastbarkeit von Al-Fagrs Narrativ des friedlichen Miteinanders Zweifel zu bekunden. Kurz nur weist er im Text auf die ursprüngliche Ausrichtung der Zeitung hin, ihre anti-israelischen Invektiven und die mächtigen Interessensverbände die in Gestalt von Libyen, Saudi-Arabien und dem Irak hinter der Zeitung standen. Oz sucht diese Zweifel an seinem Gegenüber jedoch umgehend zu zerstreuen, indem er auf die Widersprüche der israelischen Politik und deren uneindeutige Haltung im Friedensprozess hinweist.
Stephan Grigat rückt die von Oz nur zaghaft angedeuteten Bedenken einer möglicherweise tieferliegenden Feindschaft gegenüber Israel ins Zentrum seiner Studie und Kritik. In vier thematisch weithin unabhängig voneinander stehenden Kapiteln spannt er einen weitläufigen historischen, geographischen, personellen und thematischen Bogen, darum bemüht die vielschichtigen Ausprägungen von Antizionismus und Antisemitismus in den Blick zu nehmen. Die im Untertitel aufgerufenen Phänomene (Zionismus, israelische Linke, iranische Bedrohung) markieren dabei das Gerüst, entlang dessen sich der Autor dem Gegenstand annähert. So fragt er nach Bedeutung und Wahrnehmung von Zionismus und Antizionismus in der Ideologie der israelischen Linken, nach den Motiven der zeitgenössischen Israelfeindschaft im deutschen, poststrukturalistischen und ungarischen Kontext und nicht zuletzt nach der existentiellen Bedrohung durch das iranische Atomprogramm.
Obgleich der Band mehr einer thematischen denn einer chronologischen Erzählung folgt, nimmt er seinen Ausgangspunkt in der mit der Unabhängigkeit des Landes im Jahre 1948 beginnenden Reihe von Kriegen, die in unterschiedlichen Konstellationen gegen Israel geführt wurden. Vom Unabhängigkeits- bis zum ersten Libanonkrieg rekonstruiert Grigat insgesamt fünf militärische Konflikte. Es wird deutlich, dass die arabischen Staaten Israel die Kriege zwar jeweils mit unterschiedlichen Begründungen aufdrängten, sie jedoch insgesamt von der spürbaren Kränkung über den von der UN beschlossenen Teilungsplan und dem damit verbundenen Widerwillen, Israel in unmittelbarer Nachbarschaft als Staat anzuerkennen, getragen wurden. Dass die israelische Armee aus allen Auseinandersetzungen als Sieger hervorging, schmerzte die arabische Welt nachhaltig, bescherte Israel allerdings keinen dauerhaften Frieden. Grigat beleuchtet in diesem Zusammenhang, die in unterschiedlichen Konflikten aufgeworfenen Fragen um Territorium, Flüchtlinge und Rückkehrrecht, Friedensverhandlungen und Grenzverläufe, über die kaum Einigkeit zu erzielen war, und die die arabische Seite wiederholt zum Anlass für neue militärische Angriffe nahm.
Unvorteilhaft wirkten sich für Israel zudem die in den 1990er Jahren unter der Führung der Amerikaner beginnenden Friedensgespräche aus. Anschaulich weist Grigat nach, wie die PLO unter der Führung von Yassir Arafat von Beginn an die weitreichenden Verhandlungsangebote der Israelis systematisch zurückwies und in Verlautbarungen abseits der offiziellen Bühne, der Regierung in Jerusalem unterstellte, ein anderes, nämlich das Ziel der Zerstörung des palästinensischen Volkes zu verfolgen (42). Innerhalb der israelischen Gesellschaft hat diese Erfahrung Grigat zufolge im Zusammenspiel mit der Wahl der Hamas nach dem Rückzug aus Gaza 2005, und deren sich zyklisch wiederholenden Raketenangriffen auf Israel, sowie den zahlreichen Selbstmordattentaten zu einer gewissen Ratlosigkeit über die Möglichkeiten eines Friedens geführt. Niederschlag erfuhr diese Ernüchterung auch in der Wahl von Parteien aus dem rechten Lager, die in Fragen von Terrorismusbekämpfung und Selbstverteidigung rigoros auftraten.
Im dritten Kapitel führt Grigat den flexiblen Charakter der antisemitischen Projektion in den verschiedenen politischen Spektren in Europa und Amerika vor. So skizziert er im ersten Aufsatz die Ankunft israelfeindlicher und antisemitischer Positionen in die bürgerliche Mitte der Bundesrepublik ab den 2000er Jahren. Paradoxerweise zeichnet er für die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz antizionistischer Positionen die (radikale) Linke verantwortlich. Bis zum Sechs-Tage-Krieg im Jahre 1967 hatte ihr der jüdische Staat als Zufluchtsort der vor den Nationalsozialisten geflüchteten Juden, die Kibbuzim als Speerspitze eines sozialistischen Zukunftsmodells gegolten. Mit dem rasanten Sieg der israelischen über die arabischen Streitkräfte wendete sich diese positive Wahrnehmung der Linken, die Israel nunmehr als Aggressor und Unterdrücker der Palästinenser in ihr Weltbild einordneten. Veredelung erfuhr dieser Wandel durch die Bezugnahme auf die antiimperialistische Theorie des Marxismus-Leninismus, dessen schlichte Schematisierung politischer Konflikte die Ausbildung eines manichäischen Weltbildes begünstigte. Entscheidend an Grigats Ausführung ist jedoch die unter der Überschrift „Extremismus der Mitte“ gefasste Darstellung des sukzessiven Transfers von einer maßgeblich linken Debatte und Positionierung in den bürgerlichen Diskurs hinein. Unter veränderten politischen Vorzeichen, aber in gleichbleibender Semantik, fanden die Meinungen der Linken Anfang der 2000er Jahre Eingang in die öffentlichen Medien, die ihrerseits rhetorisch gegen Israel aufrüsteten. Stellvertretend für diese Entwicklung werden die Auslassungen des Spiegel-Kolumnisten Jakob Augsteins während des Gaza-Kriegs 2012 und Günther Grass‘ ausgedehnt rezipiertes Gedicht „Was gesagt werden muss“ aufgerufen. Grigat belegt, wie in beiden Fällen die Auseinandersetzung mit den israelfeindlichen und antizionistischen Inhalten des Gesagten bzw. dessen Verurteilung weitestgehend ausblieb. Nicht die Dämonisierung Israels durch Augstein oder die unzweideutige Täter-Opfer Umkehr in Grass‘ Gedicht wurden als Skandalon in der Öffentlichkeit diskutiert, sondern die den Autoren angetragenen Vorwürfe, sich aus dem Arsenal antisemitischer und antizionistischer Rhetorik zu bedienen, dienten als Anlass sich nahezu unisono hinter sie – und damit ihre Auslassungen – zu stellen. Derartige Reflexe führt der Autor auf eine spezifisch deutsche Form von Befangenheit und Trotz zurück. Während man sich vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus einerseits zur geschichtlichen Verantwortung gegenüber Juden und Judentum bekennt, wird andererseits mit besonderer Hingabe, und mit Verweis auf die vermeintlich so erfolgreich aufgearbeitete Vergangenheit, der israelische Staat gemaßregelt. „Je mehr öffentliche Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, desto besser kann man den ehemaligen Opfern der Deutschen und ihrer Hilfsvölker Vorschriften machen“ (119).
Im letzten Kapitel nimmt sich Grigat das iranische Atomprogramm und die Verhandlungen zwischen Europa, Amerika und dem Regime in Teheran vor. Ausgehend von der inneren Verfasstheit des Iran geht er der Frage nach, weshalb Europa und Amerika eine derart nachsichtige und beschwichtigende Politik gegenüber dem iranischen Regime verfolgen. Nach Grigat vermengen sich in der Ideologie des Irans Aspekte islamistischer, antisemitischer und totalitärer Phantasien zu einem rational kaum mehr zu erfassenden Gebilde, weshalb die angestrebte Habhaftwerdung der Bombe für Israel und die gesamte Region ein unkalkulierbares Risiko bedeute (143). Schon jetzt lässt sich in der Region beobachten, wie die untergründigen Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, die in zahllosen Stellvertreterkriegen ihren Ausdruck finden, auf eine dramatische Eskalation zusteuern.
Mehrfach haben die Machthaber in Riad angekündigt, dass ein nuklear bewaffneter Iran als eine unmittelbare Bedrohung begriffen würde. Dass die westliche Gemeinschaft allein vor diesem Hintergrund in den Verhandlungen um das iranische Atomprogramm zögerlich und unentschieden auftritt, sich von offenkundigen Finten der Machthaber blenden lässt, und die kleinsten Zugeständnisse des Irans mit Milliardenbeträgen honoriert, hebt Grigat zurecht als Skandalon hervor (169).
Nimmt man die seit Jahrzehnten fortwährenden Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel und die offene Leugnung des Holocaust hinzu, muss die Verhandlungsstrategie Europas und Amerikas als gefährlich und geschichtsvergessen bezeichnet werden. Detailliert zeichnet das Buch in diesem Zusammenhang nach, wie sehr der Antisemitismus als ideologische Triebfeder des Regimes fungiert und wie es dieser seit der Machtübernahme 1979 in zahlreichen internationalen Konflikten Ausdruck verleiht (148). Warum im Lichte dieser Erkenntnisse daher ein Ansatz von Diplomatie und Appeasement anstelle entschiedener Wirtschaftsanktionen und politischer Isolierung verfolgt wird, bleibt rätselhaft.
Grigat hat mit der vorliegenden Streitschrift eine wichtige Intervention vorgelegt. Die jüngsten Ereignisse in Europa namentlich in Frankreich und Dänemark, führen vor Augen wie abrupt ein vielfach nur subtil wahrgenommener Antisemitismus in den hiesigen Gesellschaften in Gewalt umschlagen kann und wie sehr Israel – ob zu Recht oder Unrecht – in der jüdischen Diaspora als „Rückversicherung“ verstanden wird. Vor diesem und dem Hintergrund der auch im Nahen Osten unsicheren Situation ist eine Parteinahme für Israel als sichere Heimstatt dringend geboten. Bedauernswert ist indes, dass Grigat bei der Zeichnung eines stimmigen Gesamtbildes zuweilen die in den Konflikten vorhandenen Graustufen entgehen. In Oz unterschiedlichen Dialogen etwa wird sichtbar, wie sehr auch die israelisch-jüdische Position in Bezug auf die sie umgebenden Bedrohungen von Widersprüchen und Konflikten durchzogen ist. Diese ebenfalls in die Deutung zu integrieren, ohne dabei die solidarische Position zu verwässern, hätte dem lesenswerten Buch keinen Abbruch getan.
Momme Schwarz hat an den Universitäten Bremen und Leipzig Kulturwissenschaften, Geschichte und Philosophie studiert. Von März bis Juni 2008 war er als Praktikant an der ISHS tätig. Derzeit arbeitet Momme Schwarz am Leipziger Simon-Dubnow-Institut an einer Dissertation über den jüdischen Trotzkisten und Gewerkschafter Jakob Moneta.
Stephan Grigat
Die Einsamkeit Israels
Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung
KVV konkret, Hamburg 2014
184 Seiten
19,00 €
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