Sonntag bis Donnerstag: 9.00-17.00 Uhr Freitags und an den Abenden vor einem Feiertag: 9.00-14.00 Uhr
Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
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Martin Liepach
Der Gymnasiallehrer und Historiker Martin Liepach ist Mitglied der Arbeitsgruppe Geschichte der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission. Er ist Mitarbeiter am Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdisches Museums Frankfurt, Mitglied der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des Leo-Baeck-Instituts in Deutschland und Lehrbeauftragter an der Universität Frankfurt am Main. Martin Liepach hat zahlreiche Publikationen im wissenschaftlichen, didaktischen und museumspädagogischen Bereich verfasst.
Im 50. Jahr des Bestehens diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel legte die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission im Juni 2015 die Ergebnisse ihrer fast fünfjährigen Tätigkeit vor. Zentral war in den Untersuchungen die Frage nach der Darstellung des jeweiligen Landes im Schulbuch des anderen. Für die Fächer Geschichte, Geographie und Sozialkunde wurden hunderte Schulbücher gesichtet, dutzende Schulbuchkapitel analysiert. Zu Beginn der Kommissionstätigkeit wurde vereinbart, die Frage nach der Darstellung des Holocaust in beiden Ländern in die Untersuchung aufzunehmen. Die folgenden Ausführungen umreißen die Befunde für die Darstellung des Holocaust in deutschen Schulgeschichtsbüchern.
Die Mehrheit der untersuchten Lehrbücher stellt den Holocaust in den Kontext von Zweitem Weltkrieg und Nationalsozialismus. Das Narrativ folgt dem Prozess von Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung. Entlang emblematischer Ereignisse wie den Nürnberger Rassegesetzen, den Novemberpogromen, den Ghettoisierungen und den Deportationen führt die ereignisgeschichtlich angelegte Erzählung schließlich zu den Vernichtungslagern; stellvertretend wird hier zumeist Auschwitz benannt. Einige der Bücher verteilen die Themen Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung auf mehrere Unterkapitel, während andere diesen Dreischritt in einem Kapitel abhandeln.
Fragt man nach der Darstellung eines Zusammenhangs zwischen der Staatsgründung Israels und dem Holocaust, so wird man in den Kapiteln zum Nationalsozialismus nicht fündig, sondern muss in die Kapitel schauen, die sich mit der Geschichte des modernen Israels beschäftigen. Die Einordnung dieser Einheiten zum Nahostkonflikt erfolgt in unterschiedlichen Kontexten, die sich mit drei thematischen Schlagwörtern zusammenfassen lassen: „Kalter Krieg“ bzw. „Ost-West-Konflikt“, „Weltkonflikte“ sowie „weltpolitische Veränderungen“. Die Einbettung in übergreifende Konflikt-Kontexte überwiegt. Dies geschieht nicht von ungefähr. Der Nahostkonflikt steht für den paradigmatischen, unentwirrbaren Konflikt, der eine Vorgeschichte hat und historisch beschreibbar ist, dessen Virulenz greifbar ist und der aktuelle globale Implikationen hat. Israel wird als Kern dieses Konflikts dargestellt. Die Vorgeschichte bis zur Staatsgründung und die folgenden Ereignisse werden als Kristallisationspunkte eines Geschehens beschrieben, das, häufig aber auch in ein- und demselben Schulbuch variierend, mit dem Narrativ der (jüdischen) Selbstbehauptung oder dem des doppelten (nämlich jüdischen und palästinensischen) Anspruchs auf ein Land und damit einer normativen Recht-/Unrecht-Erzählung mit wechselnden Anteilen verbunden wird.
In fast allen untersuchten Büchern der Sekundarstufe I, bis auf drei Ausnahmen, wird ein Zusammenhang zwischen dem Holocaust und der Staatsgründung hergestellt. Jüdische Einwanderung, Staatsentstehung und -gründung werden mit den Folgen der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden in Verbindung gebracht, um die Schüler die Notwendigkeit eines jüdischen Staates besser verstehen zu lassen. Dies geschieht im Autorentext und/oder, indem Auszüge aus der israelischen Unabhängigkeitserklärung wiedergegeben werden, in denen von der „Katastrophe, die über das jüdische Volk hereinbrach“ die Rede ist.
Auch die untersuchten Schulbücher der Sekundarstufe II stellen die Staatsgründung fast durchweg in einen Zusammenhang mit der Verfolgung und Vernichtung der Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft. Dies geschieht in der Regel im Duktus des Verstehens des aus der Verfolgung resultierenden Rechts auf Einwanderung und auf einen sicheren Ort für die Juden in staatlicher Form. Ein Werk leistet sich einen skandalösen Ausrutscher, wenn es eine Verbindung zwischen den in den Vernichtungslagern erfahrenen Gräueln und den von jüdischen Gruppen an Palästinensern verübten Gewalttaten (Stichwort Deir Yassin) herzustellen versucht. Dem Autor ist hier möglicherweise nicht bewusst, dass derartige Kurzschlüsse imstande sind, das Schülerurteil in eine völlig abwegige Richtung zu führen und eine antisemitisierende Denkrichtung zu bedienen.
Für die umfangreichen Kapitel zur NS-Geschichte gilt: Generell folgt die Darstellung der Geschehnisse einer Erzählung, wonach die Handlungen der Täter die Ereignisfolge von den Nürnberger Gesetzen über die Novemberpogrome bis zur Vernichtung bestimmen. Sie beinhaltet politikgeschichtliche, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte, wobei die einzelnen Ebenen unterschiedlich stark gewichtet sind.
Quellentexte und Fotos sind in diesem narrativen Gerüst oft durch die Täterperspektive bestimmt, besonders wenn es um Reden und Propagandamaterial, z. B. Illustrationen in Kinderbüchern nationalsozialistischer Provenienz geht. Zur Erschließung der NS-Ideologie sind diese Quellen aus Täterperspektive natürlich notwendig. Ohne eine ergänzende Schilderung aus dem Erfahrungshorizont der von den Bestimmungen und Maßnahmen Betroffenen aber ist die tatsächliche Bedeutung der praktischen Umsetzung der Ideologie – die absolute Entmenschlichung – für die Rezipienten schwerlich empathisch nachvollziehbar.
Mitunter wird in den Schulbüchern der Versuch unternommen, über die Darstellung der Schicksale gleichaltriger Jugendlicher einen Bezug zur Lebenswelt über die Verknüpfung Schule, Freizeit und Familie der Schüler herzustellen und so einen Zugang zu den Opfern zu ermöglichen. Biografische Beispiele im Quellenteil ergänzen in vielen Büchern die strukturgeschichtlichen, an Fakten orientierten Autorentexte, die Juden zumeist als passive, vor allem aber als weitgehend anonyme Opfergruppe schildern.
In der Regel bemüht sich jedes der im Sample befindlichen Bücher darum, einen Gegenwartsbezugherzustellen um damit einerseits eine Relevanz der Auseinandersetzung mit der historischen Thematik zu unterstreichen und andererseits die Lebenswelt der Schüler zu berühren und Interesse über Aktualität zu wecken. Vielfach wird die zeitliche Brücke durch die Darstellung neonazistischer Aktivitäten geschlagen. Eine weitere Form des Gegenwartsbezugs erfolgt oft über Arbeitsaufträge, die bisweilen jedoch ahistorisch anmuten.
Die Autorentexte aller im Sample enthaltenen Schulbücher weisen durchgängig mehr oder weniger problematische sprachliche Konstruktionen, Ausdrücke oder Formulierungen auf. So werden in vielen, die einzelnen Stationen der Verfolgung und Vernichtung beschreibenden Autorentexten Passivkonstruktionen verwendet, die Handlungsträger nicht klar benennen und so sprachlich die Taten von den Tätern lösen. Es entsteht der Eindruck einer automatisierten Tötungs-Maschinerie, in der Menschen als Handlungsträger sekundär waren, kleine Rädchen im großen Ganzen, ohne Eigenverantwortlichkeit und eigenmächtigen Handlungsspielraum. Die oft ausschließliche Nennung Hitlers, Goebbels’ und Görings entlastet die übrigen Täter als unideologische Befehlsempfänger.
Eine starke Fokussierung auf Hitler oder prominente Täter im direkten Umfeld Hitlers führt zusätzlich zu einer Abstraktion der Taten und Täter als relativ isolierte, pathologische Ausnahmefiguren der Geschichte. Das generelle menschliche Potential und die historischen Strukturen, in denen dieses freigesetzt werden konnte, werden dadurch in den Hintergrund gedrängt. Eine differenzierte Betrachtung der am Holocaust Beteiligten wäre daher nicht nur im Sinne einer umfassenden historischen Darstellung, sondern lieferte auch eine soziologisch-anthropologische Betrachtung, die letztlich auch dazu beiträgt, die universelle, überzeitliche Relevanz des Themas aufzuzeigen.
Die Frage des jüdischen Widerstands wird zumeist in das Kapitel über den Holocaust verlagert und bezieht sich dort auf die Reaktionen in den Ghettos und Vernichtungslagern. Als Beispiel für aktiv-kämpferischen Widerstand wird in sechs Büchern der Warschauer Ghettoaufstand erwähnt. Die Darstellung von Formen jüdischer Selbstbehauptung und jüdischen Widerstands ist essentiell, um dem Bild einer passiven Manövriermasse ohne Gesicht und Handlungsbewusstsein, dem Eindruck von „Lämmern“, die sich willig zur „Schlachtbank führen lassen“, entgegen zu wirken. Wichtig ist hier jedoch auch, die erzwungene Passivität, die Ausweglosigkeit der Opfer innerhalb des Systems der Vernichtung zu betonen und somit die Möglichkeiten für aktives Handeln in einem realistischen Verhältnis darzustellen.
Alle Geschichtsbücher des Samples verwenden Fotos und Zeichnungen, die entweder in den Autorentext integriert oder Bestandteil des Quellenteils sind. Insbesondere zeigen auch die Fotografien oft den direkten Blick der Täter auf ihre Opfer. Wenn keine Aussagen der Betroffenen abgedruckt sind oder Fotos aus der Zeit vor der Verfolgung fehlen, verengt sich der Blick sehr auf eine statische Opferrolle. Ähnlich wie im Bereich der sprachlichen Zuschreibungen ist aber auch hier einmal mehr, mal weniger unbedachter Umgang mit Bildern festzustellen. Dabei ist in erster Linie die Verwendung von Bildquellen ohne erklärenden, kontextualisierenden Autorentext problematisch, da dies die Gefahr der Übernahme visueller Klischees als Abbildungen objektiv vorhandener Merkmale birgt.
Die Behandlung des Holocaust geschieht nahezu ausschließlich aus einer dezidiert deutschen Perspektive. Insbesondere gilt dies für die Wiedergabe der Entrechtung und Verfolgung entlang der erwähnten emblematischen Ereignisse. Während bei der Beschreibung der physischen Vernichtung zumindest teilweise die in Polen befindlichen Lager Erwähnung finden und die Fotos der Opfer zwangsläufig auch osteuropäische Juden abbilden, werden die Repressalien, die Juden in West- und Südeuropa, vor allem aber auch Juden in Osteuropa erdulden mussten, nicht dargestellt. Die Dominanz des Auschwitz-Narrativs spart zudem die Vernichtung der Juden auf sowjetrussischem Gebiet aus. Bei dieser auf Deutschland fokussierten Darstellung spielt das Leitprinzip des Regionalbezugs eine Rolle.
Die Bedeutung des Antisemitismus innerhalb der NS- Ideologie als Motivation für die Vernichtung wird unterschiedlich bewertet. Damit zusammenhängend finden sich in den Büchern entsprechend detaillierte oder weniger umfassende Beschreibungen des Antisemitismus. Generell ist anzumerken, dass die Geschichte des Antisemitismus allgemein kaum in ihrer transnationalen/transterritorialen Dimension dargestellt wird, sondern auf Deutschland beschränkt bleibt. Zentrale Gründe für das Funktionieren des Holocaust auf europäischer Ebene (z. B. Kollaborationen mit den deutschen Besatzern, unterschiedliche Formen der Integration oder Nicht-Integration von Juden in den jeweiligen Gesellschaften) können so nur unzureichend nachvollzogen werden.
Eine positive Konsequenz dieser deutschen Perspektivität ist, dass sie innerhalb der Kapitel viel Raum lässt, sich mit der Rolle der deutschen Bevölkerung während des Nationalsozialismus zu befassen. Die generelle Schuld und Verantwortung der Deutschen stellt keines der Bücher in Frage. Es fehlt dennoch unverändert eine umfassendere Geschichtsschreibung, die auf die „kleinen Täter“, Verantwortlichen, Kollaborateure und Nutznießer in den unteren Rängen ausgerichtet ist und somit auch gesamtgesellschaftliche Interdependenzen deutlicher herausstreichen könnte. Es überwiegt die Darstellung einer diffusen, zwischen Zustimmung und Entrüstung oszillierenden, verwirrten und indoktrinierten Masse. Demgegenüber bleibt die Beschreibung der aktiven Rolle vieler Deutscher, z.B. als Denunzianten oder direkte oder indirekte Nutznießer der Übernahme erbeuteten Besitzes jüdischer Mitbürger untergeordnet.
Da die Planungen, Verordnungen und Handlungen der Täter die Vernichtung der europäischen Juden in Gang setzten und zur Ausführung brachten, ist eine chronologische Wiedergabe der Ereignisse entlang der Taten der Täter sinnvoll und einer historischen Wahrheit entsprechend. Gerade diese Erzählstruktur verlangt aber, wenn das eingeforderte Kriterium der Multiperspektivität und gleichzeitig der Wunsch nach einer empathischen Annäherung der Rezipienten umgesetzt werden soll, nach einem Quellenteil, der Erleben und Empfinden, Bewusstsein und Reaktion der jüdischen Bürger widerspiegelt. Dies bleibt ein Desiderat.
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