In ihrer jüngst erschienen Studie „Eichmann vor Jerusalem – Das unbehelligte Leben eines Massenmörders“ hat Bettina Stangneth anschaulich dargelegt, wie stark Eichmann selbst und andere ehemalige Nazigrößen während und nach der Zeit des Nationalsozialismus ein öffentlich wahrnehmbares Bild der ‚Figur Eichmann‘ schufen, das noch bis heute wirksam ist. Eichmanns Karriere, sein Leben im Fluchtland Argentinien und sein Auftreten vor Gericht in Jerusalem waren in besonderem Maße von Inszenierungen und Selbstinszenierungen begleitet, die die spätere Wahrnehmung prägten. Die scheinbar widersprüchlichen Bilder von Eichmann, einerseits als nahezu im Alleingang wirkender Massenmörder und andererseits als gedankenlos handelnder Bürokrat, können somit als Zerrbilder solcher Inszenierungen und Selbstinszenierungen eines zu jeder Zeit ideologisch überzeugten aber immer auf seine Wirkung bedachten Nationalsozialisten entschlüsselt werden. So wie Eichmann gerade gegenüber seinen Opfern nahezu unbegrenzte Macht im NS-Staat suggerieren wollte, hatten ehemalige Mitstreiter nach 1945 ein großes Interesse daran, dieses Bild des allmächtigen (Allein-)Täters noch zu verstärken, während es Eichmann gegenüber seinen ‚Kameraden‘ in Argentinien darum ging, die ihm durch den Geschichtsverlauf verwehrte Anerkennung für seine Taten zu erhalten und später – vor dem Jerusalemer Gericht – seinen Anteil daran kleinzureden.
Eichmann als mediale Figur
Angesichts seiner historischen Stellung – durch seine zentrale Position im Vernichtungsprozess – aber auch seine öffentliche Sichtbarkeit und Bedeutung bot sich Eichmann wie kaum ein anderer hochrangiger Nationalsozialist als Medienfigur an. So wundert es kaum, dass diese Figur in zahlreichen Spiel- und Dokumentarfilmen auftritt. Diese behandeln oft historische Schlüsselereignisse, an denen Eichmann beteiligt war, wie der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942. In dem deutschen Fernsehdrama „Die Wannseekonferenz“ von 1984 spielte der Schauspieler Gerd Böckmann Eichmann, in dem amerikanisch-britischen Film „Conspiracy“ (dt. „Die Wannseekonferenz“) von 2001 wurde Eichmann von Stanley Tucci verkörpert. Beide Filme orientieren sich aber vor allem am Verlauf der Konferenz (und legen der Darstellung das von Eichmann verfasste Protokoll der Zusammenkunft zugrunde). Die konkreten historischen Personen dienen zur (teilweise interpretierenden, teilweise spekulativen) Veranschaulichung dieser Geheimkonferenz, nach der die Verfolgung der Juden eine neue Stufe erreichte.
Andere filmische Darstellungen orientierten sich vor allem an Momenten in Eichmanns Biographie, die in besonderer Weise für eine spannende Darstellung im Film geeignet schienen. So machte 1979 das amerikanische Fernsehen die Entführung Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst zum Gegenstand eines Fernsehthrillers mit dem Titel „The House on Garibaldi Street“ (dt. „Die Affäre Garibaldi“). Die israelische Perspektive auf dieses Ereignis nahm 1996 ein weiterer amerikanischer Fernsehfilm mit dem Titel „The Man Who Captured Adolf Eichmann“ (dt. „Der Mann, der Eichmann jagte“) ein, in dem Robert Duval Eichmann darstellt. Doch bereits im März 1961, noch vor Beginn des Prozesses gegen Eichmann in Israel, hatte der Regisseur R. G. Springsteen einen ersten Film über Eichmanns Leben mit dem Titel „Operation Eichmann“ veröffentlicht.
Ebenfalls 1961 veröffentlichte Erwin Leiser aus Anlass des Prozessbeginns in Jerusalem seinen Dokumentarfilm „Eichmann und das Dritte Reich“, mit dem er insbesondere dem bundesdeutschen Publikum die geschichtlichen Hintergründe des Eichmannprozesses erhellen wollte. 1960 hatte Leiser mit dem Film „Mein Kampf“ einen der ersten und wirkungsvollsten Kompilationsfilme über den Nationalsozialismus und die Judenverfolgung vorgelegt. In „Eichmann und das Dritte Reich“ fungiert Eichmanns Wirken aber eher als Rahmen, um die systematische Verfolgung und Ermordung der Juden und die Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus zu verdeutlichen. Erst der 2002 erschienene Dokumentarfilm „Eichmann – The Secret Memoirs“ von Nissim Mossek und Alan Rosenthal nahm Eichmanns Selbstinszenierung kritisch in den Blick und bezog dazu auch bisher wenig beachtete Quellen mit ein. Ein oft verwendetes Material waren hingegen die Filmaufnahmen, die 1961 während des Prozesses in Jerusalem gemacht wurden, um das Geschehen auf die Fernsehschirme in zahlreichen Ländern zu übertragen. Teile dieses Filmmaterials wurden nun von Yad Vashem auf einem eigenen Youtube-Channel bereit gestellt. Bereits 1999 hatte der Filmemacher Eyal Svian aus den Prozessaufnahmen den Film „Der Spezialist“ zusammengeschnitten, der die chronologische Ordnung der Szenen zugunsten der Dramaturgie eines Geschichtsdramas durchbrach. Eichmann wurde so (anders als im Prozess, wo für die Zuschauer seine Person oft zugunsten der Zeugenaussagen in den Hintergrund trat) zum zentralen Protagonisten, der israelische Staatsanwalt Hausner zu seinem Gegenspieler. Sivans Montage orientiert sich an den Prozessbeobachtungen von Hannah Arendt in ihrem Bericht „Eichmann in Jerusalem“, läuft aber auf eine Universalisierung Eichmanns als stereotype Bürokratenfigur hinaus. Dies wird durch computergestützte Veränderungen des Bildmaterials und eine suggestive Tondramaturgie verstärkt. So wird eine kritische Reflexion von Eichmanns Selbstinszenierung verhindert, diese im Gegenteil noch verstärkt. In den Hintergrund gedrängt und oft auch verkürzend und verfälschend zu bloßem Füllmaterial reduziert, werden hingegen die zahlreichen Zeugenauftritte in „Ein Spezialist“ dargestellt.
Im Folgenden sollen einige filmische Darstellungen Eichmanns näher vorgestellt werden, die sich auf historische Quellen stützen. Untersucht werden soll dabei, wie die Filme die Dokumente bearbeiten und zum Gegenstand einer Rekonstruktion machen. Zwei zentrale Quellen werden dabei vorgestellt: ein Interview, das der ehemalige niederländische SS-Mann Willem Sassen Ende der 1950er Jahre mit Eichmann in Argentinien führte und das Protokoll des Verhörs von Eichmann durch den israelischen Polizeioffizier Avner Less im Vorfeld des Prozesses.
Quellenkritische Filmanalyse
Die hier näher vorgestellten Filme eignen sich daher gut zu einer quellenkritischen Filmanalyse, durch die sowohl die historischen Quellen einer näheren Betrachtung unterzogen, als auch die Übersetzungs- und Bearbeitungsprozesse der Dokumente in den Filmen analysiert werden können. Untersucht und reflektiert werden sollen dabei der Entstehungszusammenhang der historischen Quelle sowie der jeweilige Entstehungskontext der Filme. Dies schließt eine kritische Analyse der jeweiligen Quellen und der darin zum Ausdruck kommenden Strategien der Inszenierung und Selbstinszenierung mit ein. In den hier vorgestellten Quellen, dem Sassen-Interview und dem Verhör, inszeniert Eichmann sich und seine Taten in je unterschiedlicher Weise, was auch mit den unterschiedlichen Adressaten zu tun hat. Während im Interview seine nationalsozialistische Weltanschauung ungebrochen zum Ausdruck kommt, geht es im Verhör bereits um seine Verteidigungsstrategie, der Welt das Bild des bürokratischen Befehlsempfängers zu vermitteln, das Hannah Arendts Formel von der „Banalität des Bösen“ unfreiwillig noch verstärkte. Dies macht auch deutlich, dass an der Verfertigung solcher Quellen auch weitere Personen beteiligt sind, die in eine quellenkritische Analyse ebenfalls einbezogen werden müssen: Sassen, der selbst ein überzeugter Nationalsozialist war jedoch im Unterschied zu Eichmann das Interesse verfolgte, den Massenmord an den Juden zu verkleinern, während Eichmann seine Beteiligung daran als historische Leistung gewürdigt sehen wollte, sowie Avner Less, der aus Deutschland stammende israelische Jude, der in diesem Verhör in ein fast intimes Zwiegespräch mit einem der Hauptorganisatoren der Vernichtungsmaschinerie gebracht wird.
Die Filme wiederum können in der Gegenüberstellung mit den Quellen nicht einfach als deren bloße Rekonstruktionen interpretiert werden. Auch sie müssen kontextualisiert, die Perspektiven der daran beteiligten Akteure bewusst gemacht werden. Welche Quellen werden wie und in welchem Umfang zur Grundlage der filmischen Darstellung gemacht? Inwiefern bleiben die historischen Quellen als solche auch für die Zuschauer sichtbar? Inwiefern machen die filmischen Rekonstruktionen auf den Konstruktionscharakter filmischer Geschichtsdarstellungen aufmerksam und affirmieren, reproduzieren oder reflektieren die in den Quellen angelegte Inszenierungs- und Selbstinszenierungsstrategien? Solche Fragen sollen bei der quellenkritischen Filmanalyse die Untersuchung leiten und eine Auseinandersetzung sowohl mit den geschichtlichen Überlieferungen als auch mit deren medialer Reaktualisierung anregen.
Das ‚Sassen-Interview‘ in „Eichmanns Ende“ (2010)
1957 entstanden in Argentinien 73 Tonbänder, auf denen sich Gespräche von Eichmann mit dem niederländischen Journalisten und ehemaligen SS-Mann Willem Sassen befinden. Nachdem Sassen nach Kriegsende mit falschen Papieren nach Argentinien geflohen war, pflegte er engen Kontakt mit ehemaligen NS-Größen wie Eichmann und Josef Mengele. Er arbeitete für einen nationalsozialistischen Verlag und für die antisemitische Nazi-Emigrantenzeitschrift „Der Weg“. Mit dem Eichmann-Interview verfolgten Sassen und seine Mitstreiter das Ziel, die deutsche Schuld bei der Ermordung der Juden kleinzureden bzw. den Holocaust als jüdische Propagandalüge darzustellen. Man erhoffte sich von Eichmann, dem Experten, entsprechende ‚Fakten‘, die die in den 1950er Jahren immer zahlreicher werdenden Dokumente für den millionenfachen Mord an den europäischen Juden entkräften könnten. Eichmann selbst aber hatte andere Ziele. Er suchte nach öffentlicher Anerkennung für seine ‚Leistung‘, bezeichnete sich in den Gesprächen nicht – wie später im Prozess in Jerusalem – als bloßen Befehlsempfänger, sondern als aktiv mitdenkenden Idealisten.
Die Gespräche wurden transkribiert und teilweise von Eichmann mit umfangreichen Anmerkungen versehen, vor Eichmanns Entführung nach Israel jedoch nicht veröffentlicht. Erst nach Eichmanns Festnahme verkaufte Sassen Teile an die amerikanische Illustrierte „Life“ und den deutschen „Stern“. Heute werden die Gesprächsprotokolle als zentraler Teil der sogenannten „Argentinien-Papiere“ eingeordnet, die zusammen mit den Aufschriften Eichmanns in israelischer Haft und den dort geführten Verhörprotokollen als „Eichmanns Memoiren“ gelten.Allerdings wurde nur ein Teil des Materials beim Prozess in Jerusalem als Beweismaterial zugelassen.
Bisher wurden die Materialien noch nicht vollständig ausgewertet. In ihrem Essay „Eichmanns Memoiren“ hat Irmtrud Wojak Charakter und Schwierigkeiten des Materials beschrieben. Bettina Stangneth hat in ihrer Studie „Eichmann vor Jerusalem“ ausführlich Entstehungszusammenhänge, Rhetorik und Überlieferung des Materials ausgewertet. Seit den 1970er Jahren liegen ungefähr 800 Seiten Transkriptionen der Gespräche zwischen Eichmann und Sassen zusammen mit den Tonbändern im Bundesarchiv in Koblenz.
2010 hat der Regisseur Raymond Ley für seinen im Auftrag des NDR und des SWR produzierten Fernsehfilm „Eichmanns Ende“ Teile der Sassen-Interviews für die Rekonstruktion von Eichmanns Leben in Argentinien verwendet. Die für den Film nachgestellten Dialoge stammen nach den Worten von NDR-Redakteur Alexander von Sallwitz „sämtlich aus den Tonbandmitschnitten der Original-Interviews aus den 50er Jahren“, seien „also kein Werk eines Drehbuchautors.“ Tatsächlich wurden für die Drehbuchfassung auch Unterbrechungen und Füllwörter beibehalten. Das Ambiente des Wohnhauses von Sassen wurde nach den Erinnerungen seiner Tochter gestaltet. Verstärkt durch das Spiel der Schauspieler bilden die Nachstellungen des Gesprächs ein wichtiges Zentrum des Films, das den Zuschauern das Denken und Formen von Eichmanns Selbststilisierung sowie die unterschiedlichen Ziele und Strategien von Eichmann und Sassen vor Augen führt. Deutlich wird durch die Auswahl der Gesprächssituationen auch Eichmanns Wahrnehmungen seiner Taten bzw. seine eigene Motivation und Überzeugung, die er später in seiner Verteidigungsstrategie in den Hintergrund zu rücken versuchte. Dazu der Regisseur Ley: „Eichmann hat sich im Prozess ja selbst schwach inszeniert und somit unser Bild vom Befehlsempfänger Eichmann, vom Schreibtischtäter geprägt. (…) Eichmann war ein dürrer Charakter, ein fanatischer Antisemit und wahnsinniger Rassenhasser.“
Ley kam es darauf an, die Gesprächsstellen so auszuwählen und miteinander zu kombinieren, dass sich Eichmann in den Dialogen widerspricht, um damit den – sich in der Gesamtschau der Gesprächsmitschriften aufdrängenden – Eindruck der Widersprüchlichkeit von Eichmanns Gedankenwelt den Zuschauern zu vermitteln. Um aus dem Material eine solche „Handlungsanleitung seines Denkens“ zu gewinnen, hatte Ley die Interviewprotokolle komplett durchgearbeitet und thematisch gegliedert. Auf diese Weise deuten die rekonstruierten Gesprächsszenen vor allem auf die Sprache Eichmanns hin, wie Ley anmerkt: „Mit Bandwurmsätzen versucht Eichmann die eigene Bedeutung zu ‚heben‘ und sich zugleich als ‚kleinen Befehlsempfänger‘ zu stilisieren. Eichmann verstrickt den Zuhörer, den Leser, auch den ‚Kamerad‘ Sassen, in seine Gedankenwelt.“ Indem Brüche und Widersprüche bei der Inszenierung bewusst beibehalten wurden und das Gespräch oft sprunghaft verläuft und von Gedankensprüngen, Selbstinszenierungsstrategien und auch bewusst eingesetzten Lügen geprägt ist, ermöglichen die Spielszenen wiederum die historische Quelle kritisch zu rezipieren. Dazu gilt das, was Bettina Stangneth, die auch wissenschaftliche Beraterin des Filmprojekts war, für die Einordnung der „Argentinien-Papiere“ betont: „Wer Rechtfertigungsliteratur wie Eichmanns Argentinien-Papiere interpretieren will, sollte nicht erwarten, in diesen Texten auf direktem Weg neue Erkenntnisse über historische Ereignisse zu gewinnen, denn der, der Rechtfertigungen schreibt, ist kein Historiker und auch kein Chronist. Mehr noch: Wer mit einem so klaren Interesse öffentlich ‚denkt‘, ist noch nicht mal ein verlässlicher Zeitzeuge, weil jedes Datum, jedes Detail eine Lüge sein kann. Was hier verlässlich Zeugnis ablegt ist allein die Denkungsart, die sich in jedem Schreiben, sogar noch im Lügen, notwendig verrät, weil ein Mensch noch die Unwahrheit über dem Abgrund konstruieren muss, den er für die Wahrheit hält. Das neue historische Faktum, das man im Interpretieren von Eichmanns Selbstdarstellungen und noch in seinen Geschichtsfälschungen finden kann, ist dafür allerdings nichts Geringeres als sein Denken selbst.“
Diese Ebene muss in der Analyse des Dokudramas „Eichmanns Ende“ jedoch erst aus der komplexen Gesamterzählung heraus präpariert werden, die die Nachstellung der Sassen-Gespräche mit Spielszenen über Eichmanns Enttarnung vermischt, in deren Mittelpunkt die angedeutete Liebesgeschichte zwischen Eichmanns Sohn und der Tochter eines in Argentinien lebenden Holocaustüberlebenden steht, der Eichmann schließlich enttarnt und dessen Aufenthaltsort mit Hilfe des Hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer an die Israelis verrät. Die Mischung von reinszenierten Dokumenten, melodramatischen Spielszenen und Thrillerelementen lenkt den Blick somit auch auf die Authentifizierungsstrategien, die Dokudramen wie „Eichmanns Ende“ verwenden, um Quellen und Material unterschiedlichen Status (wie die Interviews auf der einen Seite und Zeitzeugenerinnerungen auf der anderen Seite) gleichermaßen in konkret wahrnehmbare ‚Rekonstruktionen‘ der Vergangenheit ‚wie sie war‘ umwandeln, ohne den spezifischen Quellenstatus sichtbar und nachvollziehbar zu machen.
Die Verhörprotokolle in „Eichmann“ (2007) und „Das Protokoll“ (1983)
Natürlich können auch Fiktionalisierungen – wie Interpretationen – Zusammenhänge und Strukturen sichtbar machen, für die kein geeignetes dokumentarisches Material zur Verfügung steht. An diesen Bruchstellen produzieren Filme wie „Eichmanns Ende“ bestimmte Erzählungen der Vergangenheit. Diese versuchen – auch über den per se brüchigen und rissigen Charakter des Dokudramas, das Bilder und Szenen unterschiedlicher Provenienz und Herkunft mischt – kohärente Geschichtsverläufe abzubilden. Die Frage, die sich dabei stellt, ist, ob diese Erzählungen uns ein Mehrwissen über die Vergangenheit ermöglichen, oder ob nicht der neue Zugang zu den Quellen selbst – hier die Selbstdarstellungsdokumente Eichmanns – uns einen anderen Zugang zu dessen Denken verschafft, wie Stangneth ausführt.
Umso komplizierter wird dies, wenn die Quellen in einem Film kaum noch sichtbar sind und einer bestimmten Fiktion von Vergangenheit untergeordnet werden. Der 2007 entstandene britische Film „Eichmann“ orientiert sich zwar an den Protokollen der Vernehmungen, die der israelische Vernehmungsbeamte Avner Less im Vorfeld des Prozesses in Jerusalem mit Eichmann geführt hatte, diese sind aber lediglich ein Authentifizierungssignal, das die Darstellung von Eichmann beglaubigen soll. Less und die Verhöre bilden lediglich die Rahmenhandlung für die Vermittlung eines bestimmten Eichmann-Bildes, in dem dessen sexuelle Affären eine zentrale Stellung zugeschrieben bekommen. Diese – teilweise in den Mitschriften gar nicht enthaltenen, zumeist auch nur randständigen Episoden – werden durch aufwändige Rückblenden inszeniert und prägen auf diese Weise die Wahrnehmung der Zuschauer. Die wenigen Originalsequenzen aus den Protokollen, die in das Drehbuch eingegangen sind, dienen genauso wie Archivmaterial von Deportationen aus dem niederländischen Lager Westerbork und das den Filmaufnahmen des Prozesses nachempfundene Minenspiel des Eichmann-Darstellers Thomas Kretschmann zur Authentifizierung. Auf diese Weise reproduziert der Film – anders als „Eichmanns Ende“, der eine Neubetrachtung der Figur Eichmann anstrebt – ein bestimmtes Klischee vom monströsen Nazitäter.
Als geradezu entgegengesetztes Beispiel kann ein Fernsehexperiment gelten, das 1983 von der NDR-Fernsehspielabteilung unter der Leitung von Dieter Meichsner durchgeführt wurde. Dabei handelt es sich um die Life-Ausstrahlung einer Reinszenierung von Teilen der in Israel geführten Vernehmungsprotokolle unter der Regie von Dieter Wedel mit dem Titel „Das Protokoll“. Auf einer provisorischen Bühne sitzen vor einem immer wieder eingeblendeten Publikum zwei Schauspieler, die als Darsteller von Eichmann und Avner Less Dialogsequenzen aus den Vernehmungsprotokollen sprechen.
275 Stunden hatte das Verhör zwischen dem israelischen Polizeioffizier und Eichmann gedauert. Less, in Deutschland geboren und vor den Nazis nach Palästina geflohen, war wegen seiner Sprach- und Verhörkenntnisse für diese Tätigkeit ausgewählt worden. Ihm gegenüber saß ebenfalls ein Verhörspezialist. Während seiner Tätigkeit für die Gestapo und den SD und insbesondere in seinen ‚Verhandlungen‘ mit Vertretern jüdischer Institutionen, die von den Nazis in ihren eigenen Vernichtungsprozess eingespannt wurden, hatte Eichmann zahlreiche Erfahrungen in strategischer Gesprächsführung sammeln können, die er in diesem Verhör ausspielte. Less berichtet, dass Eichmann immer wieder seine eigene Strategie auf Less‘ Fragen abstellte – somit kann auch dieses Gespräch keinesfalls als authentische Quelle bewertet werden, sondern muss als weiteres Mosaiksteinchen gelten, mit dessen Hilfe Eichmanns Selbstinszenierungen und sein Denken entschlüsselt werden können.
Die auf Tonband aufgezeichneten Verhöre füllten schließlich 3564 Seiten. Kurze Auszüge daraus wurden 1978 von dem Dramatiker Heiner Kipphardt im „Kursbuch“ veröffentlicht. 1983 machte dann der ehemalige „Stern“-Redakteur Jochen von Lang Teile des Verhörs auf rund 250 Seiten der Öffentlichkeit in dem Buch „Das Eichmann-Protokoll“ zugänglich. Diese Publikation lag auch der Fernsehinszenierung des NDR zugrunde, für die von Lang wiederum Teile der veröffentlichten Fassung auswählte und zu Szenen zusammenstellte. Ebenfalls auf Grundlage der Protokolle verfasste Heinar Kipphardt sein Stück „Bruder Eichmann“, das im Januar 1983 in München Premiere feierte.
Folgt man einer umfangreichen Besprechung des Buches durch den Hamburger Gymnasiallehrer Eberhard Hübner im „Spiegel“, wurde die auszugweise Veröffentlichung der Verhörprotokolle in Deutschland innerhalb von zwei Bezugsrahmen wahrgenommen. Den einen Bezugsrahmen bildete Hannah Arendts Prozessbericht „Eichmann in Jerusalem“, der die Formel von der „Banalität des Bösen“ populär machte und dazu beitrug, dass Eichmann im Sinne seiner eigenen Verteidigungsstrategie beinahe ausschließlich als gedankenloser Bürokrat und Befehlsempfänger wahrgenommen wurde. Aufgrund dieses Referenzrahmens wurden die Protokolle kaum auf ihren Entstehungskontext – Eichmanns Verteidigung gegenüber einem israelischen Polizisten – befragt, sondern ihnen kritiklos der Status einer glaubwürdigen Quelle zugesprochen. Hübner hält bereits zu Beginn seiner Rezension fest: „Wer Eichmann war, was er gedacht und empfunden hat: darüber, also über die nur auf den ersten Blick so rätselhafte innere Statur eines nazistischen Mord-Bürokraten, gibt eine Sammlung von Protokollen Auskunft, die die Polizeiverhöre mit Eichmann vor seinem Prozess in Jerusalem wiedergeben.“ Entsprechend kommt Hübner zu dem Schluss, Eichmanns Taten seien nur in ihrer Dimension „monströs“, ansonsten jedoch „Allerweltsmechanismen“, was zu einer punktuellen Entlastung des Täters führt, sei doch Eichmann „nie ein wirklich selbständiger Mensch gewesen“ und habe – was Bettina Stangneth in ihrer beindruckenden Auseinandersetzung mit Eichmanns Rezeption philosophischer Denker eindrucksvoll widerlegt – „außer Fachbüchern, nie Literatur gelesen“. Folglich sei er auch kein überzeugter Nazi gewesen und die Nationalsozialisten hätten auch keineswegs aus antisemitischen Beweggründen gehandelt, vielmehr habe der Antisemitismus nur „als Vorwand gedient“. Diese unkritische Bewertung der Quelle, die die Entlastungsstrategie des Täters affirmiert und sogar noch verstärkt, kann als durchaus typisch für die frühen 80er Jahre angesehen werden, insbesondere weil diese Sicht neben dem Schlagwort von der „Banalität des Bösen“ noch von einer Tendenz zur Universalisierung verstärkt wird. Die Shoah wird aus ihrem historischen Kontext und von ihren konkreten Urhebern abgelöst. Eichmann erscheint so in den Worten Hübners „nicht nur als eine Figur der Vergangenheit, sondern vielmehr als eine Präfiguration der möglichen Totalitarismen des 21. Jahrhunderts.“ Diese Tendenz der entlastenden Universalisierung verdeutlicht auch Kipphardts Bearbeitung der Verhörprotokolle. So zeigt sein Theaterstück „Bruder Eichmann“ „politische Konstellationen, die ähnlich geeignet sind, bürokratische Unmenschlichkeit zu erzeugen, wie es mit der ‚Endlösung‘ geschah“. Zu Beginn der 1980er Jahre koppelt sich diese universalisierende Lesart der Naziverbrechen – die durchaus im Einklang der Selbstinszenierung durch die Täter steht – auch mit der wiederum schuldentlastenden Anklage Israels, insbesondere im Zusammenhang mit den während des Bürgerkrieges im Libanon durchgeführten Massakern in palästinensischen Flüchtlingslagern durch libanesische Milizen. Die neuerliche Rezeption von Eichmann koppelt sich also 1983 in Folge der Veröffentlichung der israelischen Verhörprotokolle mit einer antizionistischen Anklage gegen Israel und einer Universalisierung der Naziverbrechen.
Diese Konstellation nimmt das Fernsehspiel „Das Protokoll“ von Dieter Wedel auf besondere Weise auf. Zentrum dieser Inszenierung sind die Auszüge aus den Vernehmungsprotokollen, die mit Angaben zu Eichmanns eigener Person beginnen und im Weiteren seine Funktion im Vernichtungsprozess behandeln. Nach jeder Sequenz wird ein zentrales Zitat von Eichmann als Zwischentitel hervorgehoben. Auf diese Weise bekommen die Zuschauer die Möglichkeit, über das Gesprochene nachzudenken. Die Zwischentitel verweisen oft auf Widersprüche zwischen Eichmanns Selbstdarstellung und den von ihm mitverantworteten Taten.
Anders als in „Eichmanns Ende“ ist in „Das Protokoll“ die Inszenierung immer offensichtlich. Am Ende des Stücks tritt Werner Kreindl, der Schauspieler von Eichmann, ganz bewusst aus seiner Rolle heraus, spricht Peter Eschberg, den Darsteller von Less, mit dessen richtigen Namen an und bricht die Inszenierung ab. Wedel verwendet hier theatrale Elemente der Verfremdung, die den Zuschauern – anders als in einem Spielfilm wie „Eichmann“ – die Konstruktion des Dargestellten bewusst machen.
Die einzelnen Bestandteile des Dokudramas – nachinszenierte Szenen, historische Fotografien und Dokumente sowie Zeugenberichte – werden auch in „Das Protokoll“ verwendet, allerdings vermischen sie sich nicht zu einer neuen kohärenten Erzählung. Vielmehr wird die Fernsehinszenierung wie ein Theaterstück strukturiert. Nach einer Stunde verlassen die beiden Schauspieler die Bühne. Die Kamera fährt an einer schwarzen Wand aufgehängte Dokumente ab, größtenteils Deportationsbefehle und –berichte wie der sogenannte Salitter-Bericht. Danach interviewt Jochen von Lang Avner Less, der in der ersten Reihe der Zuschauertribüne sitzt und über seine Erfahrungen mit Eichmann berichtet. Dieser Zeitzeugenbericht kontextualisiert die Inszenierung, legt Eichmanns Verteidigungs- und Verhörstrategien offen und ermöglicht so eine kritische Reflexion der reinszenierten Quelle.
Seinen besonderen kontroversen Status aber erhielt das Fernsehspiel durch ein weiteres Stilmittel, dass „die Kunst-Grenze zwischen Spiel und Wirklichkeit durchbrach.“ Neben den reinszenierten Szenen auf Grundlage der Verhörprotokolle, den abgefilmten Dokumenten und dem Interview mit Avner Less sah das Drehbuch der Fernsehinszenierung auch noch geplante aber spontan erscheinende Zwischenrufe aus dem Publikum vor, die die Rekonstruktion der Vergangenheit rahmen und an gegenwärtige Auseinandersetzungen anschließen sollte. „Immer öfter und heftiger wurde der Fortgang des scheinbar biederen Dokumentarspiels durch Schreier, Zwischenrufer, Dreinredner gestört, durch rhetorische Zuschauer-Schaukämpfe unterbrochen“. Diese Unterbrechungen führen zu Reaktualisierungen des Gezeigten. Diese werden aber nicht in die Quelle – also Eichmanns Selbstauskünfte – selbst hineininterpretiert, sondern werden ‚von außen‘, von vermeintlichen ‚Zuschauern‘ an die Darstellung herangetragen und sind dadurch gleichzeitig Gegenstand eines Disputs, gegen den wiederum die beiden Darsteller die Eigenständigkeit der Quelle (und ihre Besonderheit, die sich Gleichsetzungen entzieht) verteidigen. Folglich fallen die Darsteller auf der Bühne aus ihren Rollen bzw. spielen eine neue, zweite Rolle angesichts der von anderen Schauspielern im Publikum geäußerten kontroversen Positionen, die sich schließlich auf den Umgang mit Israel und der israelischen Politik zuspitzen. Dabei werden verschiedene Perspektiven sichtbar: links-alternative Israelkritik mit dem Motiv universalisierender Schuldentlastung, revanchistische Relativierung des Holocaust und ausgestellte Israelfreundschaft zur Erleichterung von israelkritischen Äußerungen (Zitat aus der Inszenierung: „Warum macht ihr es uns so schwer, auf eurer Seite zu sein?“). Durch die Dramaturgie der Zwischenrufe, die das Spiel auf der Bühne unterbrechen aber immer mit dem dort Vorgetragenen in Bezug treten, werden diese Positionen im Hinblick auf ihre Schuldentlastungsfunktion entlarvt. Gegen die vorschnell gezogenen Analogien zwischen Eichmanns Tätigkeit und Denken und gegenwärtigen politischen Konflikten wird ein Konzept historischer Unterscheidungsfähigkeit gestellt, das die fundamentale Differenz zwischen der israelischen Demokratie und nationalsozialistischem Führerstaat betont. Zentral ist dabei auch der Zwischenruf des Eichmanndarstellers Werner Kreindl, der aus der Rolle fallend das ‚Publikum‘ beschimpft, es habe nichts von dem verstanden, was Eichmann hier äußere, wenn man nicht die Differenz dieses Denkens gegenüber konflikthaften und kriegerischen Auseinandersetzungen in der Gegenwart wahrnehmen könne.
Auf diese Weise verschiebt sich auch in „Das Protokoll“ sukzessive die Perspektive. Allerdings bleibt die Reinszenierung der Verhörprotokolle das Zentrum und der Referenzpunkt der Inszenierung. Die Quelle wird durch die historischen Dokumente kontextualisiert, ihre Entstehung durch den Zeugen Avner Less reflektiert und ihre Denkstruktur durch die Schauspieler und die kontroversen Reaktualisierungen aus dem Publikum interpretiert. Auf diese Weise treten Eichmanns Rhetorik und Denken anders als in der fiktionalen Rekonstruktion in dem späteren Spielfilm „Eichmann“ als Sprach- und Denkstrukturen hervor und können in weiterer Auseinandersetzung mit dem der Inszenierung zugrundeliegenden Material, den Verhörprotokollen, weitergehend analysiert werden. In einem nächsten Schritt können auch die Auswahl der Szenen für das Stück anhand der Vorlage rekonstruiert und die Bruchpunkte, an denen die Inszenierung durch den Rollenwechsel der Schauspieler und die kalkulierten Zwischenrufe aufbricht bzw. das Gesagte auf die Gegenwart bezogen wird, näher untersucht werden.
Fazit
Filme und Dokudramen verwenden historische Quellen, indem sie diese in ihre Erzählstruktur integrieren. Sie werden mit Hilfe der Montage, mit Mitteln der Nachstellung oder als reinszenierte Dokumente in den Fluss der Handlung eingebettet. Ausgehend von den historischen Quellen, die somit als ‚Vorlagen‘ oder Referenzen dienen, können wir uns gleichzeitig den Konstruktionscharakter solcher Filme und damit von Geschichtserzählungen im Allgemeinen bewusst machen. Dieses Verfahren lenkt die Aufmerksamkeit auf die Übersetzung schriftlicher Transkriptionen in szenisches Spiel. Während diese Übersetzung in einem weitgehend fiktionalisierenden Spielfilm wie Robert Youngs „Eichmann“ verborgen bleibt und lediglich Handlungsfragmente durch den Verweis auf die Herkunftsquellen, die Tonbänder, beglaubigen soll, bleibt im Dokudrama die fragmentarische Struktur der Vergangenheitsrekonstruktion erhalten. Die Heterogenität von „Eichmanns Ende“, die Verbindung der nüchternen szenischen Rekonstruktionen der Sassen-Interviews mit melodramatischen Szenen, Spannungsdramaturgie und Zeitzeugeninterviews, kann für die quellenkritische Filmanalyse hilfreich sein, um einerseits den Status verschiedener Quellen zu reflektieren, andererseits filmische Beglaubigungsstrategien zu erkennen. Wichtig dafür bleibt es auch die schriftlichen Quellen nicht für Dokumente historischer Wahrheit zu nehmen, sondern sich in der Auseinandersetzung mit Sprache, Rhetorik, Fehlleistungen, Gesagtem und Ungesagtem dem hinter den Worten sichtbar werdenden Denkens eines Täters wie Eichmann zu nähern. In der Disputsituation der Sassen-Runde in „Eichmanns Ende“ treten diese ‚Denkstrukturen‘ ebenso zu tage wie in dem Fernsehexperiment „Das Protokoll“. Dieses lädt darüber hinaus zu der Auseinandersetzung über Möglichkeiten und Grenzen der Aktualisierung von Vergangenheit ein. Es zeigt, dass bei der quellenkritischen Filmanalyse auch die Rahmung durch gesellschaftliche Auseinandersetzungen sowie die Betrachtung der Überlieferungsgeschichte von historischen Dokumenten mit einbezogen werden muss. So ist das Fernsehspiel „Das Protokoll“ viel eher ein Dokument für das historisch-politische Bewusstsein der Bundesrepublik zu Beginn der 1980er Jahre, das wiederum ein Dokument für die Entlastungsrhetorik eines Täters zu seiner Verteidigung Anfang der 1960er Jahre aktualisiert, das selbst nur indirekt auf das historische Verbrechen der Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten und ihrer Helfer verweist. Solche Bedeutungsschichten abzutragen und gleichzeitig den Kontext durch die Interpretation der Quellen und ihre Kontextualisierung durch weitergehendes Wissen um historische Zusammenhänge zu erweitern, ist Gegenstand einer quellenkritischen Filmanalyse, die im hier untersuchten Fall der Selbstauskünfte Adolf Eichmanns neben der historischen Beschäftigung mit den NS-Verbrechen auch eine Auseinandersetzung über das Selbstbild und die Selbstinszenierung eines Täters, seine Wahrnehmung und Überlieferung und Strukturen seines Denkens ermöglicht.
Dr. Tobias Ebbrecht ist Medienwissenschaftler an der Bauhaus-Universität Weimar und Autor von „Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis – Filmische Narrationen des Holocaust“ (Bielefeld 2011).