Sonntag bis Donnerstag: 9.00-17.00 Uhr Freitags und an den Abenden vor einem Feiertag: 9.00-14.00 Uhr
Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
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Dr. Maik Wogersien
Mit der Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“ hat Nordrhein-Westfalen an der Justizakademie des Landes eine bundesweit in dieser Form einzigartige Einrichtung geschaffen, die es sich seit mehr als zwanzig Jahren zur Aufgabe gemacht hat, insbesondere jungen Justizmitarbeiterinnen und –mitarbeitern die Verfolgungsgeschichte der nationalsozialistischen Zeit zu vermitteln. Eine ihrer Hauptaufgaben besteht darin, Juristinnen und Juristen nicht nur das unentbehrliche Fachwissen angedeihen zu lassen, sondern auch den Menschen in der Robe und die Persönlichkeitsbildung gerader junger Juristen in den Blickpunkt zu nehmen. Viele Juristen sind nach dem 30. Januar 1933 nicht primär fachlich, sondern in erster Hinsicht menschlich gescheitert. Die Verstrickungen der Justiz in den NS-Unrechtsstaat gingen häufig mit Gleichgültigkeit, Opportunismus und einem nicht ausreichend fundierten Demokratieverständnis einher. Im Oktober 1996 hat das Justizministerium des Landes NRW dem Historischen Seminar und dem Institut für Rechtsgeschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zur Frage des Umgangs der nordrhein-westfälischen Justiz mit der nationalsozialistischen Vergangenheit übertragen. Bereits damals sollte unter anderem geklärt werden, ob eine mögliche NS-Belastung der nordrhein-westfälischen Justiz vor allem die strafrechtliche Aufarbeitung von NS-Verbrechen behindert oder negativ beeinflusst hat. Diese Vermutung basierte in erster Linie auf dem Umstand, dass auch die Richter und Staatsanwälte des Landes NRW vor 1945 an der Durchsetzung nationalsozialistischen Unrechts erheblichen Anteil gehabt hatten und danach mehrheitlich unbehelligt im Justizdienst der Bundesrepublik Deutschland weiter ihren Dienst verrichtet haben.
Vor allem die Richter und Staatsanwälte, deren Geburtsjahr in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts fiel, gehörten zu der Generation von Juristen, die den schonungslosen Justizterror der NS-Zeit in den politisierten Sondergerichtsverfahren während des Krieges direkt zu verantworten hatten. Sie bildeten nach 1945 den personellen Kernbestand der noch relativ jungen Juristen, auf dem die Justiz der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut werden musste. Während des Entnazifizierungsverfahrens kurzfristig einer ihrer Ausbildung entsprechenden beruflichen Perspektive beraubt, sahen sie sich nach Kriegsende durch Besatzung und Entnazifizierung zu einer wenigstens äußerlichen Abkehr vom Nationalsozialismus veranlasst. Ein Umdenkungsprozess oder Einstellungswandel gegenüber all denjenigen, die in der NS-Zeit aus „politischen“, „rassischen“ oder „religiösen“ Gründen einer radikalen Ausgrenzung und Verfolgung unterworfen worden waren, kam innerhalb dieser Juristengeneration nicht oder nur sehr halbherzig zustande. Dies war eine der Ursachen für die geringe Intensität der Verfolgung von NS-Unrecht in den 1950er Jahren.
Vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Neuorientierung vollzog sich gegen Mitte der 1960er Jahre auch innerhalb der Justiz ein Generationenwechsel, der die administrativen Strukturen der höheren Justiz in seinem professionellen, sozialen und politischen Selbstverständnis erst schrittweise, dann aber nachhaltig veränderte. Vor allem die nach 1930 geborenen Juristen waren es, die die personelle Kontinuität und den traditionellen Konformismus gegenüber staatlicher Autorität innerhalb der juristischen Bürokratie kritisch hinterfragten und die Justiz zu reformieren begannen.
Die Einstellung der nordrhein-westfälischen Justiz gegenüber den deutschen Entnazifizierungsausschüssen, die im Sommer 1946 ihre Arbeit aufnahmen, war von Anfang an ablehnend. Der juristische Korpsgeist trug zu diesem Widerwillen genauso bei, wie die stärker sachbezogene Kritik an den nur langsamen, sich häufig über ein ganzes Jahr hinziehenden Einzelentscheidungen, die alle weiterführenden Personalplanungen hemmten. Seit 1948 trat hinzu, dass sich die Spruchpraxis der Entnazifizierungsausschüsse immer nachsichtiger gestaltete. So wurden nun häufiger Personen eingestellt, die zuvor wegen ihrer NS-Belastung von der deutschen Justizverwaltung selbst als untragbar angesehen worden waren. An dieser Entwicklung hatte die Justiz jedoch zu einem guten Teil selber mitgewirkt, da sie bereits früh dazu übergegangen war, den Charakter der Justiz während der NS-Zeit als überwiegend unpolitisch zu exkulpieren. Diese Sichtweise stellten nicht nur Behördenleiter immer wieder heraus, auch das Justizministerium machte sich solche Stellungnahmen zu eigen. Das Gesamtergebnis der Entnazifizierung war niederschmetternd. 1952, ein Jahr nach dem Ende der Überprüfungen, lag der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften des Landes Nordrhein-Westfalen bei über 80 Prozent. Die Mitverantwortung der britischen Besatzungsmacht für das letztendliche Scheitern der Entnazifizierung ist nicht zu übersehen, aber sie findet deutliche Grenzen. Für sie konnte es nur darum gehen, in der weitgehend unter ihrer Verantwortung stehenden Besatzungszone für die Justiz ein entwicklungsfähiges demokratisches Grundgerüst aufzubauen. Dieses sollte aus praktischen Gründen weitgehend auf den Strukturen fußen, die den deutschen Richtern und Staatsanwälten bekannt waren. Ausgefüllt werden musste es letztlich durch die deutsche Justiz. Deutlich herauszustellen ist allerdings, dass das Scheitern des von den Briten initiierten Verfahrens nicht in der Verweigerung eines politischen Neubeginns lag, sondern vielmehr in der mangelnden Bereitschaft, auf die Verstrickung der Justiz in das nationalsozialistische Terrorsystem auch mit klaren personalpolitischen Konzepten zu reagieren. Die so häufig als Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit bezeichnete Tendenz entsprach einer allgemeinen Entwicklung innerhalb der deutschen Gesellschaft. Diese hatte es zwar zunächst durchaus begrüßt, exponierte Nationalsozialisten zur Verantwortung zu ziehen. Für das bürokratische Einzelverfahren gegen die sogenannten Mitläufer brachte man jedoch nur wenig Verständnis auf.
Der Vorhang des kollektiven Schweigens wurde Ende der 1950er Jahre zunächst stellenweise, dann aber immer großflächiger zerrissen. Einen ersten Anfang machten die spektakulären Propagandaaktionen der DDR, die seit 1957 mit immer neuen Beschuldigungen gegen die Vergangenheit der westdeutschen Richter und Staatsanwälte aufwarteten und die schließlich nicht mehr zu ignorierende kritische Anfragen aus dem demokratischen Ausland nach sich zogen. Auf einer Tagung der Landesjustizminister im April 1960 kam man überein, dass eine politische Lösung der „Richterfrage“ notwendig sei; eine Grundgesetzänderung blieb jedoch umstritten. Inzwischen überprüfte auch die nordrhein-westfälische Landesjustizverwaltung die in ihrem Bereich archivierten Todesurteile früherer Sondergerichte. Auf der folgenden Konferenz der Landesjustizminister einigte man sich schließlich darauf, belastete Richter mit deren Einverständnis in den Ruhestand zu versetzen. Die gesetzlichen Möglichkeiten des § 116 des Deutschen Richtergesetzes nutzte allerdings nur eine kleine Gruppe, um sich vorzeitig pensionieren zu lassen. In den Jahren seit 1957 waren in ganz Nordrhein-Westfalen über 70 Ermittlungsverfahren gegen belastete Richter und Staatsanwälte eingeleitet worden; zur Anklage gelangte keines. Hier behinderte letztendlich die restriktive Rechtsauslegung des Bundesgerichtshofes zur Frage der Rechtsbeugung jede mögliche Initiative. Gleichzeitig ließen aber auch die zuständigen Justizorgane jedwedes Interesse an einer Strafverfolgung der betroffenen Berufskollegen vermissen.
In allen drei nordrhein-westfälischen Oberlandesgerichten sind auch nach 1962, bis zum Ende der 1970er Jahre, auf Strafanzeigen hin Ermittlungsverfahren gegen belastete ehemalige Richter und Staatsanwälte des „Dritten Reiches“ geführt worden. Auch sie wurden eingestellt, weil sich ein Vorsatz zur Rechtsbeugung nicht nachweisen ließ oder letztendlich unklar blieb, ob das jeweilige Mitglied eines Kollegialgerichtes auch tatsächlich im Einzelfall für die Todesstrafe gestimmt hatte. Ein letzter Versuch, Richter für ihre Rechtsprechung während der NS-Zeit strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, endete im Jahre 1995, nachdem die Zentralstelle Dortmund diesmal systematisch gegen Richter und Staatsanwälte der ehemaligen Sondergerichte in Bromberg und Lodz ermittelt hatte. Ermittlungsverfahren wurden schließlich gegen sieben noch lebende Richter eingeleitet und dabei in großem Umfang Beweismittel aus dem In- und Ausland ausgewertet. Die Verfahren sind unter anderem eingestellt worden, weil die Beschuldigten entweder nicht mehr vernehmungsfähig waren oder auch hier der subjektive Tatnachweis nicht zu erbringen war.
So sehr juristischer Korpsgeist hier auch die Strafverfolgung in den eigenen Reihen argumentativ zu hintertreiben wusste, die Erkenntnis, unter die von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg begangenen Untaten keinen „Schlussstrich“ ziehen zu können, vergrößerte sich seit Beginn der 1960er Jahre immer mehr. Die mit großem politischen Ernst geführten Verjährungsdebatten 1965 und 1968/69 sowie 1978/79 trugen zu einer wachsenden Sensibilisierung bei und bewirkten schließlich, dass mit der Unverjährbarkeit von Mord auch juristisch kein „Schlussstrich“ mehr unter die NS-Verbrechen gezogen werden konnte.
Aufgrund der massiven Abneigung eines großen Teils der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber einer weiteren Strafverfolgung von NS-Verbrechen, die zudem durch die vergangenheitspolitischen Rahmenvorgaben der Regierung Adenauers Unterstützung fand, kam es in diesem Bereich erst ab 1958/59 zu einer Intensivierung. Das in Nordrhein-Westfalen im Jahre 1961 verwirklichte Konzept, in Köln und Dortmund Schwerpunktstaatsanwaltschaften „zur beschleunigten Aufklärung und energischen Durchführung" von Strafverfahren wegen NS-Verbrechen einzurichten, ist einerseits ein verspäteter Ansatz. Andererseits lässt diese Vorgehensweise in NRW ein vergleichsweise intensives Bemühen zur strafrechtlichen Aufarbeitung von NS-Unrecht erkennen, da in keinem anderen Bundesland ein derartiger Weg beschritten wurde. Für die Tätigkeit der Zentralstellen in Dortmund und Köln hat sich im Wesentlichen bestätigt, dass die Mehrzahl der bis dahin stattgefundenen Verfahren trotz zum Teil langer Verfahrensdauer nicht zu einer Anklageerhebung führten, sondern eingestellt wurden.
Der verspätete Ansatz, die Verfolgung von NS-Verbrechen erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre voranzutreiben, war mit vielfältigen tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Aufklärung und Beweisführung verbunden. In rechtlicher Hinsicht bedingte nicht nur die Anwendung des allgemeinen und nicht auf NS-Verbrechen zugeschnittenen deutschen Rechts, dass eine Vielzahl von Verbrechen nicht zur Anklage gebracht werden konnte. Insbesondere die gesetzgeberischen Versäumnisse zur Verjährung und zur Sperrklausel des Überleitungsvertrages, die gesetzliche Neuregelung zu den Anforderungen an die strafrechtliche Verantwortung des Gehilfen im Jahre 1968 sowie die von der BGH-Rechtsprechung gesetzten Maßstäbe engten den Kreis der verfolgbaren Straftaten ein. All diese Umstände wirkten in den 1960er Jahren einer gerechten Bestrafung von NS-Tätern entgegen.
Obwohl die Zentralstellen also mit einer Reihe schwieriger Bedingungen konfrontiert waren und die Arbeit auch durch institutionelle Schwierigkeiten (hohe Arbeitsbelastung, Personalsituation etc.) beeinflusst war, wurde in den ersten 10 Jahren ihrer Tätigkeit in einer nicht unerheblichen Anzahl der Fälle schwersten NS-Unrechts Anklage erhoben (Dortmund 13,4%, Köln 6,1% ). Dadurch konnte zwar nicht in allen, aber doch in einer Vielzahl von Strafverfahren eine Verurteilung erreicht werden. Für die Arbeit der Zentralstellen kann zudem bilanzierend festgestellt werden, dass das stärkere systematische Vorgehen für eine eingehende Aufklärung nötig und wichtig war. Es wurden dadurch mehr Fälle erfasst. Für diese Fälle bestanden aber oft nur geringe Beweismöglichkeiten, so dass die Verfahren häufig nicht zur Anklageerhebung führten.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Eine Folge der weitreichenden personellen Kontinuitäten und auch praktischen sowie rechtlichen Schwierigkeiten war im Justizbereich der frühen Bundesrepublik eine zum Teil mehr als nur unzureichende NS-Strafverfolgung. Auch wenn sich die Gerichte und Staatsanwaltschaften in einem beachtlich großen Umfang um die Aufarbeitung der NS-Verbrechen bemüht haben und zu der Zahl der Verfahren vor bundesdeutschen Gerichten auch immer die Verfahren vor alliierten Besatzungsgerichten und die zahlreichen Entnazifizierungsverfahren hinzugerechnet werden müssen, so bleibt die juristische „Bewältigung“ der NS-Vergangenheit, trotz gewichtiger Rechtsprechung wie beispielsweise im Düsseldorfer „Majdanek-Prozess“ oder im Kölner „Lischka-Verfahren“, doch unbefriedigend. Zu zögerlich, zu spät und zu mild reagierten Gesellschaft, Politik und Justiz aus heutiger Sicht auf die Herausforderung, gegen NS-Verbrecher vorzugehen. So bleibt die bittere Erkenntnis, dass oft nur die kleinen Schergen, nicht aber die Planer und Schreibtischtäter zur Verantwortung gezogen worden sind. Die Verbrechen, die NS-Gerichte gegen Tausende von politisch Verfolgten, Juden und „Fremdvölkischen" begangen haben, blieben ungesühnt.
Dr. Maik Wogersien ist Leiter der Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“an der Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen in Recklinghausen.
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