Anne Lepper
Brigitte Entner
Wer war Klara aus Šentlipš/St. Philippen? Kärntner Slowenen und Sloweninnen als Opfer der NS-Verfolgung. Ein Gedenkbuch.
Klagenfurt-Wien/Celovec-Dunaj, 2014
538 Seiten
24, 80 €
Sie gehören zu jenen in der Holocaustforschung als „vergessene Opfer“ Bezeichneten, deren individuelle Verfolgungsgeschichten in der kollektiven Erinnerungskultur lange Zeit keine Beachtung fanden: In Kärnten lebende Sloweninnen und Slowenen, die in zweierlei Hinsicht ins Visier der deutschen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gerieten – zum einen aufgrund der umfassenden NS-Entnationalisierungspolitik[1], zum anderen, da unter ihnen überzeugte und effektive Widerstandshandlungen gegen das nationalsozialistische Regime und dessen Kollaborateure durchaus verbreitet waren. Die Historikerin Brigitte Entner, die sich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit intensiv mit dem Schicksal der Kärntner Sloweninnen und Slowenen beschäftigt hat, hat nun ein Gedenkbuch zur Erinnerung an diese im Nationalsozialismus ermordeten Opfer herausgegeben.
Sloweninnen und Slowenen in Kärnten
Kärnten, das südlichste Bundesland Österreichs mit der Hauptstadt Klagenfurt, grenzt an Italien und die Republik Slowenien. Durch diese geografische Nähe existierte in Kärnten schon lange, bevor die nationalsozialistische Regierung mit dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs ihre Germanisierungspläne auf das Nachbarland ausweitete, ein bedeutender slowenischer Bevölkerungsanteil. Während sich jedoch noch Mitte des 19. Jahrhunderts etwa ein Drittel der Kärntner Bürgerinnen und Bürger offen zu ihrer Zugehörigkeit zur slowenischen Minderheit und ihrer Sprache bekannte, hatte sich ihr Anteil im Kontext verschiedener Demokratisierungs- und Assimilierungsprozesse bis in die 1920er Jahre hinein stark dezimiert. Grund dafür, dass sich diese Entwicklung in den zwanziger Jahren weiter fortsetzte, war nicht zuletzt die Germanisierungspolitik, die von der österreichischen Regierung zu jener Zeit bereits massiv betrieben wurde. Als schließlich 1938, im Einklang mit weiten Teilen der Bevölkerung, Österreich an das sogenannte Altreich angegliedert wurde, konnten die neuen Machthaber in Kärnten an die weitgehend ablehnende Haltung der österreichischen Gesellschaft gegenüber der slowenische Minderheit anknüpfen, und die bereits in den vorangegangenen Jahren begonnene Politik im nationalsozialistischen Sinne fortsetzen. Deutschnational eingestellte Österreicher, die sich zuvor in staatlichen und selbstorganisierten Institutionen wie dem Kärntner Heimatbund engagiert hatten, integrierten sich nun problemlos in nationalsozialistische Strukturen. Während sich also die ohnehin vorherrschend negative Einstellung der Mehrheitsgesellschaft und die Behandlung der Sloweninnen und Slowenen in Kärnten im Gefolge des „Anschlusses“ nicht grundlegend veränderten, so führte jedoch die Etablierung des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates zu einer Radikalisierung der angewendeten Methoden. Staatspolitisches Ziel war nun die bedingungslose Auslöschung der slowenischen Sprache und Kultur. Allerdings nicht – wie in Bezug auf die jüdische Bevölkerung sowie Sinti und Roma – durch physische Vernichtung, sondern durch massive Repressionen und weitreichende Vertreibungen. Als Höhepunkt muss dabei die Zwangsaussiedlung von etwa 220 slowenischen Familien mit insgesamt 1.075 Personen jeden Alters bezeichnet werden, die im April 1942 von ihren Kärntner Höfen gejagt und entschädigungslos enteignet wurden.
Widerstand gegen das Regime
Mindestens 564 Kärntner Sloweninnen und Slowenen kamen laut Entner durch die nationalsozialistischen Repressions- und Verfolgungsmaßnahmen ums Leben. Viele von ihnen fielen jedoch nicht allein aufgrund ihrer slowenischen Herkunft, sondern infolge aktiven Widerstandes gegen das herrschende System der staatlichen Gewalt zum Opfer. Erste Anzeichen kritischen und widerständischen Handelns zeigten sich in Kärnten bereits im Kontext der Volksabstimmung über den „Anschluss“ vom 10. April 1938, bei der die Region einen signifikanten Anteil an Nein-Stimmen zu verzeichnen hatte. Dies führte unmittelbar nach der Angliederung Österreichs zu einer ersten Verhaftungswelle, die vor allem die politischen, intellektuellen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten der slowenischen Minderheit betraf.
ährend sich die slowenische Bevölkerung in Kärnten auch in den folgenden Monaten und Jahren immer wieder mit Repressionen, Festnahmen und Konzentrationslagerhaft konfrontiert sah, kam es nach dem Überfall der Wehrmacht auf Jugoslawien und der Zerschlagung Sloweniens im Frühjahr 1941 noch einmal zu einer deutlichen Verschärfung im deutschen Vorgehen. Mehrere Verhaftungswellen, denen unter anderem nahezu alle slowenischsprachigen Priester und Funktionäre slowenischer Interessenverbände zum Opfer fielen, versetzten die Kärntner Sloweninnen und Slowenen in einen Panikzustand. Dies führte jedoch nicht, wie von den Machthabern erhofft, zu einer Einschüchterung der verbliebenen slowenischen Bevölkerung. Stattdessen reagierte sie spätestens ab Beginn des Jahres 1942 mit einer deutlichen Institutionalisierung und Professionalisierung des bis dahin weitgehend unorganisierten, individuellen Widerstandes in der Region. Angeregt durch Informationen über erfolgreiche Aktivitäten der Widerstandsbewegung Osvobodilna Fronta (OF) in Slowenien, gründeten sich auch in Kärnten bereits ab der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1941 mehrere slowenische Partisaneneinheiten, die es sich in erster Linie zur Aufgabe machten, in der Region eintreffende Wehrmachts-Deserteure – oft handelte es sich dabei um aus Kärnten stammende Zwangsrekrutierte – zu unterstützen. Viele der Beteiligten wurden in der Folge verhaftet und teilweise in Konzentrationslager deportiert, manche sogar wegen Hochverrates zum Tode verurteilt.
Den Opfern einen Namen geben
Wenngleich selbst Wolfgang Neugebauer, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs Österreichischer Widerstand (DÖW), den Kärntner Widerstand als den „effizienteste[n], am längsten andauernde[n] und militärisch wichtigste[n] Widerstand auf österreichischem Boden“ bezeichnet, blieben die Opfer in der Historiografie bisher dennoch weitgehend unbeachtet.[2] Das Verdienst der vorliegenden Publikation ist es deshalb vor allem, an die zahlreichen Kärntner Sloweninnen und Slowenen, die in Konzentrationslagern, Euthanasieanstalten, Gefängnissen und Zwangsarbeitslagern ihr Leben ließen, zu erinnern und ihnen einen Namen zu geben. Das Buch, das damit in erster Linie als Gedenkbuch fungiert, beinhaltet dementsprechend zahlreiche Geschichten von Einzelpersonen, die jedoch zusammen ein vielschichtiges und differenziertes Bild von der Situation der slowenischen Bevölkerung Kärntens unter nationalsozialistischer Herrschaft ergeben. Als Quellengrundlage zur Erstellung des Opferverzeichnisses und zur Rekonstruktion der individuellen Schicksale dienten Entner dabei zunächst die Wiedergutmachungs- und Opferfürsorgeakten, die im Kontext von Entschädigungsmaßnahmen nach dem Krieg angelegt worden waren. Daneben erschloss die Historikerin systematisch die Sammlungen zweier slowenischer Opferverbände, die überlieferten Akten mehrerer Gemeinden der Region sowie die Bestände und Opferdatenbanken des Archivs des Slowenischen Wissenschaftlichen Instituts, des Instituts für Konfliktforschung, des Kärntner Landesarchivs und des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen.
Zusätzlich zu den Geschichten der Opfer, die nach einem regional-chronologischen Ordnungsprinzip im Buch erscheinen, liefert die Autorin zahlreiche und ausführliche Hintergrundinformationen, die es ermöglichen, die einzelnen Personen und Vorgänge sowohl in den historischen, als auch in den (geo-)politischen und gesellschaftlichen Kontext einzuordnen. Die Publikation Entners leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Nationalsozialismus in Österreich und des Widerstands gegen das NS-Regime. Überdies mag er – so bleibt zu hoffen – dazu führen, dass jene 564 Kärntner Sloweninnen und Slowenen nicht länger zu den „vergessenen Opfern“ des Nationalsozialismus gehören.
Anne Lepper studierte Soziale Arbeit (B.A.) und Holocaust Studies (M.A.) in Berlin. Sie arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei dem Online-Magazin „Lernen aus der Geschichte“ und ist Mitinitiatorin des Projektes „Flucht, Exil, Verfolgung“ sowie der gleichnamigen Website. Von September bis Dezember 2015 war sie Praktikantin am German Desk der International School for Holocaust Studies.