Esther Rachow
Der folgende Text ist eine Retrospektive auf die Remigrationsgeschichte jüdischer KommunistInnen in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) und die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Er soll zeigen, welche Perspektiven die jüdischen RückkehrerInnen auf den damals nach wie vor existenten Antisemitismus hatten und wie sie mit den Widersprüchen der sich gerade gründenden DDR zwischen 1945 und den frühen 1950er Jahren umgegangen sind. Es handelt sich bei dieser Ausführung um die Ergebnisse einer Oral History Studie, die im Rahmen einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit im Fach Public History an der Freien Universität Berlin erarbeitet wurde. Die Studie repräsentiert lediglich eine kleine Gruppe von jüdischen RemigrantInnen, die mit dem Wissen um die Abwesenheit großer Teile ihrer Familien, der eigenen Erfahrung des Überlebens, einer kommunistischen und antifaschistischen Sozialisation und dem wachsenden Wunsch nach gesellschaftlicher Partizipation in die SBZ oder in die DDR migrierten.
Die sozialen und historischen Beweggründe der Remigration wurden im Zuge der Analyse immer im Kontext der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik betrachtet, welche sich gegen die physische Kontinuität jüdischen Lebens in Europa richtete. Die Geschichte der Vertreibung, der Flucht und der Zerstörung jüdischer Existenz in Europa kann somit als ein unmittelbarer Bezugsrahmen kollektiver Erinnerung innerhalb der Gruppe der Überlebenden betrachtet werden, die sich als RemigrantInnen im ständigen Spannungsverhältnis zwischen Entwurzelung und Verwurzelung befanden. Die Erinnerungen an ihr Leben vor der Verfolgung, die kulturelle Verbundenheit mit dem deutschen Sprachraum sowie die Aussicht auf einen Neuanfang konnten ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Verwurzelung herstellen. Gleichzeitig sind die antisemitische Verfolgung und die daraus resultierenden Traumata bis heute der zentrale Bruch in den Biographien der Überlebenden und stellen eine bewusste Distanz zu der Geschichte und Gegenwart des Remigrationslandes Deutschland her.
In den Interviews wurden zwar gelegentlich sogenannte Heimatgefühle geäußert, die auch für die Verstärkung von Rückkehrwünschen verantwortlich gewesen sein konnten, jedoch gaben alle interviewten Überlebenden für den Zeitpunkt der Remigration an, dass die Frage, wie es sei als Jüdin nach Deutschland zurückzukehren, eine untergeordnete Rollte gespielt habe. „Nicht zurück, sondern in die DDR gegangen“, war das Selbstverständnis der von mir befragten Remigrantinnen. Die Utopie der „Neuen Welt“, wie sie die kommunistische Revolution versprochen hatte und der damit einhergehende Idealismus erwiesen sich bei der Auswertung der Interviews also als ein bedeutendes Motiv für die Rückkehr. Der ausgeprägte Wunsch nach einer neuen Gesellschaft, der vor dem Hintergrund des Scheiterns des bürgerlichen Assimilationsversprechens durch die Shoah noch verstärkt worden war, ist damit ein wichtiger Bestandteil der Identitäten der Befragten. Eine für das Verhältnis der kommunistischen Rückkehrerinnen charakteristische Haltung zu dem Ziel ihrer Remigration spiegelt demnach folgendes Zitat wider:
„Es war ein Ausblick auf eine ganz andere Alternative. Nicht unbedingt deutsche Alternative, sondern Menschheitsalternative."
Der proklamierte Neuanfang, die sozialistischen Assimilationsbestrebungen, die historisch auf den Beginn der kommunistischen und sozialistischen Bewegungen zurückgehen, und das nationale Narrativ des antifaschistischen Staates waren darüber hinaus entscheidend für die Bewertung des Antisemitismus durch die Zeitzeuginnen. Die politische Stimmung in der SBZ und der frühen DDR war durch zwei für die Analyse des Antisemitismus und der jüdischen Remigrationsgeschichte relevante historische Phasen geprägt. Erstens die unmittelbare Nachkriegsphase bis 1948 und zweitens die Phase des „sozialistischen Aufbaus“, die zu einem erheblich Maß von der spätstalinistischen Politik der UdSSR beeinflusst war. Die erste Phase wurde von den Interviewten gemeinhin als liberale Zeit empfunden, von welcher sie nach den Jahren der Verfolgung vor allem die als neu erlebten gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten in Erinnerung behalten haben. So beschreibt eine als Lehrerin tätige Überlebende die Jahre nach der Befreiung wie folgt:
„Und ich muss natürlich sagen, in den ersten Jahren war alles sehr frei, da konnte man, da gab es keine Einschränkungen vom Ministerium und Gesetze, und da konnte man [auch] noch so viel mit den Schülern […] unternehmen. Wir hatten ein eigenes Orchester, wir hatten eine Theatergruppe, einen Chor und alle [waren] Pioniere, die ersten Pioniere von Dresden.“
Neben Erzählungen, die einen starken Wunsch nach Normalität, Integration und gesellschaftlicher Partizipation ausdrückten, gibt die Zeitzeugin darüber hinaus an, dass sie sich an den, nach dem Ende des Krieges notwendigen, Aufbauarbeiten in ihrem damaligen Wohnort Dresden aus Überzeugung nicht beteiligt habe. Sie war der Ansicht, die Konsequenzen der alliierten Bombenangriffe seien nicht das Resultat ihres Handelns gewesen und liegen damit in der Verantwortung derjenigen, die das NS-Regime befürwortet und getragen haben.
Als ein bei allen Interviewten übereinstimmend geäußertes Motiv der Remigration erwies sich die Annahme, dass frühere aktive NationalsozialistInnen von der SBZ in die westlichen Besatzungszonen geflohen seien. Tatsächlich hat neben der Flucht deutscher NationalsozialistInnen vor den sowjetischen Besatzern während der Phase der „Entnazifizierungspolitik“ auch die juristische Verfolgung von Tätern stattgefunden. Diese Politik endete formell jedoch bereits mit der Staatsgründung der DDR und wurde von der Phase des „sozialistischen Aufbaus“ abgelöst. Es vollzog sich daraufhin ein Turn in der Innen- und Außenpolitik der gerade gegründeten DDR. Stalinistische Strömungen in der SED veränderten den realsozialistischen Alltag durch neue Propaganda und Repressionen, was vor allem Auswirkungen auf die Gruppe der jüdischen KommunistInnen hatte, die aus dem westlichen Exil in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands zurückgekehrt waren.
Westexil und Westkontakte dienten in dieser Phase als Vorwand für Spionagevorwürfe, die Illoyalität gegenüber dem Regime beweisen sollten. Vor allem überzeugte KommunistInnen und SozialistInnen, die auf Grund ihrer Abwesenheit im westlichen Exil einen Teil ihres Lebens außerhalb der Kontrolle des sowjetstalinistischen Regimes verbracht hatten, gleichzeitg aber der Bewegung so nahe standen, dass sie potentiell hätten Spionagetätigkeiten übernehmen können, wurden verdächtigt. Da sich Jüdinnen und Juden während der NS-Verfolgung hauptsächlich in westliche Länder geflüchtet hatten, denn diese Länder waren häufig sicherer und zum Teil leichter zu erreichen, gehörten sie wiederum der Gruppe mit den intensivsten Westkontakten an. Eine der von mir befragten ehemaligen Westexilantinnen, die die Zeit der NS-Verfolgung im australischen Exil verbracht hatte und dort Mitglied der kommunistischen Partei war, erinnert sich an folgendes Ereignis aus der Zeit, in der sie versuchte in die DDR einzuwandern und immer wieder abgelehnt wurde:
„Sie haben mich einfach ignoriert. Als A.K. sich für mich einsetzte und zum ZK [Zentralkomitee der SED] ging, hat man ihm gesagt, dass man überzeugt sei, ich sei ein Spion.“
Der Antisemitismus in der frühen DDR richtete sich auf staatlicher Ebene also durchaus auch gegen die politische Integrität von jüdischen KommunistInnen. Jüdinnen und Juden wurden als vermeintliche VertreterInnen des Kapitalismus und des Imperialismus denunziert und ihre Anwesenheit wurde als eine Gefahr für das realsozialistische Projekt verstanden. In den Erzählungen der Zeitzeuginnen findet sich also eine weite Spannbreite von Einzelerfahrungen, die darauf hinweisen, dass der Antisemitismus in der DDR sowohl innerhalb staatlicher Institutionen verankert war, als auch in der Bevölkerung zum Ausdruck kam. Der Umgang mit der Willkür des Staates und der intransparenten Informationspolitik der DDR gehörte ebenso zum Alltag, wie die Sorge über mögliche Repressionen, die im Kontext der spätstalinistischen „Säuberungspolitik“ in der UdSSR und den Staaten des Warschauerpaktes spätestens seit 1948 eine offen antisemitische Wende genommen hatten. Eine Zeitzeugin erinnert sich:
„Und dann hier, der H.B., der war fünfzehn Jahre in der Bundesrepublik als Korrespondent von unserem Radio und ist nie degradiert worden. Und andere wieder flogen aus der Arbeit.“
Aus dieser Interviewpassage geht hervor, dass keine nachvollziehbare Parteilinie sichtbar war, die es jüdischen WestexilantInnen ermöglicht hätte, sich auf eventuelle Repressionen oder gar eine Ausreise vorzubereiten. Gleichwohl führten die politischen Ereignisse während der spätstalinistischen Phase in der DDR zu einem Massenexodus jüdischer DDR-BürgerInnen, an dessen Ende von 5 000 Jüdinnen und Juden nur noch etwa 1 500 übriggeblieben waren. Die Nähe und die daraus entstandene Loyalität zur Ideologie des Herrschaftssystems der DDR, aber auch die soziale und materielle Unsicherheit sowie eine gewisse, durch die Nachkriegszeit bedingte Alternativlosigkeit, waren der Grund für ihr Bleiben. Gleichzeitig hat die Untersuchung ergeben, dass die Zeitzeuginnen, nachdem sie selbst antisemitische Verfolgung und Gewalt durch die deutsche Bevölkerung und den NS-Staat erlebt hatten, der Staatstreue und den spezifischen autoritären Strukturen realsozialistischer Länder kritisch gegenüberstanden. Die Geschichte des politischen und jüdischen Selbstverständnisses der Interviewten ist daher eng verknüpft mit der Gründungsgeschichte der DDR und ihrem Antisemitismus, deren Zeuginnen sie waren. Ihre besondere Perspektive verdeutlicht rückblickend die äußeren und inneren Ambivalenzen der jüdischen Remigration in die SBZ und DDR.
Esther Rachow studierte Public History an der Freien Universität Berlin sowie angewandte Kultur- und Medienwissenschaften an der Hochschule Merseburg. Derzeit lebt sie in Jerusalem, wo sie wissenschaftlich und pädagogisch tätig ist.