Sonntag bis Donnerstag: 9.00-17.00 Uhr Freitags und an den Abenden vor einem Feiertag: 9.00-14.00 Uhr
Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
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Aus historischer Forschung lernen – das bedeutet in der Vermittlung häufig, Gegenwartsperspektiven herzustellen. Selbstverständlich gilt dies auch für die historisch-politische Bildung mit Polizist*innen. Unweigerlich fragen sich Polizeibedienstete an nationalsozialistischen Täterorten wie der Villa ten Hompel in Münster, dem ehemaligen Dienstsitz des Befehlshabers der Ordnungspolizei im „Wehrkreis VI“, was der Holocaust mit ihnen und ihrem Beruf zu tun hat. Denn hier wird auserzählt, wie stark die Beteiligung uniformierter Polizei an Kriegsverbrechen und dem Holocaust war – und wie markant die personellen und ideellen Kontinuitäten der einstigen Täter in der frühen Bundesrepublik die Polizei in Deutschland auf Jahrzehnte prägte.
Die uniformierte Polizei ist als spezifische Tätergruppe in der deutschen Mehrheitsgesellschaft weithin unbekannt und gilt trotz bahnbrechender Forschungen und Publikationen wie „Ganz normale Männer“ von Christopher Browning eher als Historikerspezialthema, obwohl die uniformierte Polizei an 62% aller Holocaust-Opfer mindestens mitbeteiligt war. Etwa jedes 10. Holocaust-Opfer verstarb durch eine Kugel eines deutschen Polizisten. Dennoch verbinden die meisten Deutschen mit dem Stichwort „Tätergruppen im Nationalsozialismus“ vornehmlich nicht mehr existente Gruppierungen und Verbände wie die SS, die SA oder auch die Gestapo. An eine Institution, die in allen Systemen und Staatsformen „natürlicherweise“ existiert, wie die gewöhnliche Polizei – denken jedoch nur wenige.
Das Thema hat gerade bei der Berufsgruppe der Polizei Potenzial, um über Fachhistoriker– und Didaktikergrenzen hinaus gehört zu werden - und bietet nach wie vor ein gewisses Überraschungspotenzial. Dieses verpufft jedoch, wenn keine Gegenwartsrelevanz hergestellt werden kann.
Zudem überschätzen viele Deutsche laut neuester Studien die Rolle ihrer Vorfahren maßlos. Viele waren in einem ganz normalen, vermeintlich unbelasteten Beruf wie der Ordnungspolizei tätig (immerhin insgesamt 3 Millionen im Deutschen Reich) – und diese waren vielfach auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder und weiter als Polizisten tätig. Sie waren somit sowohl mitverantwortlich für Massenverbrechen als auch für den Aufbau einer demokratischen Bundesrepublik. In Polizeiseminaren ist genau diese personelle Kontinuität der Polizei ebenso interessant wie strukturelle und psychische Parallelen bei der Ausübung staatlicher Gewalt.
Die Rolle der Polizei war und ist immer die Verteidigung des Gesetzes. Dies bleibt immer gleich, egal in welchem System. Vom Staat wird den Polizeibediensteten stets vermittelt, auf der „richtigen Seite“ zu stehen. Nicht die Rolle der Polizei änderte sich also in der deutschen Geschichte, sondern die Gesetze – und für wen diese galten.
Gesellschaftliche Sagbarkeitsregeln sind fluide, Gesetze passen sich daran sukzessive an: Gesetze erweisen sich somit als weniger starr, als es ein Wertefundament sein kann. Niemand weiß genau, welche Gesetze deutsche Polizisten in Zukunft verteidigen werden. Wenn dies zu Beginn eines Tages in einer Gedenkstätte deutlich wird, wird den Teilnehmenden sogleich auch die Relevanz von Polizeigeschichte vor Augen geführt. Denn auch Gesetze änderten sich im Nationalsozialismus nur schrittweise – und für die Mehrheitsgesellschaft, die sog. “Volksgemeinschaft“, blieb die Polizei dabei der „Freund und Helfer“.
Als die beiden Schlüsselfaktoren für die Polizeiseminare in der Villa ten Hompel können zwei „I´s“ gelten: Irritation und Individualisierung.
Die Didaktik der Polizeiseminare am historischen Lernort funktioniert somit konträr zu vielen sonstigen Elementen der Polizeiaus- und Fortbildung, die auf Handlungssicherheit abzielt
und vornehmlich Polizeibedienstete in einem Kollektiv funktionieren lassen möchte.
Als zentrales Beispiel für die beiden „I´s“ in der Vermittlungsarbeit in der Dauerausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“ fungiert am Geschichtsort ein Bild aus der Schlucht Babyn Jar bei Kiew vom 29./30. September 1941, also wenige Wochen nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion. 33.000 Jüdinnen und Juden wurden hier innerhalb kürzester Zeit erschossen. Illuminiert werden im Bild drei grün uniformierte Polizisten, die in einem Berg von Kleidern der Opfer Wertgegenstände einsammeln. In der Bildungsarbeit werden so für die Zielgruppe teils irritierende Fragen evoziert: Welche Aufgaben gab es bei Erschießungen noch, wenn hier Polizisten gezeigt werden, die eben nicht erschießen? Was bedeutet dies für die nach wie vor wirkmächtige, wenn auch juristisch wie wissenschaftlich längst widerlegte Legende des „Befehlsnotstands“? Welches Menschenbild hatten die Täter von den Erschossenen, die sie nach ihrer Ermordung noch ausbeuteten – und wer ist eigentlich hier nun Täter? Nur jene, die schießen?
Bei der Beschäftigung mit der Geschichte ihrer Institution fragen sich heutige Polizist*innen unweigerlich, wie verführbar sie sind bei einer Machtausübung ohne Korrektiv durch Gesetze und/oder andere staatlichen Gewalten – mit höchst individuellen Antworten.
Die Fortbildungen von Polizeibeamt*innen zum Thema Polizeigeschichte – die oftmals für die Rechtsextremismusprävention genutzt worden ist – mag in den späten 00er Jahren in Gefahr geraten sein, ein Auslaufmodell zu werden. Islamistischer Terror war als Fortbildungsthema en vogue, Polizeigeschichte stand auf der Streichliste.
Dies hat sich geändert. Die Unterstützung rechter „Prepper“-Netzwerke durch Polizeibedienstete, behördliche Blindstellen bei der NSU-Mordserie und nicht abebbende, extrem rechte und rassistische Skandale bei verschiedenen Polizeien sowie Blindstellen bei der Verhütung extrem rechten Terrors seit Mitte des letzten Jahrzehnts bieten viele Anlässe, die eigene Rolle zu definieren. Nicht zuletzt drängt sich dabei die Frage auf, wie „politisch“ Polizisten agieren dürfen – mit Chancen für die historisch-politische Bildung. In jedem Fall sind Polizisten Gesetzen und Menschenrechten unterworfen und somit per se nicht jeder Meinung gegenüber neutral.
Deutschland ab 1933 als Blaupause für eine schrittweise Abkehr von Menschenrechten eignet sich eben auch deswegen so gut für eine Berufsrollenreflexion von Polizisten heute, weil es einen Kern von Kontinuitäten im Berufsstand gibt, der manche Polizisten in fünf verschiedenen Systemen hat wirken lassen (vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik) – oft ohne jegliche Zweifel an der eigenen Rolle. Was also machen Polizisten morgen, wenn sich zunächst Sagbarkeitsregeln, dann Gesetze ändern? Wie weit reicht ihre humane Autonomie? Was bedeutet die Orientierung an Menschenrechten und dem eigenen Gewissen – orientiert sich letztlich also der Polizist in Extremsituationen an Legalität oder Legitimität? Auch dabei kann eine Brücke über die Geschichte der Polizei helfen, Denkanstöße zu initiieren. Der typische Polizist im „Dritten Reich“ mag sich zunächst noch an den sich immer weiter verschiebenden Gesetzen orientiert haben.
Spannend ist ja, dass sich in verschiedenen historischen Quellen Polizisten an Legitimität orientierten und nicht unbedingt an Legalität – da diese eben ausgehöhlt war und im Auslandseinsatz keine strafrechtlichen Konsequenzen zu befürchten waren, so lange der deutsche Kriegseinsatz militärisch erfolgreich verlief. Weder also schützt nur das Gesetz den Polizisten vor menschenrechtlich verwerflichen Handlungen – noch nur eigene moralische Standards ohne jede Bindung an Gesetze.
Polizeigeschichtsbildung kann also Gegenimpulse zur „cop culture“ setzen für eine Stärkung des inneren, individuellen Wertekompasses.
Polizeigeschichtsbildung verkompliziert in der Regel für die Seminarteilnehmenden alles, irritiert ihr eigenes Weltbild – und doch hat sie das Potenzial, um Polizist*innen dadurch besser werden zu lassen in der Ausübung ihrer Rolle.
Den geschichtswissenschaftlichen Impuls Christopher Brownings, nach dem „Warum“ von Verbrechen staatlicher Institutionen wie der Polizei, übertrug eine Polizistin aus Bochum in einem Gästebucheintrag der Villa ten Hompel auf sich selbst: „Ich dachte, es geht „nur“ um Polizeigeschichte, das hätte ich langweilig gefunden. Aber es ging hier heute um mich. Das fand ich gut!“
Wenn dies am Ende eines Seminars mit Polizeibediensteten steht, ist viel gewonnen. Dann wurden sie im besten Sinne irritiert - und ihr innerer, individueller Kompass gestärkt.
Viele Polizist*innen mögen kommen, da sie müssen, weil ihre Behörde oder ihre Ausbildungsstätte – und seien es nur einzelne Lehrbeauftragte – dies für richtig halten. Wenn aber nur manche von ihnen nachhaltig irritiert werden und sich Fragen stellen, die sie aus ihrem eigenen Umfeld und ihrer Organisation heraus nicht entwickelt hätten, hat historisch-politische Bildung an einem ehemaligen Täterort enormes Potenzial für eine menschenrechtsorientierte Berufsrollenreflexion.
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