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Graphic Novels und Animationsfilme über die Shoah. Zwischen Zeugenschaft und pädagogischer Vermittlung - September 2023

Liebe Leserinnen und Leser,

herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe des Newsletters!
Ende der 1980er Jahre veröffentlichte Art Spiegelman seine Graphic Novel „MAUS. Die Geschichte eines Überlebenden“, in der er die Geschichte seiner Eltern, beide Überlebende der Shoah, und den transgenerationalen Umgang mit dieser Vergangenheit innerhalb seiner Familie darstellte. Die Veröffentlichung löste zunächst eine erhitzte und oftmals emotional aufgeladene Debatte darüber aus, ob es überhaupt möglich, angemessen oder sinnvoll sein könne, das Thema der Shoah über das Medium Graphic Novel in den öffentlichen Raum zu tragen. Letztendlich wurde MAUS jedoch sowohl von der Literaturkritik als auch im geschichtswissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Kontext mit einem breiten Konsens anerkannt und gehört heute zum Standardwerk der literarischen Auseinandersetzung der 2. Generation mit der Verfolgungs- und Überlebensgeschichte ihrer Eltern. Mehr noch, das Buch gilt seither als die Pionierarbeit zum Thema, als Maßstab, an dem sich alle späteren Arbeiten messen lassen müssen. Allerdings stößt MAUS ungeachtet dieser breiten Anerkennung weiterhin auch auf kritische Gegenstimmen und ablehnende Positionen, wie ein im vergangenen Jahr im US-Bundesstaat Tennessee erlassenes Verbot von MAUS für den Schulunterricht zum vermeintlichen Schutz der Schüler*innen zeigt... 
 

Die Bedeutung, die Art Spiegelmans Werk in den vergangenen Jahrzehnten sowohl literarisch als auch im Kontext von gesellschaftspolitischen Debatten  beigemessen wurde verstellt jedoch den Blick darauf, dass MAUS weder die erste noch die letzte Publikation war, die es sich zur Aufgabe machte, die Geschichte der Shoah und ihrer Opfer visuell zu erzählen. Vielmehr reiht sich MAUS ein in eine Tradition von Graphic Novels, die bereits ab den frühen 1940er Jahren vor allem in Europa und den Amerikas entstanden, mit dem Ziel, das oft als „unbeschreiblich“ Bezeichnete künstlerisch zu gestalten. Und gerade dieser künstlerische Zugang ist es, der Graphic Novels auch für die pädagogische Vermittlung so wertvoll macht. Anders als Texte, die je nach Komplexität und Länge manche RezipientInnen abschrecken oder ausschließen können, ermöglichen Graphic Novels den Lernenden einen spannenden und gegenwartsnahen Einstieg in das Thema, indem sie von der Kraft profitieren, die visuelle Eindrücke auf die Betrachtenden unweigerlich ausüben. Im Gegensatz jedoch zu historischen Fotografien, die im Kontext der Shoah im überwiegenden Fall aus der Perspektive der Täter*innen stammen und entsprechend die Stigmatisierung und Demütigung der Verfolgten reproduzieren, ermöglichen Graphic Novels einen anderen Blick auf die Shoah, indem sie die Geschichten der Opfer und deren individuelle Narrationen ins Zentrum rücken. Die dargestellten Perspektiven sind dabei so unterschiedlich und vielfältig wie die Zugänge der Erzählenden. So waren es oft – wie Spiegelman in MAUS – die Angehörigen der 2. Generation, die ihre eigenen Geschichten und die ihrer Eltern sowie den Umgang mit dem Trauma in ihren Familien in Graphic Novels gestalteten und verarbeiteten. Es waren und sind aber auch die Überlebenden selbst, die sich dazu entschlossen, ihre Geschichte in Zusammenarbeit mit Zeichner*innen in einer Graphic Novel zu visualisieren und damit das Medium selbst zum Zeugnis werden lassen. Und schließlich sind selbst Comics überliefert, deren Urheber in der Shoah ermordet wurden, sodass der Zeugnischarakter des Mediums evident wird, wie beispielsweise bei Mickey au Camps de Gurs, gezeichnet von Horst Rosenthal. Die Graphic Novel vermag es auf diese Weise, den Opfern der Shoah die verlorenen Bilder ihrer Biografien und Familien (wieder-) zu geben, und ihnen die Kraft zu verleihen, ihr eigenes Narrativ künstlerisch zu gestalten und selbstbestimmt in die Welt zu tragen.

In seinem Gastbeitrag für den Newsletter begibt sich Markus Streb auf einen Streifzug durch die Geschichte der Graphic Novels über die Shoah seit den 1940er Jahren und zeigt, wie sich thematische Annäherung, künstlerische Darstellung und gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Jahrzehnte entwickelt und verändert haben. Markus Streb wird überdies mit seinem Input am 11. September 2023 unser diesjähriges Online-Vertiefungsseminar zum Thema „Graphic Novels und Animationsfilme über die Shoah. Zwischen Zeugenschaft und pädagogischer Vermittlung“ einleiten (siehe die Ankündigung und den Veranstaltungsflyer in „Neues vom German Desk“).

Wir freuen uns, in diesem Newsletter außerdem ein weiteres Projekt vorstellen zu können, das von ehemaligen Seminarteilnehmer*innen mit Bezug auf unser pädagogisches Konzept entwickelt wurde: Vier Lehrer*innen und Sonderpädagog*innen aus Mecklenburg-Vorpommern haben sich, angelehnt an unseren Workshop „A Street in Poland“, mit der Vielschichtigkeit der jüdischen Gemeinden in ihrer Region vor deren Zerstörung auseinandergesetzt und eine eigene „Jüdische Straße“ entwickelt.

Dankenswerterweise hat außerdem Bärbel Hornberger – pensionierte Lehrerin einer unserer Partnerschulen, der Hedwig-Dohm-Schule in Stuttgart – eine Rezension zu der Ausgabe beigesteuert. Passend zum Thema des Newsletters hat sie sich der Graphic Novel „Aber ich lebe. Vier jüdische Kinder überleben den Holocaust“ gewidmet und eine einfühlsame und begeisternde Vorstellung des Buches verfasst.

Schließlich steht am Ende des Newsletters wie immer ein Überblick über Neuigkeiten aus dem Desk für die deutschsprachigen Länder, über neu entwickelte Materialien und anstehende Termine.

Das Team des German Desk wünscht allen Leser*innen einen guten Start in das neue Schuljahr. Wir freuen uns, auch in Zukunft mit vielen von euch und Ihnen in Kontakt zu bleiben – sowohl online als auch persönlich.

Wie immer freuen wir uns über Kommentare und Feedback.

Ihre Anne Lepper
Repräsentantin der Sektion Deutschsprachige Länder
Overseas Education and Training Department
The International School for Holocaust Studies, Yad Vashem

Vergessene Linien – Die Shoah im Comic vor Art Spiegelmans MAUS

Vergessene Linien – Die Shoah im Comic vor Art Spiegelmans MAUS

Markus Streb promoviert an der Justus-Liebig-Universität in Gießen zu Jüdischer Selbstbehauptung in Comics über die Shoah. Daneben beschäftigt er sich mit jüdischen Landgemeinden in Hessen sowie populärkulturellen Reflexionen von Antisemitismus.
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Neues vom German Desk

PersonaliaWir freuen uns sehr, einen neuen Mitarbeiter am German Desk begrüßen zu dürfen. Gad Marcus ist seit Juni 2023 Teil unseres Teams. Er wurde in England geboren, wuchs in der Schweiz auf und zog mit achtzehn Jahren nach Israel. Nach seinem Dienst in der israelischen Armee arbeitete Gad als Tauchlehrer, bevor er einen B.Ed. am David Yellin College for Education in Jerusalem, einen M.A. in Jüdischer Philosophie von der Universität Tel Aviv und einen PhD an der New York University in Education & Jewish Studies erwarb. Neben seiner Arbeit für Yad Vashem unterrichtet Gad sowohl Bildungsphilosophie...
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