Der amtierende Vorstandsvorsitzende von Yad Vashem Ronen Plot, Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier, Israels Präsident Reuven Rivlin und der Vorsitzende des Yad Vashem-Beirats Rabbi Israel Meir Lau besuchen die Ausstellung „Flashes of Memory”
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01 Juli 2021
Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland Dr. Frank-Walter Steinmeier besuchte heute die Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem. Er wurde von Israels Präsident Reuven „Ruvi" Rivlin, dem Vorsitzenden des Yad Vashem-Beirats Rabbi Israel Meir Lau und dem amtierenden Vorstandsvorsitzendem von Yad Vashem Ronen Plot begleitet. Gemeinsam besuchten sie die Ausstellung „Flashes of Memory: Fotografie während des Holocaust” und sahen zwei seltene Tagebücher, die während des Holocaust geschrieben wurden. Nach einer Zeremonie in der Gedenkhalle, schrieb sich Dr. Frank-Walter Steinmeier in das Gästebuch von Yad Vashem ein:
„Das unsagbare Leid, das in deutschem Namen verübt wurde, erfüllt uns mit Schmerz und Scham. Um der Ermordeten und der künftigen Generationenwillen halten wir die Erinnerung wach. Aus der deutschen Verantwortung für die Shoa verpflichten wir uns: Nie wieder!”
Der Direktor der Abteilung für internationale Beziehungen von Yad Vashem, Dr. Haim Gertner, früherer Direktor des Yad Vashem-Archivs, zeigte den Präsidenten die Tagebücher in der Synagoge auf dem Berg der Erinnerung. Diese seltenen Manuskripte, die während des Holocaust von Juden verfasst wurden, gehören zu den wenigen authentischen Dokumenten, die den Krieg überlebten und weiterhin als ewige Zeugen der unsäglichen Gräueltaten dienen, die den Juden durch die Nazis und ihre Kollaborateure widerfahren sind.
Alfred Zielony wurde im berüchtigten Warschauer Ghetto eingesperrt, wo er begann, seine Erfahrungen in einem Tagebuch festzuhalten. Während des Krieges führte er das Tagebuch bei sich, auch wenn es durch Feuer und Wasser beschädigt wurde. Zielony überlebte den Krieg im Versteck und heiratete später seine nichtjüdische Retterin, mit der er bis zu seinem Tod 1956 in Polen lebte. 2006 schenkten Alfred Zielonys Verwandte das Tagebuch, das in sehr schlechtem Zustand war, Yad Vashem. Unsicher über seinen Inhalt, begannen die Archivare von Yad Vashem einen sorgfältigen und intensiven Restaurierungsprozess, der schließlich den verstümmelten Haufen beschädigter Papiere in ein lesbares Tagebuch verwandelte. Gemeinsam mit Alfreds Sohn Wlodek arbeiten die Experten von Yad Vashem noch immer daran, den Inhalt dieses Tagebuchs zu restaurieren und zu entschlüsseln.
Das zweite von Dr. Gertner präsentierte Tagebuch wurde von einem 14-jährigen Mädchen namens Rywka Lipszyc aus Lodz geschrieben. Rywka hat ihre Erfahrungen über einen Zeitraum von 11 Monaten während der Inhaftierung im Ghetto Lodz aufgezeichnet. Auch nach ihrer Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau führte Rywka ihr kostbares Tagebuch bei sich.
Nur wenige Tage vor der Befreiung von Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee wurde Rywka zusammen mit vielen anderen Häftlingen auf einen Todesmarsch geschickt. Sie erreichte Bergen-Belsen todkrank und starb einige Monate nach der Befreiung des Lagers im Krankenhaus. Das auf Polnisch verfasste Tagebuch wurde im Januar 1945 von Dr. Zinaida Berezovskaya, einer Ärztin der befreienden Roten Armee, in der Asche nahe eines Krematoriums in Auschwitz-Birkenau gefunden. Sie bewahrte das Tagebuch auf und es blieb über ein halbes Jahrhundert unangetastet.
2008 entdeckte Berezovskayas Enkelin es im Besitz ihrer Familie und begann zu versuchen, den ehemaligen Besitzer des Tagebuchs ausfindig zu machen. Es wurde später an Yad Vashem übergeben. Mit Hilfe des Gedenkblatts, das in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer in den Archiven von Yad Vashem gespeichert ist, konnten die Forscher Rywkas Cousinen, Mina Boier und Esther Burstein, ausfindig machen, die zusammen mit ihr von Lodz nach Auschwitz deportiert wurden. Sie hatten die Schrecken des Holocaust überlebt und waren nach Israel ausgewandert. 1955 füllte Mina in Yad Vashem ein Gedenkblatt zu ihrer Erinnerung aus, wobei sie nicht wusste, dass Rywkas Tagebuch den Krieg überlebt hatte. 2012 wurden Mina und Esther mit Rywkas Tagebuch wieder vereint. Dabei erklärte Mina, dass dies „schmerzliche Erinnerungen an ihre Kriegserlebnisse weckte, aber ihr auch die Kraft gab, das reiche Erbe des Glaubens ihrer Familie zu teilen, das auf den Seiten so ergreifend zum Ausdruck gebracht wurde". Heute wird das Tagebuch von Yad Vashem verwendet, um die persönliche Geschichte von Rywka Lipszyc zu erzählen.
„Ich bin nur ein winziger Fleck, selbst unter einem Mikroskop wäre ich sehr schwer zu erkennen – aber ich kann über die ganze Welt lachen, weil ich ein Jude bin. Ich bin arm und im Ghetto weiß ich nicht, was mit mir morgen passieren wird, und trotzdem kann ich über die ganze Welt lachen, weil ich etwas sehr Starkes habe, das mich stützt – meinen Glauben."
Auszug aus dem Tagebuch von Rywka Lipszyc
Diese beiden außergewöhnlichen Objekte werden in dem neuen Haus der Sammlungen untergebracht werden. Es ist Teil des „Moshal Shoah Legacy Campus “ , der derzeit in Yad Vashem gebaut und u.a. von der Bundesrepublik Deutschland gefördert wird. Yad Vashem beherbergt die weltweit größten Sammlungen von Dokumenten, Fotografien, Artefakten und Kunstwerken aus der Zeit des Holocaust.
Am Vorabend seines Besuchs in Yad Vashem überreichte Präsident Steinmeier dem emeritierten Vorsitzenden von Yad Vashem, Avner Shalev, bei einer Zeremonie in Tel Aviv das Bundesverdienstkreuz. Drei weitere bemerkenswerte israelische Persönlichkeiten erhielten ebenfalls diese besondere Auszeichnung: die Holocaust-Überlebende Regina Steinitz, der Autor David Grossman und die Künstlerin den Präsidenten.