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Im Frühjahr 1942 begannen die Deutschen mit der Deportation der Juden Zentral- und Westeuropas in die Vernichtungslager. Die Deportationsaktion leitete die Abteilung für jüdische Angelegenheiten innerhalb der SS, an deren Spitze Adolf Eichmann stand. Der Ablauf der Deportationen war an den meisten Orten ähnlich und basierte auf einer Täuschung der Opfer. Die Deutschen führten die Deportationen über Durchgangslager durch. Die Ausführung wurde der örtlichen Polizei, wie etwa der holländischen, französischen und belgischen Polizei, übertragen.
In den Ländern Westeuropas agierten die Deutschen mit Vorsicht, als es um die Umsetzung ihrer mörderischen Politik ging. Sie griffen zu Lügen und Täuschungen. Hier stießen die Deutschen bei der Identifizierung der Juden auf Schwierigkeiten, da sie sich in Aussehen und Lebensweise meist nicht vom Rest der Bevölkerung abhoben. In manchen westlichen Ländern sahen die Bürger die nationalsozialistische Politik als Teil der Besatzungspolitik eines Invasors an. Manchmal identifizierte sich die Bevölkerung sogar offen mit den verfolgten Juden.
Deutschland und Österreich
Im September 1939, mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, verblieben in Deutschland weniger als die Hälfte von einer halben Million Juden, die 1933 dort gelebt hatten. Bei ihnen handelte es sich zum Großteil um ältere Menschen. Zusätzliche 60.000 bis 65.000 Juden lebten in Österreich, fast ausschließlich in Wien. Die meisten jüdischen Organisationen in Deutschland wurden nach dem Novemberpogrom geschlossen, womit die gesellschaftliche und kulturelle Infrastruktur der Gemeinden, die bis dahin zum Überleben der Juden beigetragen hatte, schwer beeinträchtigt worden war. Die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, die im Sommer 1939 gegründet wurde, arbeitete unter strenger nationalsozialistischer Überwachung.
Die verbleibenden Juden verarmten völlig. Viele waren gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen, wonach sie in „Judenhäusern“ konzentriert wurden. Im Jahr 1940 wurden tausende deutsche Juden nach Polen und Frankreich deportiert und im März 1941 etwa 5.000 Juden von Wien nach Polen. Im September 1941 wurden die deutschen und österreichischen Juden gezwungen, den gelben Stern zu tragen.
Die Massendeportationen der Juden Deutschlands, Österreichs und des Protektorats begannen im Herbst 1941. Von knapp 300.000 Juden, die im Herbst 1941 in diesen Gebieten lebten, kamen zwischen November 1941 und April 1945 etwa 100.000 sofort nach der Deportation durch Einsatzgruppen der SS oder in den Lagern ums Leben. Etwa 135.000 gelangten ins Ghetto Theresienstadt, das für sie eine Zwischenstation vor der Deportation in die Vernichtungslager bedeutete. Etwa weitere 50.000 deutschsprachige Juden wurden in Ghettos in Osteuropa, darunter Lodz, Riga und Minsk deportiert. Bei Kriegsende hatten etwa 34.000 der deutschen Juden, die sich während des Krieges in Gebieten unter nationalsozialistischer Kontrolle befanden, überlebt. Viele von ihnen waren „Mischlinge“, Konvertiten oder lebten in einer Mischehe.
Frankreich
Das Vichy-Regime (der unbesetzte Teil in Südfrankreich) unterstützte Nazi-Deutschland, und brachte dies durch seine Gesetzgebung zum Ausdruck. Im Oktober 1940 und Juni 1941 wurden anti-jüdische Gesetze verabschiedet, die Juden per Definition aus der französischen Gesellschaft ausschlossen und ihrer Gehälter beraubten. Viele Juden wurden inhaftiert und von der Polizei namentlich registriert. Im Juli 1941 begann das Vichy-Regime mit einer massiven Beschlagnahmung jüdischen Eigentums, darunter Geschäfte und Gebäude.
Die von Sommer 1942 bis Sommer 1944 amtierende französische Regierung herrschte per Verwaltungsapparat faktisch über das gesamte Staatsgebiet – auch als die Deutschen im November 1942 die Kontrolle über ganz Frankreich übernahmen. Die Deutschen stießen bei den Franzosen mit Pierre Laval, der im April 1942 zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, auf große Unterstützung. Laval war bestrebt, die Kollaboration mit den Deutschen zu intensivieren. Als Louis Darquier de Pellepoix im Mai zum Chef des „Generalkommissariats für Judenfragen“ ernannt wurde, begann Frankreich bei der Deportation der französischen Juden in ihre Vernichtung zu helfen. Zwischen 1942 und Sommer 1944 wurden knapp 76.000 der 330.000 in Frankreich lebenden Juden nach Auschwitz-Birkenau deportiert, unter ihnen viele Kinder.
Belgien
Im Juli 1942 begann die Konzentration der belgischen Juden im Durchgangslager Mechelen (Malines). Zuerst wurden sogenannte „asoziale Elemente“ sowie Juden mit fremder Staatsbürgerschaft dort versammelt und nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Die Konzentration der Juden mit belgischer Staatsbürgerschaft wurde Dank der Bemühungen der Königinmutter Elisabeth und anderer Verantwortlicher für ein Jahr unterbrochen, dennoch waren unter den nach Auschwitz Deportierten auch in Belgien geborene Juden. Die Deportationen wurden bis nach Landung der Alliierten in der Normandie fortgesetzt. Unter den Deportierten im letzten Transport aus Belgien im Sommer 1944 war der in Deutschland geborene Maler Felix Nussbaum. Etwa 29.000 der 65.000 belgischen Juden kamen im Holocaust ums Leben.
Niederlande
Ende 1941 gaben die deutschen Behörden dem Judenrat („Joodse Raad“) die Eröffnung von Arbeitslagern für Juden bekannt. Dies war eine Tarnung für die Vorbereitungen zur Deportation der Juden. Im Januar 1942 begann die Deportation der niederländischen Juden, hauptsächlich vom Küstenstreifen nach Amsterdam, ins Lager Westerbork und in ein neues Lager, das nahe der Kleinstadt Vught errichtet worden war. Im Juni 1942 begann die Deportation der niederländischen Juden von Westerbork nach Auschwitz unter dem Vorwand, sie in Arbeitslager in Deutschland zu schicken. Ein Großteil der niederländischen Stadtverwaltung, der Bahnarbeiter und der Polizei halfen bei der Deportation der Juden in die Vernichtung. Die letzte Deportation aus den Niederlanden fand im September 1944 statt. Mit ihr wurden 1.019 Juden nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Etwa 107.000 der insgesamt 140.000 niederländischen Juden kamen ums Leben – etwa 80 Prozent aller Juden, die während der deutschen Besatzung in den Niederlanden lebten.
Italien
Nach der Kapitulation Italiens vor den Alliierten im September 1943 wurden italienische Juden, die in Gebieten unter deutscher Kontrolle lebten, ebenfalls von den Rassegesetzen erfasst. Von September 1943 bis Januar 1944 wurden mindestens 3.110 Juden nach Auschwitz-Birkenau deportiert. 2.224 von ihnen kamen ums Leben. 4.056 weitere Juden wurden zwischen Februar und Dezember 1944 deportiert. Bis Kriegsende wurden etwa 12.000 der insgesamt 44.500 Juden, die in Italien bei seiner Besetzung durch die Deutschen lebten, nach Auschwitz-Birkenau deportiert.
Norwegen
Dänemark
Zum Zeitpunkt der deutschen Besatzung im April 1940 lebten in Dänemark etwa 8.000 Juden, unter ihnen etwa 1.500 staatenlose Emigranten. Die Deutschen schoben die Umsetzung der „Endlösung“ der dänischen Juden auf. Sie wollten weder den Beziehungen zur dänischen Regierung schaden, noch war die Anzahl der Juden in Dänemark groß genug. Am 1. Oktober 1943 wurden die ersten Juden verhaftet. Viele Dänen aus allen Bereichen der Gesellschaft eilten ihnen zu Hilfe. Sie versteckten sie und halfen ihnen in Booten nach Schweden überzusetzen. Innerhalb von drei Wochen wurden etwa 7.200 Juden nach Schweden gebracht. Knapp 500 Juden wurden gefasst und ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Auf Druck der dänischen Regierung wurden sie nicht von Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau deportiert, sonder noch vor Kriegsende nach Dänemark zurückgebracht. Der Widerstand der Dänen gegen die Diskriminierung und Auslieferung ihrer jüdischen Mitbürger, die Rettung der Juden durch Fluchthilfe nach Schweden und die Verteidigung der nach Theresienstadt Deportierten sind ein außergewöhnlicher Ausdruck politischer und moralischer Verantwortung in der Zeit des Holocaust.