Europas modernes Transportsystem wurde in den Dienst der nationalsozialistischen Völkermordpläne gestellt. Die Reichsbahn transportierte die Juden mit Hilfe staatlicher Eisenbahnlinien in besetzte und mit Deutschland alliierte Länder. An der Organisation und Durchführung der Deportationen waren Beamte der Reichsbahn, der Reichssicherheit, Ministerien und Kommunalbehörden beteiligt. Die zentrale Behörde, die sich mit der Bestellung von Zügen und der Organisation der Transporte befasste, war die Abteilung für Judenangelegenheiten des Reichssicherheitshauptamtes der SS.
Doch die sog. „Endlösung” wurde nicht nur von ideologisch überzeugten SS-Mitgliedern und den Einsatzgruppen organisiert. Auch Angestellte und Bürokraten halfen bei der Organisation der Transporte. Mehr als die Hälfte der im Holocaust Ermordeten wurden durch das Deportationssystem in den Tod geschickt, das hauptsächlich Züge, aber auch Lastwagen, Schiffe und Fußmärsche implizierte.
Trotz des Krieges, der deutschlandfernen Fronten und des damit verbundenen Transportbedarfs der deutschen Wehrmacht ging die Deportation der Juden per Bahn unvermindert weiter. Um die Anzahl der erforderlichen Fahrten und die Kosten zu reduzieren, begannen die Deportationsbehörden, veraltete Waggons zu verwenden, die Anzahl der Waggons bei jeder Deportation zu erhöhen und so viele Juden wie möglich in einen Waggon zu pferchen.
Organisation und Durchführung der Transporte
Obwohl die Deportationen ein Phänomen waren, das im gesamten besetzten Europa auftrat, gab es Unterschiede zwischen der Verwaltung der Deportationen in West- und Südeuropa und der Deportationen in Osteuropa. Gemäß der deutschen Politik in Osteuropa wurden die Juden in Ghettos konzentriert, die sich meist in den ärmsten Nachbarschaften befanden und in denen Juden unter harten Lebensbedingungen litten: Überbevölkerung, Hunger und Krankheiten.
Die Deportationen in Osteuropa wurden von schwerer Gewalt begleitet, die in der Ermordung von Juden in ihren Häusern, auf offener Straße und auf Friedhöfen gipfelte. Dieses Schicksal ereilte auch die Juden von Lublin: Im März und April 1941 wurden etwa 40.000 Juden der Stadt im Ghetto in der Altstadt konzentriert. Wenige Wochen vor Beginn der Deportationen Anfang 1942, verschärfte sich die deutsche Gewalt gegen die Juden des Ghettos und viele Juden wurden dabei erschossen. Aber nichts bereitete die Lubliner Juden auf die Ereignisse vom 17. März 1942 vor, dem Tag, an dem die brutalen Massendeportationen begannen. Um fünf Uhr morgens rissen die Deutschen und ihre ukrainischen Hilfstruppen die Juden aus ihren Betten und befahlen ihnen, innerhalb von Minuten ihre Häuser zu verlassen. Die Deportierten wurden zur Sammelstelle gebracht, die sich in der alten Maharshal-Synagoge befand, die 375 Jahre in Lublin stand. Wer nicht rechtzeitig sein Haus verließ oder versuchte, sich der Deportation zu entziehen, wurde gewaltsam geschleppt, geschlagen oder erschossen.
Das Überraschungsmoment, die Schreie der Deutschen und Ukrainer, das Geschrei der Juden, die Schläge und Erschießungen erschreckten die Juden und lähmten sie. Von der Synagoge wurden sie zum Güterbahnhof geführt und von dort in das Vernichtungslager Belzec deportiert. Bis zum 14. April 1942 wurden etwa 30.000 Lubliner Juden in Belzec in den Tod geschickt, Tausende in den Straßen und Häusern und weitere Tausende in einem nahegelegenen Wald erschossen. Die Deportation aus Lublin war die erste, die die Deutschen aus dem Territorium des Generalgouvernements (der deutschen Zivilverwaltung in Zentralpolen) durchgeführt haben.
Das Deportationsmuster der Juden Mitteleuropas war im Allgemeinen ähnlich wie im Westen und Süden und beruhte darauf, die Opfer zu täuschen, indem man die Deportation als „Arbeitsrekrutierung" darstellte. Obwohl die Deutschen die Deportationen leiteten, übertrugen sie in der Praxis einen Großteil der Durchführung der örtlichen Polizei und Hilfskräften. Im Gegensatz zu den Juden Osteuropas wurden die Juden Mitteleuropas, West- und Südeuropas, vor der Deportation in Konzentrationslagern konzentriert, hauptsächlich in Durchgangslagern, aus denen sie weiter in die Vernichtungslager deportiert wurden.
Die bürokratische Abwicklung der Deportationen aus West- und Mitteleuropa hinterließ uns umfangreiche Dokumentation: die Namen der Deportierten, die Dokumentation des geraubten Eigentums und andere Dokumente wie Verlustlisten. Im Gegensatz dazu wurden polnische Juden ohne detaillierte Registrierung oder Dokumentation deportiert, und jeden Tag wurden Tausende in Viehwaggons gepfercht, die in die Vernichtungslager fuhren.
Die Täuschung der Opfer überschritt geografische Grenzen und wurde in allen besetzten Ländern systematisch durchgeführt. Die Deportation der Juden aus Thessaloniki beispielsweise, der größten Gemeinde Griechenlands, begann im März 1943. In den Wochen vor der Deportation wurden die Juden in drei Ghettos und später im Ghetto des Stadtteils Baron Hirsch konzentriert. Sie durften einen bestimmten Betrag polnischen Geldes (Zloty) mitnehmen, das sie für griechische Drachmen gekauft hatten. Gold, andere Münzen oder Edelsteine durften sie nicht mitnehmen. Ihre Deportation wurde durch ihr eigenes Vermögens finanziert, und Mitarbeiter der griechischen Staatsbahn überreichten ihnen ihre Zugtickets. Überlebende bezeugten später, dass die Deutschen das gesamte Hab und Gut der Deportierten konfiszierten und ihnen dafür einen unterschriebenen Zettel mit dem Wert der Habseligkeiten in Reichsmark übergaben. Den angegebenen Betrag sollten sie angeblich bei ihrer Ankunft in Polen erhalten.
In anderen Ländern begannen die Deportationen bereits früher. Rumänien, ein Verbündeter Deutschlands, deportierte im Herbst 1941 auf eigene Faust Hunderttausende Juden aus der Bukowina und Bessarabien nach Transnistrien. Die Deportationen wurden brutal durchgeführt, bei denen viele Juden ermordet wurden. Andere wurden in Lagern und Ghettos in Transnistrien ermordet.
In Westpolen begannen die Deportationen in das Vernichtungslager Chełmno im
Dezember 1941.
Die Erfahrungen der Deportierten
„Das Leben in den Viehwaggons war der Tod meiner Jugend. Wie schnell ich erwachsen wurde.”
So beschrieb Elie Wiesel seine Deportation im Mai 1944 aus der damals unter ungarischer Herrschaft stehenden Stadt Sighet in das Lager Auschwitz-Birkenau. Simon Grinbaud, der im September 1942 aus dem Durchgangslager Drancy in Frankreich nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde, beschrieb das Einsteigen in den Zug in seinen Memoiren:
„In so einem Waggon, der laut Aufschrift auf der Tür zum Transport von ‚achtzehn Pferden ‘gebaut war, waren 100 von uns. (…) In jedem Waggon stand ein Eimer mit Wasser für alle und ein weiterer Eimer als Toilette; beide fielen mehrmals um, als wir den Zug bestiegen.“
Die Überfüllung in den Waggons war unerträglich, das Erstickungsgefühl war schrecklich, und um die Nähe des schmalen Fensters entbrannte ein heftiger Kampf. Die Deportierten waren von Hunger und Durst gequält und die Notwendigkeit, ihre Notdurft im überfüllten Waggon vor aller Augen zu verrichten, stellte für sie den Höhepunkt der Demütigung dar. Die Fahrt in den Viehwaggons dauerte manchmal einige Stunden (innerhalb Polens), manchmal drei bis vier Tage (von Frankreich, Ungarn und den Niederlanden), manchmal sieben oder acht Tage (von Thessaloniki) und manchmal wurden die Deportierten mehr als zwei Wochen lang mit Schiff und Zug deportiert wie die Juden aus Thrakien und Makedonien. Andere mussten zu Fuß marschieren und auf maroden Flößen einen breiten Fluss überqueren (die nach Transnistrien deportierten Juden aus Bessarabien, Bukowina und Dorohoi). Keiner der Deportierten hatte auch nur die geringste Ahnung von Lage oder Art ihres endgültigen Bestimmungsortes.
Die Deportationen rissen ganze Familien auseinander. Oft blieben Eltern, Geschwister, Kinder und Freunde zurück. In den Viehwaggons versuchten Juden auf unterschiedliche Weise, ihre Situation und Gefühle an die Hinterbliebenen weitergeben und ihnen Briefe zu schreiben - manchmal auf kleinen Papierfetzen und oftmals als verschlüsselte Nachricht. Die Autoren warfen ihre Briefe aus dem Zug, in der Hoffnung, dass sie jemand finden und an den Empfänger schicken würde. Einer dieser Autoren war Aron Liwerant, der die folgende Nachricht auf dem Deportationszug von Drancy (Frankreich) nach Majdanek schrieb, wo er später ermordet wurde. Aron warf den Brief, der an seine Kinder gerichtet war, aus dem Zug. Auch wenn ihm das Ziel der Deportation unbekannt war, wollte er seinen Kindern eine Nachricht der Hoffnung hinterlassen:
„Liebe Berthe. Es ist bereits der vierte Tag. Ich sitze jetzt im Eisenbahnwaggon. Wir reisen sicher nach Deutschland. Ich bin mir auch sicher, dass wir arbeiten werden. Wir sind ungefähr 700 Leute. 23 Waggons… Ich hoffe, mein Kind, dass du dich als freier Mensch zu benehmen weißt, auch wenn du mittlerweile ohne deine Eltern bist. Vergiss nicht (…) Jude und auch Mensch zu sein. (…) Erzähl Simon alles, was ich dir schreibe. Sage ihm, dass er lernen und ein guter Schüler sein soll, denn er ist begabt. (…) Ich bin zuversichtlich, dass du erwachsen und ein gutes, gesundes und kluges Mädchen werden wirst.
Dein Vater,
In der Hoffnung, dich bald zu sehen”
Viele der Deportierten erstickten in den Waggons, verdursteten oder starben an Erschöpfung. Angesichts der schrecklichen Zustände in den Waggons war der Sprung aus dem fahrenden Zug eine Möglichkeit, am Leben zu bleiben. Einige überlebten den Sprung, aber viele andere starben dabei oder wurden von Einheimischen bei den Deutschen denunziert.
Im Juli 1944 wurde das Ghetto Kovno in Litauen liquidiert und die verbliebenen Juden, einschließlich der Familie Perk, in einen Viehwaggon gepfercht, dessen kleines Fenster mit Stacheldraht verschlossen war. Einem der Juden im Waggon gelang es, den Stacheldraht zu zerreißen. Kalman Perk sprang aus dem Zug und schrieb später über diese Erfahrung:
„Gerade mal 14 Jahre alt, in kurzer Hose und Hemd sprang ich aus dem Zug in eine feindliche Welt. Mit großer Angst überließ ich meine Lieben ihrem Schicksal… Wir weinten oder küssten uns nicht, bevor ich aus dem Waggon sprang. Vater sah mich nur an und sagte: „Kalman, sei ein Mensch". Diese letzten Worte waren das Testament meines Vaters.”
Übersetzt aus dem Hebräischen
Der Schock, der die Deportationen begleitete – das Zusammentreiben und die Zeit in den Waggons – hielt auch bei der Ankunft der Deportierten in den Vernichtungslagern an.
Der in Thessaloniki geborene Jaco Poliker wurde mit seiner schwangeren Frau Celia und ihrem kleinen Sohn Mordechai nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Nach vielen langen Tagen in den überfüllten Viehwaggons ohne Essen oder Wasser fuhr der Zug in den Bahnhof ein. Poliker beschrieb die Ankunft folgendermaßen:
„Als wir endlich an „unserem Ziel" ankamen und der Zug hielt, wurden plötzlich die Türen geöffnet. Draußen war es noch dunkel und die Deutschen fingen an, uns zu schlagen und zu schreien: „Raus! Schnell! Alle raus! Schnell, schnell!" Betäubt bis zum Wahnsinn wurden Leute [aus dem Waggon] geworfen. Ich habe mein Kind die ganze Zeit in den Armen gehalten. Der Junge war ohnmächtig, halbtot. Irgendwann, als die geschlagenen Massen von randalierenden Deutschen mit ungeheurer Gewalt hinausgedrängt wurden, ich weiß nicht, wie es dazu kam, rutschte mir das Kind aus den Armen und verschwand. Eine gewaltige Menschenwelle trieb mich an, zertrampelte alles mit den Füßen. Die Welle überrollte mich auch. Ich habe mein Kind oder meine Familie nicht wiedergesehen. In einem Augenblick verschwand alles; meine ganze Welt verschwand, als hätte es sie nie gegeben…”
Die Deportationen rissen die Deportierten aus der menschlichen Welt, wie sie sie kannten, und trennte sie unwiderruflich von ihr. Die Welt, die sie kannten, wurde ihnen für immer genommen.