Im Januar 1943 organisierten die Safrans die Flucht ihrer Familie und ein Versteck bei Mykola Dyuk und seiner Frau Maria. Dyuk war Lehrer und Direktor der Schule in Uniow (heute Univ) und wohnte im Schulhaus, das der einzige Backsteinbau in dem kleinen Dorf war. Es beherbergte das einzige Klassenzimmer und die Wohnräume des Lehrers. In diesem Gebäude versteckte der Lehrer die jüdische Familie. Im selben Dorf, in einem Griechisch-Katholischen Kloster, versteckten die Mönche, angeführt von Klement Sheptytskyi (der ebenfalls als „Gerechter unter den Völkern“ anerkannt wurde) Adam Daniel Rotfeld, den späteren polnischen Außenminister, und mehrere andere jüdische Kinder.
Hillel Safran blieb im Lager zurück. Im Juni 1943, sechs Monate, nachdem seine Familie entkommen war, richteten ihn die Deutschen hin. Er war der Organisator eines Fluchtversuchs gewesen – eines Versuchs, der verraten wurde und zur Ermordung des Verantwortlichen führte.
Clara Safran, ihr Sohn Roald, ihr Bruder Samuel Rosen und seine Frau Josefina fanden Zuflucht bei den Dyuks. Später schloss sich ihnen ein Onkel, Friedrich Rosen, an.
Zunächst versteckte Dyuk die Familie auf dem Dachboden. Er hatte ein Fenster, von dem aus Roald den Kindern beim Spielen zusah. Am Fenster stehend, konnte er sie nur heimlich beobachten, aber nie mitspielen. Später beschrieb er diese Erfahrung in seinem Gedicht Blickfelder. Auf engem Raum eingesperrt, vertrieb sich Roald auch die Zeit, indem er mit seiner Mutter spielte. In ihrem Versteck auf dem Dachboden in einem kleinen Dorf stellten sie sich vor, von Uniow nach San Francisco zu reisen. „Um von Uniow nach San Francisco zu gelangen,/musst Du folgendes tun, Mammi: zuerst/gehst Du raus zu der Straße, die/bei der Kirche endet, dann wartest Du ein bisschen,/bis Dich ein Bauer mitnimmt,/für ein paar Kopeken, bis zur Hauptstraße/dort, wo, wie Du sagst,/Vater die Brücken gebaut hat. Dort wartest Du/auf den Bus. In Złoczow nimmst Du/den Zug...“ [Spiele auf dem Dachboden, 1943]. Zu dieser Zeit wussten sie nicht, dass sie eines Tages frei sein und schließlich tatsächlich nach Amerika reisen und ein neues Leben beginnen würden.
Das Dach hatte Risse, und der Dachboden war dem Wetter ausgesetzt. Deshalb wurde die versteckte Familie in einen fensterlosen Lagerraum gebracht. So wurde Roald der Blick auf das Dorf genommen.
Die Familie blieb 15 Monate lang im Versteck – von Januar 1943 bis Juni 1944. Niemand im Dorf wusste von ihrer Existenz. Nicht nur die Juden waren in Todesgefahr. Auch Familie Dyuk lebte in großer Angst vor den Deutschen und davor, durch ihre Nachbarn denunziert zu werden. Sie hatten drei kleine Kinder, und indem sie eine jüdische Familie in ihrem Schulhaus versteckten, setzten Mykola und Maria Dyuk die ganze Familie großer Gefahr aus. Nach dem Krieg berichtete Clara Safran, wie Maria Dyuk zunächst dagegen gewesen sei, die jüdische Familie aufzunehmen. Angesichts der möglichen Konsequenzen, die diejenigen erwarteten, die Juden versteckten, fürchtete sie für ihre Familie. Doch Mykola überredete sie, mitzumachen, und sie sorgte für die Juden und bereitete ihnen zu essen.
Nach dem Krieg, noch immer in Polen, heiratete Clara Safran einen anderen Holocaust-Überlebenden, Naftali Margulies, der seinen Namen später in Hoffmann umänderte. Roald nahm den Namen seines Stiefvaters an. 1949 wanderte die Familie nach Amerika aus. Roald wurde ein namhafter, vielfach ausgezeichneter Chemiker, der 1981 den Nobelpreis gewann. Außerdem ist er Dichter: er hat vier Gedichtbände veröffentlicht.
Der Kontakt zur Familie Dyuk wurde im Laufe der Jahre aufrechterhalten. Einmal schickten die Dyuks der Familie Hoffmann ein Leinenhemd, das von Maria Dyuk auf traditionelle ukrainische Art bestickt war, mit Garn, das die Hoffmanns aus Amerika geschickt hatten.
Für Clara Hoffmann war es sehr schwer, mit der Vergangenheit fertigzuwerden und sich an ihre ermordete Familie zu erinnern, und sie schrieb nie ihre Geschichte nieder. Erst ihr Sohn Roald und seine Schwester Elinor wandten sich 2007 an Yad Vashem und baten darum, ihre Retter als Gerechte unter den Völkern anzuerkennen.
Am 23. September 2007 erkannte die Kommission für die Ernennung der Gerechten unter den Völkern Mykola und Maria Dyuk den Titel Gerechte unter den Völkern zu. Die israelische Botschafterin in Kiew, Zina Kleitman, überreichte dem Sohn der Dyuks bei einer öffentlichen Zeremonie Orden und Urkunde.
Aus der Zeugenaussage Roald Hoffmanns
Der Dachboden war ein falscher Dachboden über dem echten. Es gab ein Fenster, und durch dieses Fenster konnte ich die Schulkinder– es war ein Schulhaus – draußen spielen sehen. Ich fühlte – und fühle noch immer – den Schmerz, zu sehen, wie sich diese Kinder frei bewegen konnten, während ich nicht hinausgehen durfte...
Außerdem musste ich mich still verhalten. Das muss schwierig gewesen sein. Hut ab für meine Mutter – 15 Monate lang erfand sie unentwegt Spiele, die sie mit mir spielte – von Januar ‘43 bis Juni ‘44. Ich erinnere mich noch an manche dieser Spiele...
Die, an die ich mich am besten erinnere, waren Geographie-Spiele. Es waren Spiele nach dem Schema: meine Mutter benannte einen Punkt irgendwo auf der Welt, wie z.B. San Francisco, und dann musste ich sagen, wie ich von Złoczów nach San Francisco käme, ganz genau, wie ich reisen würde: wie ich mit der Eisenbahn nach Danzig fahren und ein Schiff besteigen würde. Dann musste ich jedes Meer benennen, durch das ich kam... das machte viel Spaß.