Ein Brief aus Wien dokumentiert den Novemberpogrom
„In den frühen Morgenstunden des heutigen Tages wurden im ganzen Reichsgebiet die Fenster jüdischer Geschäfte systematisch zertrümmert, die wichtigsten Synagogen in Berlin in Brand gesteckt“, schrieb am 10. November 1938 der Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland, Hugh Wilson, in einem Telegramm an das Außenministerium in Washington. „Beobachtern zufolge waren unter den Tätern keine Uniformen von Nazi-Organisationen zu sehen. Nichtsdestotrotz ist es undenkbar, dass dieser ausgezeichnete Polizeiapparat einen derartigen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung toleriert hätte, wenn nicht diesbezügliche Anordnungen erteilt worden wären.“
Wenige Tage später schrieb Arnold (Aaron) Rosenfeld aus Wien an seinen Sohn Chaim (Robert) in Haifa:
„Das Beth Hameworach [Synagoge] wurde überfallen, alle Fenster eingeschlagen, die Bänke zertrümmert, Paroiches [Vorhang am Torahschrein] zerrissen, die Thora zerrissen und hinausgeworfen, ebenso wurde im Schiel [Syagoge] alles ruiniert, alle Toires [Torahrollen] auf der Erde zerrissen, 3 mit Aron Koidesch [Torahschrein] weggetragen. Die schwarzen Marmortafeln an den Wänden zertrümmert.“
Auch den Angriff auf Juden und deren Besitz beschreibt er:
„Jede Nacht hört man das Schreien der Überfallenen. Heute Nacht ist Eugen Hess besucht worden und hat die Gasse ausgeschaut wie wenn es geschneit hätte. Die ganze Gasse war mit Federn bedeckt, die man aus seiner Wohnung heraus warf.“ Weiter schreibt er: „Vielleicht würde Wilson eingreifen wenn er das hört!“
Meinte Arnold Rosenfeld den Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland? Versuchte er, seiner Familie eine versteckte Botschaft zukommen zu lassen? Vielleicht die Bitte, die Information zu veröffentlichen? Trotz der Zensur, die zu jener Zeit üblich war, erreichte der Brief unangetastet sein Ziel. Arnold Rosenfeld war klug genug, seinen Brief als Streifband einer Zeitung zu tarnen, und so entging dieser den Augen der Zensur. Er schickte den Brief wenige Tage nach der Novemberpogromnacht, und die Auswirkungen der traumatischen Ereignisse zeigen sich in jeder Zeile – eine Zeugenaussage, geschrieben von einem Zeitzeugen, dem es nicht vergönnt war, seine Geschichte zu erzählen. Sein Sohn Chaim übergab den Brief 1987 Yad Vashem, kurz vor seinem Tod.
Arnold beendet den Brief mit den folgenden Worten: „Komme soeben vom Urlaub. Bin gesund. Gruß und Kuß, Dein Vater“.
Etwa zwei Jahre später wurde er nach Theresienstadt deportiert, wo er allem Anschein nach 1943 starb.