Von Bühl nach Jerusalem
Die Lebensgeschichte von Ehud Loeb
Einleitung
Ehud Loeb wurde 1934 unter dem Namen Herbert Odenheimer als Kind von Hugo und Julchen Odenheimer in der Stadt Bühl (Baden) geboren.
Während der Novemberpogrome wurde die Synagoge der Stadt in Brand gesteckt. Der Pöbel griff auch das Haus der Familie an. Im Oktober 1940 wurden die 26 verbliebenen Bühler Juden – alle diejenigen, die nicht durch eine Mischehe geschützt waren – mit sämtlichen Juden Badens nach Südfrankreich deportiert und im Internierungslager Gurs in der Nähe der spanischen Grenze inhaftiert. Hunderte starben an Fieber, Typhus und Dysenterie, darunter auch der Großvater Ehud Loebs.
Im Februar 1941 gelang es der OSE, einer jüdischen Organisation zugunsten jüdischer Kinder, die in Frankreich tätig war, Kinder aus dem Lager herauszubekommen, unter anderen Ehud, und sie in ein Kinderheim der OSE zu überführen. Ehuds Eltern waren bereit, sich von ihrem einzigen Sohn zu trennen und sein Schicksal in die Hände fremder Menschen zu legen. Nach der Befreiung wurde Ehud bekannt, dass seine Mutter am 4. September 1942 und sein Vater drei Tage später nach Auschwitz deportiert worden war. Beide wurden ermordet, wie auch die meisten anderen Angehörigen Ehuds.
Loeb überlebte als Kind im Versteck. Er pendelte zwischen Institutionen und den Häusern fremder Menschen. Mehrere Jahre lang, Tag und Nacht, lebte er in ständiger Angst, eignete sich fremde Namen, Identitäten und Sprachen an, um zu überleben. Er nahm den französischen Namen Hubert Odet an und musste seine frühere Identität ablegen, Französisch lernen und ein französischer Junge werden. Anfangs lebte er in einem Kinderheim in Chabannes, gequält von Sehnsucht nach seinen Eltern.
Die Angehörigen der OSE brachten Ehud von Institution zu Institution, um seine Festnahme zu verhindern. Ende 1942, als immer häufiger jüdische Kinder festgenommen wurden, befand man, es sei sicherer, sie bei christlichen Familien zu verstecken. Bei der ersten Familie, bei der er untergebracht war, litt Ehud sehr. Herbert – zu diesem Zeitpunkt Hubert – beklagte sich nicht und versuchte, gehorsam zu sein, aber als Sozialarbeiter der OSE zu Besuch kamen und seinen Zustand sahen, beschlossen sie, ihn zu Jules und Jeanne Roger in Buzançais zu bringen, wo er mit Wärme und Liebe empfangen wurde. Als die Situation gefährlicher wurde, brachte man Ehud mehrere Wochen lang von einem Versteck ins andere, bis die Gefahr vorüber war und er zu Familie Roger zurückkehren konnte. 1989 wurden Jules und Jeanne Roger als Gerechte unter den Völkern anerkannt.
Ende 1943 brachte man Ehud in das Haus der Mutter seines Retters, Louise Roger, im Dorf Argy. Er hütete Ziegen auf Louises Hof und besuchte die Dorfschule. Um seine jüdische Identität zu verbergen, wurde er Chorknabe. „Nur Louise Roger und der Priester des Dorfes kannten meine wahre Identität. Ich beherrschte die französische Sprache vollkommen, und noch dazu sprach ich den lokalen Dialekt. Ich war ein guter Schüler, wurde Messdiener und half dem Priester beim Abhalten der Messe, und das perfekt: ich lernte und beherrschte die Gebete in lateinischer Sprache. Ich lebte in der Lüge, um zu überleben." 2009 wurde Louise Roger als Gerechte unter den Völkern anerkannt.
Ehud wollte das Judentum nicht verlassen, aber da er versuchte, sich in seine Umgebung einzugliedern und ein hervorragender Schüler im katholischen Religionsunterricht war, stellte er die Frage: „Warum sollte ich nicht Katholik werden, wie alle anderen?" Familie Roger erklärte ihm, er dürfe seine jüdischen Wurzeln nicht verleugnen, und er solle stolz auf sie sein.
Nach dem Krieg kehrte Ehud zu Familie Roger zurück. Er wurde jüdischen Wohlfahrtsorganisationen übergeben, die jüdische Kinder versorgten, die im Versteck überlebt hatten. Ehud wurde in ein Kinderheim eingewiesen, wo die Kinder auf ihre Eltern oder Verwandten warteten. Jeden Tag verließen Kinder mit ihren Familien das Heim, doch niemand kam, um Ehud mitzunehmen.
1946 wurde Ehud zu Verwandten in die Schweiz geschickt. Dort musste er seine deutsche Muttersprache von neuem erlernen. Er nahm den Namen seiner Adoptivfamilie – Loeb – an.
Dr. Ehud Loeb ist Kunsthistoriker und war Archivar im Israel Museum in Jerusalem, wo er 32 Jahre lang arbeitete. Zwanzig Jahre lang war er Dozent für Kunstgeschichte an der Hebräischen Universität.
Ehud Loeb ist Volontär bei Yad Vashem: auf Seminaren der Internationalen Schule für Holocaust-Studien erzählt er Schülern und Lehrern aus Israel und aus dem Ausland von seinen Erlebnissen während des Holocaust, er nimmt an Zeremonien zum Gedenken an den Holocaust und die deutschen Juden teil, und er ist Mitglied des Ausschusses zur Ernennung der „Gerechten unter den Völkern". Als einer, der sein Überleben „Gerechten unter den Völkern" zu verdanken hat, empfindet er die Notwendigkeit, auf diese Weise zur Anerkennung derer beizutragen, die Juden während des Holocaust halfen.
Ehud Loeb und seine Frau Shoshana haben vier Kinder und zehn Enkel.
- Ausweis, der auf den Namen „Herbert Josef Odenheimer" ausgestellt ist. Geburtsdatum: 26. März 1934
- Zeichnung Ehud Loebs aus der Zeit des Verstecks im Kinderheim in Chabannes, in das er aus dem Konzentrationslager Gurs gebracht worden war
- Zwei Seiten aus dem Buch „Bonjour la France", einem Geschenk der Familie Roger, die ihn in Frankreich versteckte
- Das Schachbrett Ehud Loebs, das er als Kind angefertigt hat