„Es ist von entscheidender Bedeutung, über das Leben einzelner Menschen vor dem Krieg zu erfahren, nicht nur als Opfer des Holocaust. Wir müssen lernen, wie man mit Vielfalt und Komplexität in der Gesellschaft umgeht. Ich bin gekommen, um neue, effektive Methoden zu finden, die heutige Jugend über den Holocaust und dessen Bedeutung für ihr eigenes Leben zu lehren.”
Dies sagte Martina, eine der zwölf Lehrerinnen und Lehrer, die im Oktober zu einem erstmals abgehaltenen Fortbildungskurs für Lehrer aus Berlin nach Yad Vashem kamen. Das Seminar folgte der Unterzeichnung einer gemeinsamen Absichtserklärung im Januar 2017 zur Zusammenarbeit zwischen Berlin und der Internationalen Holocaust Gedenkstätte in den Bereichen Holocausterziehung, -forschung und -gedenken. Dazu gehört auch das Networking zwischen deutschen und israelischen Kollegen im Bereich der pädagogischen Praxis. Martina, die an der Anna-Freud-Schule in Berlin 16- bis 18jährige unterrichtet, leitet auch Lehrer an, wie man jüngeren Kindern die Ereignisse des Holocaust auf altersgerechte Weise vermittelt. Diese Aufgabe ist eine Herausforderung, und Martina kam in der Hoffnung nach Yad Vashem, sich die aktuellsten und effektivsten Methoden anzueignen, deutschen Schülern dieses schwierige Thema näher zu bringen.
Während der Fortbildungskurse in Yad Vashem erleben die Teilnehmer eine Woche anspruchsvoller Vorträge führender Experten, nehmen an Workshops teil, hören Augenzeugenberichte von Holocaust-Überlebenden aus erster Hand und bekommen Führungen durch die verschiedenen Institutionen und Stätten auf dem Berg des Gedenkens in Jerusalem, einschließlich des ausgezeichneten Museumskomplexes. Yad Vashem beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit jüdischem Leben vor, während und nach der Zeit der Verfolgung durch die Nazis und verschafft Lehrern grundlegende Kenntnisse, um zu erfassen, welche ungeheuren Verluste die mörderische Ideologie und Politik des Nazi-Regimes für die gesamte Menschheit mit sich brachten. Martina war besonders fasziniert von dem Vortrag „Eine Straße in Polen” - ein Yad Vashem-Lehrmodell über jüdisches Leben in der Vorkriegszeit für fünfzehnjährige Schüler - und hat vor, dieses Modell zu Hause in Form einer Unterrichtsstunde mit dem Titel „Eine Straße in Berlin” umzusetzen.
Außerdem organisiert Martina jedes Jahr am 27. Januar, dem Internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust, eine Gedenkveranstaltung für ihre Schule, auf der Schüler das Thema eingehend diskutieren. „Das Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus muss lebendig erhalten werden”, erklärt Martina. „Für die Zukunft unserer Gesellschaft ist es entscheidend, dass die Generationen, die in einem Land mit einer freiheitlich demokratischen Grundordnung aufwachsen, wissen, dass Demokratie und Respekt für Menschenwürde nicht als selbstverständlich betrachtet werden dürfen sondern - in allen Bereichen des Zusammenlebens - immer verteidigt und gepflegt werden müssen.
Was ihre Zeit in Yad Vashem betrifft, könnte Martina nicht begeisterter sein. „Das Seminar übertraf meine Erwartungen. Das hohe Niveau der Vorträge, die komplexen Themen, die in Angriff genommen wurden, die praktischen Methoden, die man uns an die Hand gegeben hat … Ich habe mich gefühlt wie ein Schwamm, als ich dort saß, und mehr und mehr aufgesogen.”
Andrea, die am OSZ Handel 1 in Berlin Kreuzberg unterrichtet, stimmt zu: „Die Woche war völlig überwältigend, aber wir haben die neuen Informationen, die man uns vermittelt hat, verschlungen. Die hervorragende Auswahl der Themen war sehr ausgewogen und maßgeschneidert auf die besonderen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, wenn wir dieses empfindliche Thema in Deutschland unterrichten.”
Andrea unterrichtet an einer Berufsschule, an der der Holocaust nicht mehr Teil des regulären Lehrplans ist, und steht daher der Herausforderung gegenüber, Wege zu finden, dieses wichtige Thema in ihre Lehrpraxis zu integrieren. „Ich habe vor, ein paar Projekte außerhalb des Lehrplans zu organisieren, bei denen die Originalschauplätze in Berlin genutzt werden sollen, um über Widerstandskraft, menschliche Werte, demokratische Prinzipien, Mut und Toleranz zu sprechen. Vielleicht werde ich eine „Botschaft der Woche” in meinen Unterricht einfließen lassen und jede Woche damit beginnen, meinen Schülern über einen der deutschen Gerechten unter den Völkern vorzulesen … und ihnen auf diese Weise nahezubringen, wie sich in finsteren Zeiten in scheinbar kleinen Dingen heldenhaftes Verhalten zeigt.” Andrea fährt fort: „Das lässt sich auch auf das Leben heute anwenden, indem man jeden Menschen freundlich und respektvoll behandelt - besonders Minderheiten.
Andrea steht auch vor der Herausforderung, mit Antisemitismus umzugehen, den Schüler ins Klassenzimmer mitbringen. „Wir sind eine sehr internationale Schule mit vielen Schülern, die außerhalb Deutschlands geboren sind, und ich erlebe ein erhebliches Maß verbaler Aggression im Klassenzimmer - ohne wirklich Zeit zu haben, diese Art von „importiertem Antisemitismus” angemessen diskutieren zu können, der oft nichts mit Geschehnissen aus der Kriegszeit oder dem Holocaust, sondern mit anti-jüdischen Gefühlen in überwiegend muslimischen Gesellschaften zu tun hat. Das ist mein Dilemma: keine Zeit, aber viele Probleme.”
Das Seminar war nicht nur auf Lehrer, sondern auch auf andere Erzieher und Ausbilder ausgerichtet, die sich mit Holocausterziehung befassen. Carolyn, die seit 25 Jahren als Erzieherin, Reiseführerin und Autorin tätig ist, dankte den Organisatoren des Seminars für „ein wunderbares Programm”. „Trotz des schwierigen Themas, das zur Diskussion steht, ist Yad Vashem ein schöner Raum zum Gedenken und Trauern, aber auch ein Ort der Reflexion und der Hoffnung - auf eine bessere Zukunft für künftige Generationen.”
Da dies der erste Fortbildungskurs für Lehrer aus Berlin war, wohnte Bildungssenatorin Sandra Scheeres einigen der Diskussionen und Vorträge bei. Nach dem Besuch des Holocaust-Museums nahm sie an einer Gedenkzeremonie teil und besichtigte das Denkmal für die 1.5 Millionen jüdischer Kinder, die während des Holocaust ermordet wurden.