Dank ihrer Entschlossenheit konnte die österreichische Geigerin viele Musikerinnen vor dem Holocaust retten.
Als die brutale und musikliebende SS-Oberaufseherin Maria Mandl im Oktober 1942 Leiterin des Frauenlagers Auschwitz-Birkenau wurde, machte sie sich schnell daran, ein Frauenorchester zu gründen. Ende Dezember rekrutierte sie Musikerinnen aus dem Kreis der Häftlinge und übertrug die Leitung des Ensembles Zofia Czajkowska, einer polnischen Gefangenen, die vorgab, ein Familienmitglied des russischen Komponisten Tschaikowsky zu sein. Das Orchester nimmt Gestalt an, bleibt aber bis Juli 1943 wackelig, als eine außergewöhnliche Figur auftaucht: Alma Rosé.
Alma Rosé war die Nichte von Gustav Mahler, dem österreichischen Komponisten und Dirigenten der Wiener Staatsoper. Gustav Mahlers Schwester Justine heiratete Arnold Rosé, Konzertmeister des Wiener Hofopernorchesters, Mitglied der Wiener Philharmoniker und Gründer des berühmten Rosé-Streichquartetts. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Alfred, Cellist und Pianist, und Alma (geb. 1906), eine ausgezeichnete Geigerin, die von ihrem Vater unterrichtet wurde. Alma wurde nach ihrer Tante Alma Mahler-Werfel benannt.
Sie heiratete den tschechischen Wundergeiger Váša Příhoda, eine Ehe, die scheitern wird. Anfang der 1930er Jahre gründete Alma ein Frauenorchester, die „Wiener Walzermädeln" - eine revolutionäre Initiative. Das Frauenorchester tournierte in ganz Europa und erzielte große Erfolge. Doch ab 1933 schloss Deutschland für jüdische Musiker seine Bühnen und somit auch für Alma. Doch dies war erst der Anfang der Schwierigkeiten. Für Alma und ihre Familie, wie für alle Juden in Österreich, verschärften sich die Probleme mit dem „Anschluss“ 1938 weiter. Alle Musiker der Familie wurden ihrer Karriere und ihres Lebensunterhalts beraubt.
Alma verließ Österreich, zuerst nach London und dann nach Holland, wo sie von der Öffentlichkeit mit offenen Armen empfangen wurde. Doch auch hier wurde sie von den NS-Gesetzen eingeholt, die sie zunächst zwangen, nur für Juden zu spielen und ihr dann jegliche Auftritte verbaten. Sie ging eine Scheinehe mit dem Niederländer Constant August van Leeuwen Boomkamp ein, in der Hoffnung, durch einen „arischen“ Namen geschützt zu sein.
Mit den fortschreitenden Deportationen, beschloss Alma aus Holland zu fliehen und versuchte, die Schweiz zu erreichen. Doch auf dem Weg wurde sie in Dijon verhaftet, Ende Dezember 1942 in das Durchgangslager Drancy gebracht und von dort am 18. Juli 1943 mit dem Konvoi 57 nach Auschwitz-Birkenau deportiert.
Das Mädchenorchester von Auschwitz: Ein Ticket zum Überleben
Bei ihrer Ankunft in Auschwitz-Birkenau wird Alma in den Block 10 geschickt, um sich den medizinischen Experimenten von Doktor Mengele zu unterziehen. Sie bittet darum, vorher noch ein letztes Mal Geige spielen zu können. Die Töne, die sie der Geige entlockte, retteten, zumindest diese mal, ihr Leben: Maria Mandl holt sie aus dem Block heraus und betraut sie mit der Leitung des Frauenorchesters. Sehr schnell versteht Alma, wie wichtig es ist, Teil des Orchesters zu sein. Als Gefangene haben sie in den Augen der Wachen keinen Wert, aber ihr Status als Musikerinnen kann ihnen vielleicht Schläge, Misshandlungen und den Tod ersparen.
In das Orchester nam Alma nur noch Jüdinnen auf, im Bewusstsein, ihnen so eine Überlebenschance zu bieten. Sie verhandelte mit Maria Mandl, um die Bedingungen des Orchesters schrittweise zu verbessern: Um das Holz der Instrumente zu schonen, müssten die Proben in einem beheizbaren Block und nicht im Freien stattfinden. Ebenso sollten die Muskerinnen von der Zwangsarbeit befreit werden, um Zeit für Proben zu haben. Um sich ausruhen zu können, bekamen sie tagsüber eine Pause und eine Matratze für jeweils zwei und nicht für acht Personen. Dank Alma Rosé wurde der Block des Frauenorchesters in Birkenau der einzige, der von wöchentlich wechselnden Laken, einer Dusche pro Woche und einem ganzen Brot für 4 Frauen täglich profitierte.
Maria Mandl wollte sichergehen, dass ihr Frauenorchester mit dem Männerorchester des Lagers mithalten kann. Daher war sie bereit, den Musikerinnen gewisse Gefälligkeiten zuzugestehen. Aber Alma verstand gut, dass jeder von ihnen das Leben nur seinem Instrument verdankte. Sie war sehr streng und ließ bei den Proben nicht locker. Wenn ihre Musikerinnen nicht richtig spielten, zeigte sie auf das Krematorium und sagt ihnen: „Wenn ihr so weitermacht, landen wir dort.“
38 der 40 Musikerinnen überlebten den Holocaust
Dank Alma Rosé konnten viele Frauen dem Tod entrinnen. Hilde Grünbaum war eine von ihnen. Im April 1943 im Alter von 20 Jahren nach Auschwitz deportiert, lernte die junge deutsche Jüdin Geige. Sie trat dem Orchester von Alma Rosé bei, die sie persönlich unter ihre Fittiche nahm. Hilde, die krankheitsbedingt eine Zeit lang nicht spielen konnte, wurde Almas persönliche Assistentin und übernam die Verantwortung für die Musikpartituren. Hildes Freunde vom „Kanada"-Kommando schmuggelten einen Kissenbezug für sie heraus und Hilde nähte daraus einen Stoffbezug für die Notenblätter.
Alma Rosé selbst hat den Holocaust nicht überlebt. Am 2. April 1944 wurde sie von Maria Mandl zu einem Privatkonzert eingeladen. Nach ihrer Rückkehr klagte sie über starke Kopfschmerzen und starb zwei Tage später, am 4. April. Die Todesursachen sind nicht eindeutig geklärt: Es wurde von Meningitis gesprochen oder einer eventuellen Vergiftung durch Gefangene, die sie um ihres Einflusses auf Maria Mandl beneideten. In einer seltenen Geste der Menschlichkeit erlaubte die Lageraufseherin der begabten Geigerin eine letzte Ehre: Almas Leichnam, in ein weißes Kleid gekleidet, auf einer mit einem weißen Laken bedeckten Bahre liegend, wurde mit roten Rosen übersät zum Krematorium gebracht, begleitet von den Musikerinnen des Orchesters.
Nach Almas Tod existierte das Orchester weiter, jedoch nur fur kurze Zeit. Als die Nazis begannen, die Lager im Osten zu evaquieren, werden die Musikerinnen von Birkenau mit dem Zug nach Bergen-Belsen gebracht. Ihre gute körperliche und geistige Verfassung ermöglichte es ihnen, bis zur Befreiung des Lagers im April 1945 zu überleben.
Alma Rosé ist in Grinzing bei Wien begraben, wo eine Straße ihren Namen trägt.
Dieser Blogbeitrag wurde ursprünglich auf Französisch verfasst.