Ich war damals 6 Jahr alt, als wir nach Erfurt zogen. Es ging uns sehr gut. Lotte und ich wuchsen heran und in dem Alter, wo man aufhört Kind zu sein kam Hitler und mit ihm Zerstörung, Not und Elend.
Diese Worte schrieb Marion Feiner im Januar 1938 in ihr Tagebuch. Noch im selben Jahr verließ sie Deutschland und kam mit der Jugend-Alijah nach Eretz Israel (Britisches Mandatspalästina).
Marion Feiner (später Miriam Ziv) wurde 1921 in Berlin als Tochter von Joseph und Adela Feiner geboren. Ihre ältere Schwester hieß Charlotte (Lotte). Als Miriam 6 Jahre alt war, zog die Familie nach Erfurt. Zu ihrem 14. Geburtstag bekam sie von ihrer Freundin ein Tagebuch geschenkt und begann noch am selben Tag, sich darin einzutragen. Die Aufzeichnungen geben Einblick in die Erfahrungen und Gefühle eines jüdischen Mädchens, dass in der 30er Jahren im Schatten des Hakenkreuzes lebte. So vertraute Marion 1935 ihrem Tagebuch an:
Am Sonntag war Eisbahn. Es bot sich mir auch eine Gelegenheit auf die Eisbahn zu gehen. Am Montag fiel die Nachmittagsschule aus und so überlegte ich nach ob ich gehen sollte. Nämlich wegen dem Ritsch. Mein Vater sagte, ich soll gehen. Also ich ging auch. Oben angelangt traf ich ein paar Mädels aus meiner Klasse. Ilse Kaul fuhr den ganzen Nachmittag mit mir. Auf einmal kommt ein Junge zu ihr. Ich fahre weg u. traf sie den ganzen Abend nicht mehr. In der Schule sagte sie mir die Geschichte mit dem Jungen. Es war einer vom H.J. Streifendienst. Er verbot ihr mit mir zu fahren, weil ich Jüdin bin.
Marion wandte sich als Reaktion dem Zionismus zu und schloss sich der „Maccabi Hatzair"-Bewegung an. Sie folgte dem Beispiel ihrer älteren Schwester Charlotte und nahm an Kursen über das Judentum teil. Obwohl sie eine begabte Schwimmerin war, trat sie aus ihrem Schwimmteam aus. Später schrieb sie über diese Zeit in ihr Tagebuch:
Schon zu der Zeit, als Hitler an der Regierung war, mußte ich einmal für unsere Schule schwimmen. Ich schwamm und siegte. Aber damals tat ich es nicht für die Schule, sondern der Sieg war meiner für die Jüdin.
Der Aufstieg der NSDAP hatte auch für Marions Vater Joseph gravierende Folgen. Er arbeitete als Künstlervertreter im Dachverband der Komponisten in Deutschland und seine Welt war die Theater- und Konzertwelt. Mit dem Machtantritt der Nazis ging der Komponistenverband in die Hände von Propagandaminister Goebbels über und Joseph wurde sofort entlassen. So beschrieb Marion die Jahre ihrer Familie in Erfurt:
Ich war damals 6 Jahr alt, als wir nach Erfurt zogen. Es ging uns sehr gut. Lotte und ich wuchsen heran und in dem Alter, wo man aufhört Kind zu sein kam Hitler und mit ihm Zerstörung, Not und Elend. 1933 verlor mein Vater seine Stellung. Er versuchte in anderen Ländern wieder eine neue Lebensmöglichkeit zu gründen. Aber es gelang ihm nicht. Zweimal betrog man ihn um sehr viel Geld. Aber das alles war ihm nicht so schlimm, sondern das worunter er so litt, war, dass er als der Jude nicht mehr vollwertig als Mensch behandelt wurde. Musik und Theater, diese Dinge, die er am meisten liebte, wurden für Juden verboten. Er erdultete viel Schmerz. Und oft musste ich hören, wie er sagt er will seinem Leben ein Ende machen. Aber wieder war es die Mutter, diese grosse Frau, die dem Manne Mut zusprach, und so war das Leben immer in einen grauen Schleier gehüllt bis ich wegfuhr. Doch die Liebe in der Familie wurde in dieser Zeit nur gestärkt.
Genau wie ihre Schwester Charlotte, gelangte auch Marion mit der Jugend-Alijah nach Eretz Israel und ließ sich im Kibbutz Ginegar nieder. Ihre Eltern wurden jedoch nach Polen deportiert und in Lemberg ermordet.
Marions Tochter Dalia übergab das Tagebuch und andere persönliche Gegenstände an Yad Vashem zur Aufbewahrung.
Archiv von Yad Vashem
Mit freundlicher Genehmigung von Dalia Ziv