An einem verschneiten Tag im Jahr 1934 schlendert der Berliner Rabbiner Shmuel Spiegel durch einen Hof, bis seine Augen auf etwas Unerwartetes stoßen: Inmitten des Schnees glüht ein Haufen Asche. Der Rabbiner tritt näher heran und versucht, in den qualmenden Überresten etwas zu erkennen. Er blickt auf halb verbranntes Papier, enziffert hebräische Buchstaben und erschrickt. Er erkennt sofort: Es sind jüdische heilige Schriften.
Am Rande des schwelenden Haufens entdeckt Rabbi Spiegel eine Pessach-Haggada. Ihre Ränder sind bereits vom Feuer angesengt, aber das Buch selbst ist nicht verbrannt, weil der nasse Schnee es durchweicht hat. Rabbi Spiegel nimmt die Haggada mit nach Hause, trocknet sie sorgfältig und legt eine handschriftliche Notiz bei:
„Nachdem die Nazis (möge ihr Andenken ausgelöscht werden) ihre Macht demonstriert und Myriaden wertvoller Bücher auf einem Scheiterhaufen verbrannt hatten, ging ich eines Tages spazieren und stieß auf den Hof, wo die Asche der verbrannten Bücher aufgehäuft war. Der Haufen war mit einer Schneeschicht bedeckt, die in der Zwischenzeit gefallen war, und am Rande des Haufens fand ich diese Haggada, die nicht vollständig verbrannt, sondern nur leicht angesengt war. Ich hob sie auf - sie war durch den geschmolzenen Schnee völlig durchnässt - und nahm sie als Andenken mit nach Hause.“
Berlin, Winter 1934
Rabbi Spiegel bewahrt die angesengte Haggada und nimmt sie mit aus Deutschland, als er 1936 nach Eretz Israel auswandert.
Drei seiner vier Kinder, sein Sohn Tzvi-Herman und seine Töchter Rachel und Gisella, sind mit ihren Familien im Holocaust getötet worden. Seine Tochter Chana wanderte in den 1930er Jahren nach Eretz Israel ein.
Die Haggada wurde im Haus der Familie in Tel Aviv aufbewahrt. Chanas Enkel Ilan Ganot spendete die Haggada im Rahmen der Kampagne „Gathering the Fragments“ an Yad Vashem.