Rund 42.000 Gegenstände füllen die Schubladen und Regale der Objekt-Sammlung von Yad Vashem. Einige von ihnen sind im Museum zur Geschichte des Holocaust ausgestellt, andere in der Yad-Vashem-Synagoge und einige werden für Wechselausstellungen in Israel und auf der ganzen Welt genutzt. Ob ausgestellt oder nicht, alle Objekte von Yad Vashem sind „stille Zeugen" des Holocaust. Yad Vashem arbeitet seit mehreren Jahrzehnten intensiv daran, das Schicksal ihrer ehemaligen Besitzer aufzudecken und damit diese dunkle Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung zu dokumentieren.
Michael Tal, der seit 22 Jahren bei Yad Vashem arbeitet, leitet heute die Abteilung für Artefakte in der Museumsabteilung von Yad Vashem. Er kennt fast jedes Schmuckstück der Sammlung, jeden Teller, jede Uniform, jeden Anhänger, jedes Spielzeug und führt die Besucher oft hinter die Kulissen, um eine Mission zu veranschaulichen, die noch nicht alle Geheimnisse preisgegeben hat.
Yad Vashem sammelt seit seiner Gründung im Jahr 1953 Gegenstände im Zusammenhang mit dem Holocaust. „Schon während des Holocaust war die Rede davon, Beweise - Tagebücher, Briefe und Artefakte - zu sammeln, um im Namen der einzelnen leidenden Juden die Macht des Bösen und die Grausamkeit zu bezeugen, die ihnen widerfährt ", sagt Tal.
Nach dem Krieg begann eine intensivere und besser organisierte Sammlung von Gegenständen. Überlebende spendeten Archivdokumente, Fotos und persönliche Gegenstände und füllten Gedenkblätter aus, um der Verwandten und Freunde zu gedenken, deren Leben so grausam verkürzt wurde. „Die Überlebenden wollten über die Shoah Zeugnis ablegen, deshalb haben sie uns historische Unterlagen gebracht", fährt Michael Tal fort. „Dazu gehörten gelbe Sterne, Gefangenenuniformen, auf Eisenplatten eingravierte Häftlingsnummern und Beweise für die verschiedenen Passagen in den Konzentrationslagern", illustriert Tal. „Zu diesem Zeitpunkt wurden persönliche Gegenstände noch gar nicht erwähnt."
Als das Historische Museum von Yad Vashem 1973 seine Türen öffnete, galten Artefakte immer noch als „zweitrangig" gegenüber Dokumenten und Fotografien - letztere standen im Mittelpunkt der damaligen Ausstellung. Erst 1995 wurden Artefakte als Zeugnisse der Geschichte betrachtet und zu einer eigenständigen Sammlung.
Eine neue Vision
Seit Beginn seiner Amtszeit in den frühen neunziger Jahren bemühte sich der Vorstandsvorsitzende von Yad Vashem, Avner Shalev, die Erinnerung und Bildung des Holocaust für das 21. Jahrhundert neu zu definieren. Unter seiner Leitung wurde 2005 ein neuer Museumskomplex eröffnet - darunter das mittlerweile weltbekannte Museum zur Geschichte des Holocaust. Das Museum vereint historisches Fachwissen, Ressourcen und Exponate. Vor allem aber präsentiert es die Geschichte des Holocaust anhand der Erfahrungen der einzelnen Opfer und nicht anhand der Täter. „Das alte Museum zeigte hauptsächlich Dokumente oder Fotos der Deutschen, so dass unsere Besucher den Holocaust durch die Augen der Nazis verstanden", erzählt Tal. „Bei der Konzeption des neuen Museums beschloss man, die Geschichte aus der jüdischen Perspektive zu erzählen."
Heute enthalten die zehn thematisch angeordneten Galerien des Museums mehr als 1.000 Objekte, direkte Zeugen der Shoah. Hinter jedem Gegenstand verbirgt sich die erschütternde Reise eines Lebens, und so wird jedes Objekt zum Geschichtenerzähler, der jedem Opfer der Shoah ein Gesicht und einen Namen gibt, unabhängig davon, ob es überlebt hat oder nicht.
In den letzten zwei Jahrzehnten rückte das jüdische Individuum in den Mittelpunkt von Yad Vashems Focus. Sein pädagogisches Ziel ist es, sich auf die menschliche Geschichte zu konzentrieren, „die Opfer wieder zum Leben zu erwecken", indem die Erzählungen von Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften in Verstecken, Lagern und Ghettos anhand von Originalgegenständen, Zeugnissen von Überlebenden und persönlichen Besitztümern erzählt werden. Und was könnte besser sein als ein Objekt, um eine persönliche Reise nachzuvollziehen?
Die Mitarbeiter von Yad Vashem sammeln sehr aktiv Gegenstände aus der Zeit des Holocaust, indem sie sich mit Überlebenden treffen, Anrufe auf der Suche nach persönlichen Gegenständen tätigen und nach Europa, insbesondere nach Osteuropa, reisen, um Artefakte zu finden.
„Besuche in Lagern wie Majdanek oder Auschwitz stärken die Vorstellung, dass das Ausmaß des Holocaust häufig durch Stapel von Uniformen, Schuhen und Koffern dargestellt wird, die den Massenmord, das Schicksal des Kollektivs, zum Ausdruck bringen", erklärt Tal. „Yad Vashem versteht es als seine Mission, den Holocaust durch die einzelnen Geschichten zu erzählen."
Die Teile zusammenfügen
Wenn das Sammeln der Objekte an sich schon von entscheidender Bedeutung ist, muss man noch ganz andere Hürden überwinden, um „sie zum Sprechen zu bringen". „Oft muss man weit reisen, um die fehlenden Informationen einzuholen, und diese sind nicht immer leicht zu finden", betont Tal. „Die Ermittlungsarbeit für einen einzelnen, einfachen Gegenstand - ein Kochbuch, ein Kinderspielzeug, einen gravierten Ring - kann mehrere Jahre dauern."
Zur Veranschaulichung bringt Tal das Beispiel von Bluma Walachs Brille, die ihre Tochter Tola Yad Vashem anvertraut hat:
„Bluma und Tola wurden zusammen aus dem Ghetto Lodz nach Auschwitz deportiert. Während der Selektion wurden sie getrennt, und Bluma wurde von der Rampe direkt zu den Gaskammern geführt. Tola stellte später fest, dass sie die Brille ihrer Mutter in der Tasche hatte. Sie wurde zum einzigen Erinnerungsstück an ihre Mutter, das ihr noch geblieben war, und sie weigerte sich, sie auch nach dem Krieg wegzuwerfen. Als sich die Brille in den 1990er Jahren zu zersetzen begann, spendete Tola sie Yad Vashem. Diese Brille mit zerbrochenen Linsen und deformiertem Rahmen ist ein besonders starkes und kraftvolles Zeugnis für das Leben von Tola und ihrer Mutter Bluma, für ihre Trennung und für ihre deutlich unterschiedlichen Schicksale. Heute ist sie im Museum zur Geschichte des Holocaust ausgestellt.“
Dieser Blog wurde aus dem Französischen übersetzt.
Dieser Blog wird großzügig unterstützt von der Konrad-Adenauer-Stiftung