Letztes Jahr erhielt ich einen Brief von Steve Gamester, einem bekannten Produzent und Regisseur von Dokumentarfilmen, der mich um professionelle Unterstützung bei einem Projekt mit dem Titel "The Last Holocaust Survivors" bat. Anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau plante Steve, einen Dokumentarfilm zu drehen, der sich auf die persönlichen Geschichten mehrerer Holocaust-Opfer sowie von Überlebenden konzentriert. Der Film sollte ihre persönlichen Geschichten erzählen und zeigen wie Technologie verwendet wird, um das komplexe Puzzle des Holocaust zusammenzusetzen. Das Projekt suchte Yad Vashems Unterstützung und Fachwissen bei der Erforschung der Geschichten und Schicksale von Holocaust-Opfern und Überlebenden für den Film.
Herr Gamester beendete seinen Brief mit folgendem Satz: „Für viele existiert die Geschichte des Holocaust nur in Schwarz-Weiß. Dies kann dazu führen, dass es entrückt und weniger real erscheint. Wir werden die neueste Technologie verwenden, um ikonische und nie zuvor gesehene Fotos zu kolorieren. Für einige Überlebende sind Schwarz-Weiß-Fotos die einzigen Verbindungen zu ihren verlorenen Familien. Wir werden es ihnen ermöglichen, Familienmitglieder in Farbe zu sehen."
Dies war eine herausfordernde Aufgabe. Schließlich setzt sich Yad Vashem dafür ein, dass die Geschichte des Holocaust weiterhin als starke Erinnerung daran dient, wohin unkontrollierter Rassismus führen kann. Wir möchten die Menschen näher an die historischen Informationen heranführen und ihnen helfen, die aktuellen Ereignisse der Welt aus der Perspektive der Vergangenheit zu betrachten. Es soll nicht vergessen werden, was vor nicht allzu langer Zeit mit den Juden in Europa und Nordafrika geschehen ist.
Yad Vashem sucht ständig neue und innovative Wege, um Technologie im Dienste der Erinnerung, Forschung, Bildung und Dokumentation des Holocaust einzusetzen. Es ist klar, dass neue technologische Fortschritte größere Möglichkeiten und Fähigkeiten bieten, die große Menge an Informationen auf bisher nicht mögliche Weise zu sammeln, zu analysieren und zu untersuchen. Diese Informationen können über Wege und Kanäle, die in den vergangenen Jahren noch nicht existierten, einem immer größer werdenden globalen Publikum zugänglich gemacht werden. Yad Vashem arbeitet seit einigen Jahren daran, mithilfe digitaler Technologie Zugang zu Archivbeständen - Dokumenten, Fotos und Filmen - zu erhalten, um Forschern des Holocaust zu helfen.
Und doch beinhaltete meine Antwort berechtigte Bedenken. Ich antwortete, dass es zwar Menschen gibt, die der Meinung sind, dass das Kolorieren von Archivfotos das Thema verständlicher, den historischen Kontext jedoch nicht „realer" macht. Darüber hinaus habe ich zum Ausdruck gebracht, dass das Hinzufügen von Farbe zu einer Quelle und die Behauptung, dass dies ihre Authentizität verbessert, sogar eine unbeabsichtigte Verzerrung der Motive oder Objekte auf dem Foto sein kann - und damit im weiteren Sinne auch des Holocaust. Zur weiteren Erklärung habe ich argumentiert, dass man mehr Spielraum hat, das Originalstück zu bearbeiten, wenn die Kolorierung dieser Archivfotos den Zuschauern als Kunstwerke präsentiert wird. Der Betrachter darf die Veränderung mögen oder nicht mögen, da klar ist, dass es sich um ein Kunstwerk handelt. Aber im Geschäft mit der Wahrheit ist diese Art der „Verbesserung“ bestenfalls eine irreführende Fälschung. Und wir sind im Geschäft mit der Wahrheit.
Es gibt eine unüberbrückbare Kluft zwischen der Vergangenheit und uns. Es wäre schöner gewesen, wenn die Fotos meiner Großmutter aus dem Jahr 1939 in Farbe wären, aber sie sind es eben nicht. Sie wurden in Schwarz-Weiß aufgenommen und werden dies auch immer bleiben, unabhängig von den Versuchen, sie zu verfälschen.
Während man möglicherweise gute Absichten hat, Archivgegenstände wie Objekte oder Bilder zur Veranschaulichung historischer Ereignisse zu verwenden, können Änderungen dieser Gegenstände diesen historischen Zeitrahmen falsch darstellen. Während einige geringfügige Reparaturen, wie sie beispielsweise für die professionelle Konservierung verwendet werden, erforderlich sind, um die Originalgegenstände für die Nachwelt intakt zu halten, sollte dieser Prozess keine wesentlichen Änderungen an den Originalen beinhalten. Schwarz-Weiß-Bilder sind dennoch mit lebendigen Details gefüllt, und es ist die Aufgabe der Historiker, sie mit Bedeutung zu interpretieren - und sich in gewissem Umfang darum zu bemühen, das jüdische Leben vor, während und nach dem Holocaust zu veranschaulichen. Obwohl sie keine lebendigen Farbbilder sind, dienen sie als ewige Zeugen der Schrecken dieses dunklen Kapitels. Wenn wir uns weiter von der Zeit des Holocaust entfernen, ist es Aufgabe von Yad Vashem, weiterhin praktische und authentische Wege zu entwickeln, um das Publikum aus der ganzen Welt einzubeziehen und ihnen die Bedeutung der Erinnerung an die Vergangenheit - wie sie wirklich war - aufzuzeigen, um eine bessere Zukunft aufzubauen.
The Last Holocaust Survivors wurde fertiggestellt und der Dokumentarfilm mit dem Titel "Cheating Hitler: Surviving the Holocaust" im November 2019 auf dem History Channel ausgestrahlt.
Dieser Blog wurde ursprünglich auf englisch verfasst