Die Veranstaltungen zum diesjährigen israelischen Gedenktag für die Märtyrer und Helden des Holocaust begannen wie in den vergangenen Jahren mit der offiziellen staatlichen Eröffnungszeremonie am Abend des 17. April 2023. Während der Feierlichkeiten entzündeten Holocaust-Überlebende Gedenkfackeln und ergriffen stellvertretend für alle Überlebenden weltweit das Wort. Am darauffolgenden Tag, nach Ertönen der landesweiten Sirene, fand in Yad Vashem die traditionelle Zeremonie der Kranzniederlegung und der Namensverlesung statt. Die Zeremonie der Jugendbewegung bildete den bewegenden Abschluss der 24 Stunden auf dem Berg der Erinnerung in Jerusalem.
Unter den Würdenträgern, Ehrengästen und Bürgern, die diesen bedeutungsvollen Tag in Yad Vashem verbrachten, befanden sich Gruppen aus Israel und der ganzen Welt – Überlebende und ihre Familien, Studierende, jüngere und ältere Besucher, jüdische und internationale Gruppen. Jeder von ihnen hatte unterschiedliche Gründe für sein Kommen; jeder von ihnen verließ Yad Vashem mit einer Reihe von Gefühlen und neuen Ideen, wie er in seinem sozialen Umfeld und darüber hinaus etwas bewirken kann.
Von Generation zu Generation
Die Kranzniederlegung wurde in diesem Jahr vom weitläufigen Platz des Warschauer Ghettos in die intimere und ruhigere Gedenkhalle verlegt. Viele der Teilnehmer betonten, wie wichtig es ist, die Erinnerung an den Holocaust an die nächsten Generationen weiterzugeben. Die Holocaust-Überlebende Batsheva Levy aus Griechenland sprach leidenschaftlich über die Notwendigkeit, junge Menschen in die Erinnerung an den Holocaust einzubeziehen – vielleicht durch „Patenschaften“ und das Lernen über die verschiedenen Gemeinschaften, die während des Zweiten Weltkriegs in Europa von den deutschen Nazis und ihren Verbündeten zerstört wurden – damit sie nicht in Vergessenheit geraten.
Yitzchak Perlmutter, ein Überlebender aus Ungarn, war mit seiner Tochter Orly und zwei Enkeln, Matan und Ilai, anwesend. Ilai beschrieb, wie sehr es ihn bewegte, zum ersten Mal gemeinsam mit seinem Großvater einen Kranz niederzulegen, stellvertretend für das ungarische Judentum, das in den letzten Monaten des Holocaust in die Vernichtung geschickt wurde. Yitzchak, der 1947 nach Israel kam, erinnerte sich daran, dass er jedes Jahr mit seiner Mutter nach Yad Vashem kam – und so setzt sich die Kette des Gedenkens an den Holocaust bis zur dritten Generation und sogar darüber hinaus fort (Yitzchak zwinkerte, dass ein Urenkel unterwegs sei). Er begrüßte den Umzug in die Gedenkhalle, die er als „übersichtlicher und respektvoller“ empfand.
Deutsche Besucher
Eine kleine Gruppe von Deutschen sammelte sich im Schatten des Warschauer Ghetto-Platzes, wo die Fremdenführerin die Bedeutung der Skulpturen von Nathan Rapoport erklärte, die am Ende des Platzes stehen. Eine von ihnen zeigt die Massendeportation von Juden in die Todeslager und den Aufstand im Warschauer Ghetto vor 80 Jahren – das zentrale Thema des diesjährigen Holocaust-Gedenktags.
Die Besucher, die aus allen Regionen Deutschlands stammten, waren zwischen 40 und 60 Jahre alt. „Für uns Deutsche ist es eine besondere Ehre, gerade heute hier sein dürfen“, erklärte eine Frau. Manche aus der Gruppe waren überrascht, weil sie vor ihrem Besuch nicht von dem Gedenktag wussten. In Deutschland wird der Opfer am 27. Januar gedacht, dem Internationalen Holocaust Gedenktag. Manche der Besucher waren bereits zum zweiten oder dritten Mal in Yad Vashem.
Als die Teilnehmer über heutigen Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sprachen, ergriff ein Mann Mitte 50 das Wort. „Ich denke, etwas Ähnliches wie der Holocaust könnte heute wieder passieren, auch wenn der Gedanke daran beängstigend ist“. Eine Frau stimmte ihm zu, sie fände es gefährlich, wenn Menschen in Deutschland sagten, sie wollten nichts mehr von den Gräueltaten des Holocausts hören, „weil es sie nicht betrifft“. Sogar in der Bibel sei von generativer Verantwortung die Rede, erklärte ein anderer Teilnehmer. Darin stünde, die Sünden der Eltern könne an die Kinder, Enkel und Urenkel vererbt werden. Umso wichtiger sei es, so die Gruppe, das Gedenken und die Aufklärung über den Holocaust von Generation zu Generation weiterzugeben.
Dabei ginge es weniger um Schuldzuweisungen, darin waren sich die Besucher einig, sondern vielmehr darum, die Verantwortung zu akzeptieren, die Deutschland und die Deutschen auch heute noch tragen. Einer der Teilnehmer beschrieb seine Erfahrung sehr bewegt: „Wir sind durch das Museum gegangen, natürlich tief ergriffen. Das Schlimmste ist – all das geschah im Namen Deutschlands. Ich bin ein Deutscher. Das erhöht die Betroffenheit noch um ein Vielfaches. Sie merken an meiner Stimme, dass ich mich immer noch betroffen fühle. Kein vernünftiger Mensch, kein Deutscher, kann sich von dieser Betroffenheit jemals distanzieren.“
Begegnungen mit Jugendlichen
Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der Gesher High School in Rehovot – einer Einrichtung, die sich der Ausbildung von Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen widmet – hatte die Ehre, zu den Besuchern des Gedenkbergs zu gehören. „Es ist wichtig, dass unsere Schüler hierher kommen. Für einige von ihnen, um sich an ihre Familien zu erinnern, die die Shoah erlebt haben“, erklärte ihr Lehrer. „Ich fühle mich geehrt, heute hier zu sein“, sagte ein Schüler, der stolz seine IDF-Uniform trug. „Wir müssen uns daran erinnern, was damals geschah, und dafür sorgen, dass so etwas nie wieder geschehen kann.“
Eine jüdische Jugenddelegation auf einer „Masa Olami“-Reise, von der viele zum ersten Mal Israel – und Yad Vashem – besuchten, teilte ebenfalls ihre Gedanken mit. „Es ist wichtig, das alles zu wissen“, sagte ein Teilnehmer, „ich bin froh, dass ich ausgerechnet heute hier bin.“ Auf die Frage, ob sie glauben, dass sich ein Ereignis wie der Holocaust wiederholen könnte, waren sie entschieden – einige erklärten, dass im Zeitalter der sozialen Medien ein solch schreckliches Ereignis nicht mehr möglich sei, und andere fügten hinzu, dass die Sicherheit des jüdischen Volkes dank Israel und der IDF sichergestellt werde. „Die Unantastbarkeit des Lebens steht über allem“, erklärte ein junger Russe. „Ein weiterer Holocaust kann nie passieren, wenn wir anderen nicht das Leben nehmen, sondern jeden so respektieren, wie er ist“. „Wir dürfen niemals gefährliche Situationen ignorieren, von denen wir glauben, sie beträfen uns nicht“, schloss ein Südamerikaner. „Wir müssen immer aufstehen und unsere Stimme erheben.“