Der Gedenktag für die Märtyrer und Helden des Holocaust (hebr. „Yom HaShoah“) ist ein nationaler Gedenktag in Israel, an dem der sechs Millionen Juden gedacht wird, die im Holocaust ermordet wurden. Er ist ein würdevoller Tag, der nach jüdischer Tradition bei Sonnenuntergang beginnt und am Abend des darauffolgenden Tages endet.
Das diesjährige zentrale Thema „70 Jahre Erinnerung und Aufbau: Holocaust-Überlebende und der Staat Israel" stellt die Prägung und Wahrung des Gedenkens an den Holocaust sowie das konstruktive Eingreifen der Überlebenden in das gesellschaftliche Geschehen in den Vordergrund. Bereits die Wahl des Themas gibt einen Hinweis darauf, wie eng der Charakter der Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Schicksal der Überlebenden und ihrem Beitrag zum Gedenken verflochten ist.
Yad Vashem liegt an den Hängen des „Berges der Erinnerung" in Jerusalem. Das prismenförmige Museum ragt dramatisch aus dem Berghang heraus und gewährt einen Blick in das Tal hinunter. Das architektonische Narrativ, von dem das Museum auf dem weitläufigen Gelände der Gedenkstätte umgeben wird, ähnelt einem Flickenteppich aus verschiedenen Epochen: Jahrzehnte unterschiedlicher sozialer, künstlerischer und historischer Prozesse haben Yad Vashem mit einer Vielfalt von Auffassungen darüber, was Gedenken bedeutet und wessen in welcher Form gedacht werden soll, ihren Stempel aufgedrückt. Der Berg der Erinnerung spiegelt auch die Entwicklung der Erinnerungskultur in der israelischen Gesellschaft wider.
Wie wird ein Raum mit Bedeutung gefüllt? Welcher Symbole und kultureller Formen bedarf es, um einen Ort in einen Gedenkraum zu verwandeln? Gegründet wurde Yad Vashem im Jahre 1953 als Weltzentrum der Dokumentation des Holocaust, seiner Erforschung und Lehre sowie seines Gedenkens. Der Charakter der Gedenkstätte wird sowohl durch ihre Gestaltung als auch durch die dort stattfindenden Veranstaltungen geprägt. Yom HaShoah ist in Yad Vashem der Tag, an dem Raum und Zeit in der Erinnerung an den Holocaust zusammenfallen – das Anknüpfen des Erinnerns an einen bestimmten Tag, am Berg der Erinnerung. Die abendliche Zeremonie zum Auftakt des Gedenktages eröffnet einen Wahrnehmungsraum, in dem sich unterschiedliche Teile und Generationen der israelischen Gesellschaft und internationale Besucher im gemeinsamen Erinnern vereinen.
Jedes Jahr werden Holocaust-Überlebende zu dieser Zeremonie eingeladen, um im Gedenken an die sechs Millionen ermordeten Juden sechs Fackeln anzuzünden. Der israelische Staatspräsident hält eine Rede, Überlebende mit ihren Kindern und Enkeln, Besucher aus der ganzen Welt sind unter den Gästen. Am folgenden Tag ist das Gelände der Gedenkstätte übersät mit Mitgliedern von Jugendverbänden, Journalisten, Soldaten der israelischen Armee und internationalen Delegationen. Vereinzelt sind mit Medaillen behängte jüdische Veteranen der Roten Armee zu sehen.
Am Vormittag heulen landesweit zwei Minuten lang die Sirenen. Das ganze Land verharrt in stillem Gedenken, und auch in Yad Vashem ruhen für kurze Zeit das Stimmengewirr, die Kameras und Mikrofone. Kurz darauf marschieren israelische Soldaten mit ihren Gewehren auf, und die Anwesenden singen HaTikvah – die israelische Nationalhymne. Im Wind flattern blau-weiße Flaggen. Danach legen Würdenträger und Repräsentanten von Überlebendenverbänden und -institutionen zu Füßen der sechs Fackeln Kränze nieder.
Eine der ältesten Ideen innerhalb der Konzeption von Yad Vashem ist das Zusammentragen von Namen im Holocaust ermordeter Juden. In einer Veranstaltung mit dem Titel „Jeder Mensch hat einen Namen" werden in der Halle der Erinnerung die Namen von Opfern des Holocaust verlesen. Auf dem dunklen Boden der Halle sind Namen von Konzentrations- und Vernichtungslagern eingraviert, auf die Besucher zum Gedenken weiße Rosen legen.
Die symbolische Kraft, die am Yom HaShoah auf dem Berg der Erinnerung erzeugt wird, ist enorm. Doch anders als in den Jahrzehnten, die auf die Errichtung der Gedenkstätte im Jahr 1953 folgten, wird die Kultur der Erinnerung an den Holocaust heute größtenteils von Menschen geprägt, die den Holocaust nicht persönlich als Zeitzeugen erlebt haben. Die Form der Erinnerung und deren Symbolik verändern sich ständig. Die Gedenkstätte Yad Vashem auf dem Berg der Erinnerung ist ein Zeugnis dieses Prozesses, der Yom HaShoah ein Ausdruck des israelischen Zeitgeistes.