Beschreibung des Konzepts und sein Erfolg
Das Unterrichtsprojekt läuft unter dem Prinzip Lernen mit Kopf, Herz und Hand. Durch eine besondere Begegnung mit dem Zeitzeugen und Künstler Tolkatchev, der als Soldat der Roten Armee anwesend war, als die Vernichtungslager Majdanek und Auschwitz befreit wurden, spüren die Lernenden eine starke Empathie mit Tolkatchev selber. Sein Entsetzen, seine Zärtlichkeit aber auch sein Zorn kommen nicht allein durch seine Bilder, sondern auch durch Schriftzüge auf den Bildern stark zum Ausdruck.
Diese Arbeit ist eine geeignete Vorbereitung für einen Gedenkstättenbesuch.
Schrittweise werden die SchülerInnen an die Bilder und ihre Aussagen geführt, dabei lernen sie die historische Wahrheit über den Holocaust, ohne dass sie selber überfordert werden, da der emotionale Zugang vorbereitet wird.
Jugendliche werden stark motiviert, ihre Einsichten anderen Menschen zu vermitteln. So wird ein anhaltender intergenerationeller Dialog ermöglicht.
In unserem Fall trafen sich die GalerieführerInnen nach dem Workshop privat, um Flyer und Poster für die Ausstellung zu gestalten.
Eine Pressekonferenz wurde von ihnen einberufen; weitere PR-Arbeit erreichte, dass die Stadt Bünde die Kosten für den Druck des Werbematerials und die Spedition der Ausstellung von unserem Vorgänger übernahm.
Eine Filmdokumentation der Ausstellungseröffnung wurde vom Verein „International“ Bünde e.V. (eine Migrantenorganisation der Stadt) finanziert.
Mitglieder der Kirchengemeinde, die den Ausstellungsraum zur Verfügung stellte, wurden von der Tatkraft der SchülerInnen angesteckt und halfen auf vielfältiger Art und Weise mit.
So kam es, dass in 10 Tagen die Ausstellung 900 BesucherInnen hatte, mehr als die Hälfte waren SchülerInnen anderer Schulen. Die Kontakte und die Diskussionen, die dort anfingen, halten noch an.
Anmerkungen
Die Informationen über Majdanek und Auschwitz, so wie die gesamte Zusatzinformation über die Ausstellung stammt vom Katalog „Der Soldat Tolkatchev an den Toren zur Hölle“, Yad Vashem, herausgegeben von Yehudit Shendar. (von mir leicht abgewandelt, teilweise vereinfacht)
Die Quelle für die Informationen über IG Farben ist Diarmuid Jeffreys: „Weltkonzern und Kriegskartell“. Das zerstörerische Werk der IG Farben, Blessing Verlag, München 2011.
Empfehlungen
Fremdsprache als Werkzeug.......... es ist aber kein „muss“!
Es kann unter Umständen hilfreich und anregend sein, für ein Teil der Arbeit die englische Sprache anzuwenden, aber nur, wenn Sie es sich und ihrer Gruppe zutrauen. Hier müssen Sie nicht zu ehrgeizig sein! Es geht um Verständigung und nicht um grammatische Richtigkeit. Vor allem, wenn ein Wechsel in die Muttersprache zwanglos erlaubt ist, kann Kommunikation durch eine Fremdsprache die folgende wohltuende Wirkung haben: ähnlich wie bei einem Rollenspiel findet eine gewisse Distanz zu sich selber, also eine Befreiung statt, wobei die notwendige sprachliche Reduzierung (wegen fehlender Vokabel!) eine Präzisierung der Ausdrucksweise mit sich bringt. Dieser Prozess wirkt sich später auf die eigenen Texte der SchülerInnen in der Muttersprache aus. Damit Sie eine „natürliche“ Gelegenheit haben, dieses auszuprobieren, liegt dafür die englische Version der Kurztexte zu den Bildern bei.
Benötigtes Material
- DIN A4 Kopien der Bilder
- ausgeschnittene Texte zu den Bildern
- DIN A3 Papier für alle WerkstattteilnehmerInnen
- Kleber
- Karteikarten für Notizen
- Eddings
Ablauf des workshops
1. Doppelstunde
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Gruppeneinteilig folgende Aufgaben verteilen:
- Gruppe 1: Sammelt z.B in Yad Vashem Fakten über den Standort und die Funktion des Vernichtungslagers Majdanek und seine Befreiung.
- Gruppe 2: Sammelt, z.B. in Yad Vashem Fakten über den Standort und die Funktion des Vernichtungslagers Auschwitz und seine Befreiung.
- Gruppe 3: Sammelt Informationen über die Rolle der Firma IG Farben. (aus einer zuverläßigen Quelle wie: Diarmuid Jeffreys: „Weltkonzern und Kriegskartell“. Das zerstörerische Werk der IG Farben, Blessing Verlag, München 2011.)
Jede Gruppe sortiert die jeweiligen Ergebnisse und beschließt, welche den anderen Gruppenmitgliedern vorgestellt werden sollten. Die Ergebnisse bleiben als „Nachschlagewerk“ während des Projekts an der Wand hängen.
Sie finden in Appendix 1 Informationen für Sie als PädadogIn zu diesen 3 Bereichen.
2. Stunde
DER EMOTIONALE ZUGANG
Sie finden in Appendix 2 Tolkatchevs Biographie, die Sie den SchülerInnen zur Verfügung stellen sollen. Vorzugsweise sollten Sie seine Lebensgeschichte selber erzählen und danach die tabellarische Biographie zu dem Nachschlagewerk an der Wand hängen. Ein Lehrervortrag in dieser Phase hat den Vorteil, dass Sie die Reaktionen der SchülerInnen zu den verschiedenen Lebensphasen des Künstlers bemerken. Sie können Ihre „Erzählung“ entsprechend unterbrechen, um mit Ihrer Lerngruppe über die verschiedenen Lebensphasen des Künstlers und seine Gefühle und Hoffnungen nachzudenken. Insbesondere sollte man den Bruch in seinem Leben nach dem Todeslagererlebnis betonen. Die Zitate in Appendix 3 könnten hier hinzugefügt werden, um die Motivation des Künstlers, aber auch seinen Schmerz deutlich zu machen. Es soll betont werden, dass während er in den USA, Israel und Polen für seine Arbeit gefeiert wurde, wurde er von der stalinistischen Regierung verfolgt.
Zu diesem Zeitpunkt sollte man die SchülerInnen fragen, welche Erwartungen sie von den Bildern haben, welche Motive sie haben könnten.
Erst nach dieser Spekulationsphase betrachten die SchülerInnen eine Auswahl der Bilder ohne Titel. Dann folgt eine Aussprache zu etwa diesen Fragen:
- Sind die Bilder so, wie Ihr erwartet habt, oder anders?
- Könnt Ihr erkennen, welche Materialien Tolkatchev benutzt hat?
Gouache sollte zu diesem Zeitpunkt erklärt werden (als wasserlösliches Farbmittel, das aus vermahlenen Pigmenten unter Zusatz von Kreide besteht.)
3. Die Lösung zu den anderen Materialvermutungen wird erst in der nächste Stunde kommen.
Stunde
SCHWEIGENDES GESPRÄCH/ NÄHERE BETRACHTUNG DER BILDER
Als Vorbereitung haben Sie die Kopien der Bilder noch einmal ausgebreitet; auf der anderen Seite des Raumes liegen die ausgeschittenen Texte zu den Bildern.
Zunächst sollten Sie sich im Hintergrund aufhalten und die Arbeitsweise der SchülerInnen betrachten, damit Sie den Diskussionsprozess am Ende entsprechend (beg)leiten können:
Wir werden jetzt ein Schweig-gespräch führen.
Schaut Euch die Bilder von der letzten Stunde noch einmal an. Ordnet dann die passenden Texte, die dort liegen, zu den Bildern.
Wenn Ihr mit den Lösungen der Mitschüler nicht einverstanden seid, sollt Ihr nicht darüber sprechen; legt sie einfach dahin, wo sie Eurer Meinung nach besser passen.
Dieses Schweig-gespräch wird so lange dauern, bis alle mit der Lösung einverstanden sind, d.h. Es werden keine Änderungen mehr vorgenommen.
Erst dann wird in einem Plenum gesprochen. Anfängliche Uneinigkeiten können thematisiert werden. In dieser Runde werden die SchülerInnen ihre Reaktionen zu den Bildern äußern.
4. Stunde
EMPATHIE
Jede(r) wählt ein Bild, das ihn/ sie besonders anspricht.
Die Bilder mit den jetzt angehängten Texten werden ausgebreitet.
Aufgabe:
Schaut die Bilder noch einmal an. Suche ein Bild aus, das Dich besonders beeindruckt. Spricht Dich ein Bild auf einer besonderen Weise an? Vielleicht schreit es Dich sogar an. Oder flüstert es Dir etwas zu?
Wenn Du Deine Auswahl getroffen kast, klebe es zusammen mit dem vorhandenen Text auf ein DIN A3 Blatt. Jetzt kannst Du deine eigenen Gedanken, Kommentare, vielleicht sogar Fragen dazu schreiben.
Es könnte hilfreich sein, Ihren SchülerInnen für diese Aktivität einige Tipps zu geben, z.B. Wo wird Dein Auge hingezogen? Oder welche Wirkung haben die Farben? Sie sollten aber nicht versuchen an dieser Stelle die Bilder einer konventionellen Analyse zu unterziehen. Der Zugang soll eine sehr persönliche Begegnung bleiben und darf nicht zu „verschult“ werden.
Inzwischen ist eine hohe Identifikationsebene mit dem Künstler erreicht worden, so dass man darauf vertrauen kann, dass die Lernenden „durch seine Augen“ sehen können.
Während die SchülerInnen dabei sind, ihre Notizen anzufertigen, verteilen Sie einzeln die passenden Titel zu den Bildern, die Sie schon ausgeschnitten haben. Dieses gibt ihnen einen zusätzlichen Impuls und die Gelegenheit individuell Ihnen Fragen zu stellen.
Diese intensive Arbeitsphase endet mit Paarpräsentationen (pair and share) als Vorbereitung für die Präsentationen im Plenum.
5. Stunde
Alle Bilder werden dem Plenum präsentiert.
Die Schülergruppe soll ermutigt werden, nach jeder Präsentation eine konstruktive Rückmeldung zu geben. Hierdurch finden neue Anregungen untereinander statt. Falls bei Ihnen in den vorigen Stunden bezüglich der Wortwahl oder unsensibler Äußerungen Ihrer SchülerInnen Bedenken aufkamen, werden Sie jetzt feststellen, dass die Rückmeldungen des Plenums und die inzwischen gewachsene Solidarität untereinander, aber auch für Tolkatchev, einen korrigierenden Einfluss haben.
6. Stunde
DIE BEDEUTUNG DER BEFREIUNG FÜR DIE „BEFFREITEN“ UND IHRE „BEFREIER“
Sie zeigen Ihren Schülern den Ausspruch des Militärrabbiners nach der Befreiung von Dachau: „ Sie waren befreit, aber dennoch nicht frei“.
Was könnte er gemeint haben?
Die 4 Tolkatchev-Zitate in Appendix 3 werden gruppeneinteilig diskutiert. Primo Levis Worte aus dem Text über IG Farben kann auch verwendet werden.
Wie wirkten sich die Erlebnisse, die Tolkatchev in Majdanek und Auschwitz hatte, auf ihn aus?
Wie helfen uns diese Erkenntnisse das Leben der Überlebenden besser zu verstehen?
Wiederum endet diese Phase mit einem Plenum, wo einzelne GruppensprecherInnen eine Rückmeldung geben, bevor die letzte Aktivität dieses Workshops durchgeführt wird: Entwurf von Reflexionsblätter für die Besucher. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dieser Teil der Arbeit „ wie von selbst“ läuft, denn die GalerieführerInnen griffen auf die Fragen zurück, die sie selbst am meisten angeregt hatten.