Aleksander Ford wurde 1908 als Mosze Lifszyc in Lodz geboren. Nach einem wechselhaften und widersprüchlichen Leben starb er im Jahr 1980 in den USA, wo er offensichtlich Selbstmord begangen hatte. Ford war einer der Mitgründer und führenden Mitglieder von START, der polnischen Gesellschaft für die Förderung der Filmkunst, einem in den 1930er Jahren in Warschau gegründeten progressiven Kinoklub. Fords linksorientierte Kritik an der polnischen Gesellschaft und der polnischen Filmindustrie beeinflusste auch seinen ersten Spielfilm Die Legion der Straße (Legion Ulicy, Polen 1932), der die Geschichte von Kindern in Warschau erzählt, die ein Leben auf der Straße führen und sich mit dem Verkaufen von Zeitungen durchschlagen. Der dokumentarische Ansatz des Films und der Einsatz von Jugendlichen ohne vorherige Schauspielerfahrung nehmen dabei bereits zentrale Elemente des erst fünfzehn Jahre später entstehenden Neorealismus vorweg.
Filmarbeit in Palästina und Polen
1932 brach Ford nach Palästina auf, wo er dokumentarische Aufnahmen des Lebens der jüdischen Pioniere, sowie der arabischen Bauern und der Stadtbevölkerung machte. Unter anderem entstanden Filmaufnahmen des „Nebi Musa Festivals“, der ersten „Maccabiah“ im Jahre 1932 und der „Levant Fair“ im selben Jahr. Teile dieses Materials wurden später in Sabra (Palästina 1933) verwendet, einem der ersten Spielfilme, der von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinschaft im britischen Mandat Palästina hergestellt wurde. Sabra erzählt von den Problemen und Sorgen der zionistischen Pioniere, die nicht nur physisch erschöpft, sondern auch der feindseligen Neugier der Araber ausgesetzt waren. Offensichtlich wollte Ford den Film mit einer pessimistischen Botschaft voll von Hoffnungslosigkeit beenden, wurde aber vom Produzenten und den Zensoren des britischen Mandatsgebiets in Palästina überzeugt, dem Film ein positiveres Ende zu geben.
Nach seiner Rückkehr nach Polen wurde Ford angeworben, um einen Film für den amerikanischen „Bund“ zu machen, mit dem Spenden für das Medem Sanatorium gesammelt werden sollten, einer progressiven pädagogischen Einrichtung für jiddisch sprechende Kinder in Międzeszyn in der Nähe von Warschau. Das Medem Sanatorium bot Zuflucht vor der weitverbreiteten Armut der jüdischen Massen im Warschau der 20er und 30er Jahre. Der Film, eine inszenierte Dokumentation, erzählt die Geschichte einer Gemeinschaft, die auf Solidarität, jiddischer Kultur und der Selbstverwaltung von Kindern basiert. Mir Kumen On (Polen 1936), wurde Nathan Gross, einem Mitbegründer der polnischen und israelischen Filmindustrie, zufolge von den polnischen Autoritäten als „militant und gefährlich“ eingestuft und deshalb in Polen nicht gezeigt.
Exil in der Sowjetunion und Filmaufnahmen aus den Lagern
Während des Zweiten Weltkrieges floh Ford in die Sowjetunion, wo ihm Asyl gewährt wurde und er sich mit anderen linken und progressiven Filmemachern zusammenschloss, von denen viele einen jüdischen Hintergrund hatten. Sie bildeten die Filmeinheit Czołớwka innerhalb der polnischen Division, die an der Seite der Roten Armee gegen Nazideutschland kämpfte.
Aleksander Ford, Jerzy Bossak, Stanisław Wohl, und Ludwik Perski, die alle vor dem Krieg Mitglieder oder Sympathisanten von START gewesen waren, kehrten so als Offiziere mit der Roten Armee nach Polen zurück. In dieser Funktion erreichte Ford im August 1944 auch Majdanek, wo sich das Konzentrations- bzw. Vernichtungslager befand, das als erstes von der Roten Armee „befreit“ worden war, wobei die Bezeichnungen „entdeckt“ oder „aufgefunden“ angemessener wären. Dort, in Majdanek, waren bereits im Juli durch sowjetische und polnische Einheiten erste Filmaufnahmen von den Folgen der in den Todeslagern begangenen Grausamkeiten gemacht worden. Ford leitete die Montage und Fertigstellung des daraus resultierenden Films Vernichtungslager Majdanek (Majdanek—Cmentarzysko Europy,Polen/UdSSR 1944), den Filmhistoriker wie Stuart Liebman und Omer Bartov als den ersten Dokumentarfilm über den Holocaust betrachten, auch wenn er, angelehnt an die sowjetische Ideologie, die jüdische Identität der großen Mehrheit der Insassen des Konzentrationslagers komplett ignoriert.
Neuanfang in Polen
Die Filmemacher des Czołớwka wurden zur neuen Elite der Filmindustrie im Nachkriegspolen, die sie halfen mit aufzubauen. Aleksander Ford wurde der erste Generaldirektor der staatlichen Filmproduktion „Film Polski“, die alle Abläufe der nun verstaatlichten Filmindustrie kontrollierte: Produktion, Vertrieb und Auswertung der Filme in den Kinos. In dieser Position wurde Alexander Ford von einigen als ein mit eiserner Hand leitender Direktor beschrieben. Anscheinend als Folge von Machtkämpfen, vielleicht aber auch aufgrund von Antisemitismus wurde Ford 1947 abgesetzt und seine organisatorischen „Fehltritte“, sowie seine „ideologische und künstlerische Negativität“ von seinem Nachfolger öffentlich angeprangert. Bevor Ford aus seinem Amt entlassen wurde und trotz des bedrückenden politischen Klimas, hatte er mit den Goskind Brüdern zusammen arbeiten können, „(...) um eine Kooperation für die Produktion von Filmen in jiddischer Sprache und zu jüdischen Themen zu erwirken.“ Ford, der dem Unterfangen eigentlich skeptisch gegenüber stand, stimmte letztlich zu, alle für die Produktion und Vermarktung der Filme wichtigen Dienste zur Verfügung zu stellen und außerdem ein professionelles Team zu bilden, das als „Kinor“, eine jiddische Abkürzung für „Kino-organizacja“ und außerdem ein Wortspiel mit dem hebräischen Wort „kinor“ („Violine“) bekannt wurde. Shaul Goskind hatte es ferner geschafft, eine Finanzierung der „Kinor Filmproduktion“ vom JDC (Joint Distribution Commmittee) zu erhalten.
Vielleicht hatte Ford auch persönliche Gründe das Projekt zu unterstützen: „Kinor“ produzierte Dokumentarfilme über die Zerstörung jüdischen Lebens in Polen, sowie über die Versuche von Überlebenden, in Polen jüdisches Leben wieder zu beleben. Der bekannteste der „Kinor“ Filme ist Mir Lebengebliebene (Polen 1947), der unter der Leitung von Nathan Gross und Shaul Goskind entstand. Mir Lebengebliebene wurde von der Zensur verboten, was auf Fords Unterstützung von „Kinor“ zurückgeführt wurde.
„Die Grenzstraße“
Ford begann daraufhin mit seinem, wahrscheinlich für ihn selbst genauso wie für die Filmgeschichte von Polen und des Holocaust, bedeutendsten Projekt Grenzstraße (Ulica Graniczna, Polen 1949), dem ersten Spielfilm über den Aufstand im Warschauer Ghetto. Berichten zufolge wurde der Film größtenteils in den Barrandov Studios in Prag aufgenommen, da es nicht möglich war, eine Kriegsgeschichte in den Ruinen des früheren Ghettos zu drehen.
In den Filmen Grenzstraße, Legion der Straße und Mir Kumen On sind Kinder die Hauptcharaktere. Grenzstraße erzählt von polnisch-jüdischen Beziehungen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Warschauer Ghettos, sowie während des Aufstandes selbst und lenkt dabei die Aufmerksamkeit besonders auf die komplexen Identitäten der Hauptfiguren, denen es schließlich gelingt, psychologische Hindernisse genauso wie die physischen Grenzen von Warschau zu überwinden. Der Held des Films ist Dawidek, ein jüdischer Jugendlicher, der sich als mutiger Kämpfer erweist. Am Ende des Films verlässt Dawidek seine nicht-jüdischen Freunde und kehrt mit anderen jüdischen Mitgliedern des Untergrunds wieder ins Ghetto zurück, obwohl er seine Freunde auch auf die „arische“ Seite der Stadt hätte begleiten können. Dawidek wird als unsterblich inszeniert und symbolisiert damit vielleicht auch die Ewigkeit des jüdischen Volkes, auch wenn der Film mit dem universellen Wunsch nach jüdisch-polnischer Solidarität endet, einer Botschaft, die sich durch den gesamten Film zu ziehen scheint.
Es ist schwer einzuschätzen, wie stark Ford die polnisch-jüdische Solidarität hervorheben wollte. Dem Filmhistoriker Marek Haltof zufolge lag der Fokus von Fords Originaldrehbuch deutlicher auf den antijüdischen Feindseligkeiten von Polen und Polinnen. Doch der Druck auf Ford war so groß, dass er das Skript überarbeitete und die „Solidarität zwischen Juden und Polen über die Mauer hinweg“ stärker betonte. Trotzdem erregte Grenzstraße viel Widerspruch in der Öffentlichkeit, da das jüdische Heldentum beim Aufstand im Warschauer Ghetto von 1943 im Vordergrund stand, und nicht der polnische Aufstand von 1944.
Realsozialistische Filmarbeit
In den folgenden Jahren vernachlässigte Ford jüdische Themen und konzentrierte sich stärker auf Stoffe, die sich mit dem Dogma des Realsozialismus thematisch in Einklang befanden. Auf diese Weise konnte er auch als Chef eines der größten der von „Film Polski“ in den 50er Jahren gegründeten Studios an die Spitze der polnischen Filmindustrie zurückkehren.
Einer seiner bekanntesten Filme dieser Zeit ist Die Fünf aus der Barskastraße (Piątka z ulicy Barskiej, Polen 1954), in dem er abermals den Blick auf die Jugend richtete. In diesem Werk geht es um eine Bande jugendlicher Krimineller und den schwierigen Prozess ihrer Wiedereingliederung und Resozialisierung. Das Thema jugendlicher Kriminalität wurde bis dahin in polnischen Filmen kaum behandelt und war daher, obwohl seine Darstellung realsozialistischen Vorgaben entsprach, eine gewagte Wahl. Ford suchte sich Andrzej Wajda als Regieassistent aus und so wurde Die Fünf aus der Barskastraße der erste Film des später berühmten polnischen Regisseurs. 1954 wurde Ford für Die Fünf aus der Barskastraße mit dem Regie-Preis in Cannes ausgezeichnet.
Fords Filme blieben auch weiterhin von seinem inneren Konflikt bestimmt zwischen dem Wunsch nach intellektueller und künstlerischer Freiheit einerseits und der Notwendigkeit, sich einem ideologischen Konformismus zu unterwerfen andererseits. Polnische Autoritäten verboten zum Zeitpunkt der Entstehung die Veröffentlichung seines Films Der achte Wochentag (Ósmy dzien tygodnia, Polen/BRD 1958) in Polen, wo er erst 1983 gezeigt werden konnte. Im Westen war der Film schon in den späten 50er Jahren ausgestrahlt worden. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Paares, das aufgrund der Wohnraumknappheit nirgendwo alleine sein kann. In Polen lehnte man das pessimistische Bild vom Alltag im kommunistischen Polen ab, obwohl es durch den Einsatz von schwarzem Humor etwas gemildert wurde. Trotz des „Skandals“, den Der achte Wochentag ausgelöst hatte, harrte Ford in Polen aus und wurde mit seinem finanziell stark geförderten Film Die Kreuzritter (Krzyżacy, Polen 1960), einem Blockbuster, der auf dem historischen Sieg der polnischen und litauischen Armeen gegen die Kreuzritter der Teutonen im Jahre 1410 basiert, ein letztes Mal in den „nationalen Konsens“ einbezogen. Die Anspielung auf polnische Selbstaufopferung im Kampf gegen die Nazis war in dem Film offensichtlich. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Die Kreuzritter einer der einflussreichsten Filme in der polnischen Filmgeschichte wurde. Ein polnischer Kritiker nannte den Film einen „Heiler der Nation in vielen Farben“, nicht nur wegen seines Subtextes, sondern auch, weil es sich um den ersten polnische Film im Farbverfahren Eastman-Color handelte, der auf die Leinwand projiziert wurde.
Ford hätte sich nach dem rauschenden Erfolg von Die Kreuzritter auf seinen Lorbeeren ausruhen oder zumindest weiterhin die neuesten technischen Entwicklungen ausnutzen können, um die Öffentlichkeit passend zum Zeitgeist mit Vorstellungen von nationaler Pracht und Herrlichkeit zu beruhigen. Damit hätte er sich auch die Anerkennung des Regimes sichern können. Aber die historischen und politischen Entwicklungen im Zusammenspiel mit Fords widersprüchlicher Persönlichkeit führten in eine gänzlich andere Richtung. Die virulente antisemitische Kampagne von 1968, die die meisten der noch in Polen lebenden Juden und Jüdinnen (um die 30.000) aus dem Land vertrieb, obwohl der Großteil von ihnen loyale Kommunisten waren, zwang auch die intellektuelle und künstlerische Elite zur Emigration. Von dieser Entwicklung war auch Aleksander Ford betroffen.
„Sie sind frei, Dr. Korczak“
Ein Jahr bevor er sein Heimatland für immer verlassen sollte, hatte Ford zusammen mit Artur Brauner, einem bekannten deutsch-jüdischen Filmproduzenten und Holocaustüberlebenden, noch die Arbeit an einem neuen Film begonnen. Der Film sollte die Lebensgeschichte des berühmten und bewunderten polnisch-jüdischen Pädagogen Janusz Korczak nachzeichnen, der ein einzigartiges Waisenheim für jüdische Kinder in Warschau geleitet hatte. Als das gezwungenermaßen im Warschauer Ghetto wieder eröffnete Heim von den Nazis geschlossen und die Kinder nach Treblinka deportiert wurden, entschied sich Korczak, seine Schützlinge in die Gaskammern zu begleiten, obgleich er die Möglichkeit zur Flucht gehabt hätte.
Warum hatte sich Ford dazu entschieden, diesen Film gerade in einer Zeit zunehmender Repression und wachsendem Antisemitismus zu machen? Zum einen setzte Ford damit seine filmische Auseinandersetzung mit der Kreativität und Heldenhaftigkeit und dem Einfallsreichtum von Kindern in widrigen Umständen fort. Vielleicht fühlte er auch eine Art Verwandtschaft zu Korczak, dem assimilierten polnischen Juden und Idealisten, dem Vorkämpfer der Kinderrechte, der sich selbst für seine Ideale und für seine Kinder aufopferte. Was auch immer die Gründe waren, das Projekt stieß auf großen Widerstand des Regimes, so dass das Originaldrehbuch abgelehnt wurde. Die Notizen zum Projekttreffen, die im Archiv der „Filmoteka Narodowa“ gefunden wurden, zeigen, dass die Verantwortlichen der Studiofilmabteilung den Fokus auf jüdisches Leiden „problematisch“ fanden. Korczak wurde als ein „Defätist“ wahrgenommen, weil er sich von linken politischen Aktivitäten abgewendet hatte. Gleichzeitig würden die jüdischen Kämpfer im Warschauer Ghetto vermeintlich zu stark und „zu Lasten Korczaks“ dargestellt. Gegenüber seinen Kritikern argumentierte Ford, man könne den Film dazu verwenden, um „dem israelischem Nationalismus“ anlässlich des 25. Todestages von Korczak „einen Schlag zu versetzen“. Dieser Kommentar ist nicht nur verstörend, sondern auch unklar. Was auch immer Ford damit gemeint hat, Tadeusz Zaorski, der damalige Kulturminister, lag richtig, als er das Treffen zur Überarbeitung des Drehbuchs mit den Worten zusammenfasste, Ford werde einen Film machen, der den „Voraussetzungen unseres Kinos“ entsprechen werde. Ford war abermals gewillt, sich den Parteivorgaben zu unterwerfen, um seine filmische Botschaft zu verbreiten – vielleicht auch einfach, um zu überleben. Tragischerweise war es dann gerade die „antizionistische“ Kampagne, die Ford ins Exil zwang. Ironischerweise wurde Fords Korczak Film letztendlich als westdeutsch-israelische Koproduktion realisiert, nachdem Ford aus Polen emigriert war. Der Film Sie sind frei, Doktor Korczak (Korczak ve'Hayeladim, Israel/BRD 1973/74) kam 1974 in die Kinos und war damit Aleksander Fords letzter Film.
Perspektive der Kinder
Seit den 1930er Jahren hatte Ford in seinen Filmen Kinder auf eine moralisch verantwortungsbewusste, mutige und freigeistige Art und Weise portraitiert. Eine solche Konzentration auf die Sicht von Kindern war in jener Zeit nicht verbreitet, insbesondere nicht in den Ländern des Ostblocks. Doch Ford hatte galant seine Perspektive in den meisten seiner Filme durchscheinen lassen, von Die Legion der Straße aus dem Jahr 1932 bis zu Sie sind frei, Doktor Korczak im Jahr 1974. Entsprechend dieser Perspektive verteidigte Ford damals, schon während des bereits erwähnten Treffens zur Überarbeitung des Drehbuchs, Janusz Korczak, und damit auch sich selbst, mit den Worten: „Die Erwachsenenwelt ist eine Welt, von der sich ein ehrlicher Mensch und Humanist trennen muss.“
Mimi Ash ist Mitarbeiterin des Yad Vashem Visual Centers und dort für die Filmerschließung zuständig und als Kuratorin tätig. Sie hat als Beraterin auch an der Produktion von über hundert Kurzfilmen für die Dauerausstellung der Gedenkstätte Yad Vashem teilgenommen. Davor hat sie an zahlreichen Dokumentarfilmproduktionen mitgearbeitet und dabei insbesondere die Recherchen von historischem Archivmaterial durchgeführt und koordiniert. Sie ist Absolventin der Hebrew University Jerusalem und der Brandeis University in Boston.
Übersetzung aus dem Englischen: Randi Becker und Deborah Hartmann.