Philipp Möcklinghoff
In seiner Arbeit „Mehr als bloß Dienstleister“ widmet sich der Historiker Johannes Beermann der Mitwirkung von Bremer Spediteuren und Gerichtsvollziehern am „ökonomischen Tod“ der Juden Bremens und darüber hinaus. Jener „ökonomische Tod“ geht einher mit dem sozialen, wurden Juden doch durch die Beschlagnahmung und „Verwertung“ ihres Besitzes zunächst ihrer gesellschaftlichen Existenz beraubt, ehe die Nationalsozialisten und ihre Helfer sie ermordeten.
Beermanns Fokus auf die lokalen Akteure dieser Vorstufen des „konsequentesten Massenraubmordes der modernen Geschichte“ gründet auf einer Kritik an der bisherigen Forschung zum Thema: Sie fokussiere zu sehr auf die formalen, behördlichen Vorgänge und verliere somit aus dem Blick, wie sehr die Verflechtungen im Kleinen mit der NS-Ideologie, hier von Spediteuren und Gerichtsvollziehern, maßgeblich zur Effektivität des Raubes von jüdischem Eigentum beigetragen hatten.
Die Rechtfertigungen, die in den Entnazifizierungsprogrammen vorgetragen wurden, blieben auch auf wissenschaftlichem Gebiet meist unwidersprochen. Mit dem Verweis auf drohende Strafen bei Nichtbeachtung der nationalsozialistischen Judenpolitik stellten sie sich als bloße Befehlsausführer dar, die nicht anders konnten und somit von jeglicher Verantwortung frei zu sprechen seien. Mit seiner ausgesprochen detaillierten Spurensuche belehrt uns Beermann eines Besseren.
Der Autor orientiert sich in seiner Untersuchung an der Chronologie des Nationalsozialismus und unterteilt seine Studie in verschiedene historische Abschnitte. Ausgangspunkt ist die nach den 20er Jahren prekäre wirtschaftliche Situation des viele konkurrierende Betriebe zählenden Transportgewerbes, sowie die arbeitsreiche und doch wenig lukrative Tätigkeit der Bremer Gerichtsvollzieher. Geradezu eilfertig reagierten beide Bereiche auf die Rahmenbedingungen, die durch die Machtübernahme des NS und die darauf folgenden „Judengesetze“ verändert waren: Als sich „volksdeutsche“ Speditionsbetriebe selbstständig gleichschalteten und aufgrund der jüdischen Ausreisewellen deutliche Profite einstrichen, verloren sie in Folge der „Arisierungen“ auch noch zunehmend an jüdischer Konkurrenz. Die Gerichtsvollzieher profitierten ihrerseits von großzügigen Handlungsspielräumen beim Umgang mit jüdischen Schuldnern, als „Volksschädlinge“ verunglimpft, und etablierten alsbald ein eigenständiges Auktionssystem für beschlagnahmte jüdische Besitztümer. Beermann zeigt durch seine beeindruckende Auswertung von Geschäftsakten, Briefwechseln, Werbematerialien und behördlichen Anordnungen, wie sich ein wechselseitiges Beziehungsgeflecht zwischen Spediteuren und Gerichtsvollziehern auf der ausführenden Ebene, und teils hochrangigen Angehörigen der Bremer Verwaltung und Gestapo herausbildete. Als sich beispielsweise die Berufsvereinigung der Auktionäre gegen die eigenmächtige Monopolisierung der „Verwertung“ des Raubgutes durch die Gerichtsvollzieher beschwerte, konnten diese auf ihre etablierten Beziehungen zählen und weiterhin allein ihren Geschäften mit Raubgut nachgehen. Fälle von Milde gegenüber den ehemaligen Besitzern, die aufgrund besagter Handlungsspielräume definitiv vorhanden waren, sind in Bremen nicht zu verzeichnen, hält Beermann fest.
So war es tatsächlich dieses wildwüchsige System aus Speditionen, Gerichtsvollziehern, Finanzdirektion und Gestapo, das den eher vagen institutionellen Rahmen der Enteignungen effektiv ausgestaltete und gleichzeitig dessen formal-rechtlichen Charakter suggerierte: „Die Eigeninitiative (...) entpuppte sich so bald als der entscheidende Ordnungsfaktor des gesamten Verfahrens.“
Im weiteren Verlauf der Arbeit zeigt er, wie dieses eingespielte System aus „Begünstigung und Selbstermächtigung“ sein volles Potential entfaltete, als schließlich 1941 die Deportationen begannen und zu den Umzugsgütern der geflohenen Juden die Besitzstände der bis dahin noch im Reich verbliebenen hinzukamen. Gleiches gilt für die sogenannte „M-Aktion“, also der Überführung von Raubgut aus den besetzten Westgebieten in reichsdeutsches Gebiet.
Jene Verfahren waren überdies lukrativ für alle Beteiligten: Während Spediteure und Gerichtsvollzieher Rekordeinnahmen verbuchten, profitierten die NS-Institutionen von deren bereitwilligen Mitgestaltung des Massenraubmordes. Die Bearbeitung der immensen Staatsaufträge kommt also einer Subventionierung der volksdeutschen Güterwirtschaft gleich. Ohne sie wäre das Unterfangen der Enteignungen und Versteigerungen, also des Auslöschens jeder Erinnerung an die Existenz der anschließend verschleppten Opfer nicht möglich gewesen. Beermann kommt deshalb zum völlig richtigen Schluss, dass es sich bei den Spediteuren und Vollstreckungsbeamten Bremens mitnichten um bloße Dienstleister, sondern um integrale Bestandteile und gestalterische Faktoren im „ökonomischen“, wie „sozialen Tod“ der europäischen Juden handelte.
Seine Arbeit ist ein wichtiger Beitrag und lesenswert für auf ähnlichen Gebieten Forschenden. Auch für Lehrende, die sich in ihrem Unterricht zur Shoah auf Lokalgeschichte beziehen möchten, ist der Text sehr zu empfehlen.
Philipp Möcklinghoff ist Student der Politikwissenschaften und absolviert derzeit ein Praktikum am German Desk der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem.
Johannes Beermann: Mehr als bloß Dienstleister. Die Mitwirkung von Spediteuren und Gerichtsvollziehern an der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der europäischen Juden am Beispiel der Freien Hansestadt Bremen zwischen 1938 und 1945, in: Balcar Jaromír (Hg.): Raub von Amts wegen. Zur Rolle von Verwaltung, Wirtschaft und Öffentlichkeit bei der Enteignung und Entschädigung der Juden in Bremen, Edition Temmen, Bremen 2014.