Sonntag bis Donnerstag: 9.00-17.00 Uhr Freitags und an den Abenden vor einem Feiertag: 9.00-14.00 Uhr
Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
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Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
Dr. Ulrich Hermanns
Dingden – ein kleiner Ort rund 15 Kilometer nördlich von Wesel, nahe der niederländischen Grenze. Gerade mal 6.700 Einwohner zählt die frühere westfälische Gemeinde, die seit 1975 ein Ortsteil der Stadt Hamminkeln ist, und damit nun zum Rheinland gehört. Im Ortskern steht ein unscheinbares, niedriges Haus, direkt neben dem liebevoll gepflegten Heimathaus. Was aber ist so besonders an diesem Gebäude, dass Förderer wie der Landschaftsverband Rheinland, die NRW-Stiftung, die Essener Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und weitere Zustifter sich dazu entschlossen haben, die Restaurierung des Hauses und eine Ausstellung zu fördern? Es handelt sich um das ehemalige Wohnhaus der jüdischen Familie Humberg, die dort bis 1941 wohnte. Inmitten der Dorfgemeinschaft, geachtet und beliebt, mit einer Metzgerei und einem Manufakturladenwaren. Armut ist bekanntlich der beste Denkmalpfleger – und so haben sich viele authentische Details aus der Wohn- und Nutzungsgeschichte des Hauses und der Familie Humberg erhalten, so dass es als eines der wichtigsten Zeugnisse jüdischen Lebens auf dem Lande in Nordrhein-Westfalen gelten kann.
Die Familie und ihre Geschäfte waren fester Bestandteil des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens Dingdens. Das am 8. Juni 2012 eröffnete, nach seinen Bewohnern benannte „Humberghaus“ tritt bewusst nun mit der „Geschichte einer deutschen Familie“ an die Öffentlichkeit, und erzählt in erster Linie vom Anteil der Familie am Leben der dörflichen Gemeinschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Einer Gemeinschaft, in der religiöse Konflikte überwiegend zwischen der katholischen Mehrheit und der evangelischen Minderheit ausgetragen wurden, nicht aber zwischen den christlichen und jüdischen Dorfbewohnern. Die Humbergs hatten einen weitverzweigten jüdischen Familien- und Freundeskreis, besuchten die Synagoge im nahen Bocholt – und lebten ansonsten als Gleiche unter Gleichen in der Dorfgemeinschaft, anerkannt ob ihres Fleißes und ihres bescheidenen, aber sicheren Wohlstands.
Die Lage änderte sich, als zu Beginn der 1930er Jahre die nationalsozialistische Propaganda den latent vorhandenen Antisemitismus in Deutschland schürte. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten1933 begann die systematische Diskriminierung, Verfolgung und schließlich millionenfache Ermordung der Juden. Auch die Humbergs blieben von der einsetzenden Verfolgung nicht verschont. Ein Teil der Geschwister und ihrer Familien wanderte nach Kanada aus, andere wurden ermordet. Davon erzählt der zweite Teil der Ausstellung in den Räumlichkeiten des Obergeschosses.
Fast vergessen waren das Schicksal der Familie und die Geschichte des Hauses, da dieses nach 1945 von anderen Mietern bezogen wurde und die Erinnerung an die vertriebenen Nachbarn wie an tausenden anderen Orten in Deutschland auch verdrängt wurde. Doch die Mitglieder des überaus engagierten Heimatvereins in Dingden wussten um die Bewohner des Hauses, das direkt an ihr Nachbarhaus grenzte. In über 12 Jahren akribischer Recherchearbeit arbeiteten sie die Schicksale der Familienmitglieder und die Geschichte des jüdischen Lebens in Dingden auf. Durch familiäre Umstände erhielten sie schließlich die Möglichkeit, das Haus zu erwerben und begannen, es Instand zu setzen – ursprünglich sollte es als Erweiterung für die heimatgeschichtlichen Ausstellungen dienen. Doch bei den Restaurierungen kamen mehr und mehr verschüttete Details der Hausgeschichte zu Tage, bis hin zur Aufdeckung einer Mikwe. Diese hatten sich die Humbergs in ihrem Haus angelegt, da die Mikwe in der Bocholter Synagoge nicht mehr zur Verfügung stand und die Ausübung des Metzgerberufes eine besondere Sorgfalt und Einhaltung der rituellen Waschungen erforderte. Diese Mikwe gehört zu den wenig erhaltenen privaten Mikwaot und stellt in ihrer Existenz eine bemerkenswerte Besonderheit dar.
In vielen Stunden des ehrenamtlichen Engagements, finanziell unterstützt durch die Förderer und beraten durch die Denkmalpflege, wurde Schicht für Schicht aufgedeckt. Es wurde entschieden, das Haus, in dem Zustand von 1941 zu belassen bzw. zu rekonstruieren und die Geschichte des Hauses und seiner Bewohner zum Thema zu machen.
Dabei sollte kein Museum gegründet werden, sondern ein lebendiger Geschichtsort entstehen, der die Erinnerung an seine Bewohner, ihr Leben im Haus und in der Dorfgemeinschaft ins Zentrum rückt und zugleich ihre Schicksale und ihre Todesumstände nachvollziehen lässt. Die Aufarbeitung lässt Gedenken, Trauer und Mahnung ebenso zu, wie eine in die Zukunft gerichtete, positiv gestimmte Annäherung an jüdisches Leben und Kultur an diesem Ort. Dem Heimatverein gelang es, Kontakt mit den Nachfahren der Familie Humberg in Kanada aufzunehmen und diese in die Erinnerungsarbeit einzubeziehen. Es meldeten sich auch mehrere Zeitzeugen, die sich an ihre früheren Nachbarn erinnerten. Gemeinsam mit dem Konzept- und Planungsbüro von Dr. Ulrich Hermanns aus Münster entwickelte der Heimatverein ein Vermittlungskonzept, das die Lebens- und Hausgeschichte und die umfangreiche Recherche- und Vernetzungsarbeit des Heimatsvereins sensibel präsentiert. Seit der Eröffnung am 8. Juni 2012 haben bereits viele hundert Besucher das Haus besucht.
Das Haus selbst ist eng mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Dingden verbunden. Um 1700 von Jacob Niehaus errichtet, zog 1820 Simon Cohen, der erste jüdische Bewohner Dingdens dort ein. 1837 brannte das Gebäude nieder. Simon Cohen begann daraufhin mit dem Wiederaufbau, doch noch vor Fertigstellung des Hauses musste es zwangsverkauft werden. Ab 1840 bewohnte es die Familie von David Plaat, später sein Bruder Philipp Plaat und dessen Frau Aleida. Nach dem Tod ihres Mannes nahm dann Aleida Plaat ihre Nichte, Rosalia Landau, bei sich auf, die 1882 Abraham Humberg aus dem nahe liegenden Klein-Reken heiratete. Gemeinsam übernahmen sie die Metzgerei und den Manufakturladen ihrer Verwandten. Dem Paar wurden neun Kinder geboren, von denen sieben – vier Söhne und drei Töchter – überlebten: Johanna, Leopold, Siegmund, Frieda, Helene, Ernst und Wilhelm. Die Kinder wurden, wie später auch die Enkelkinder, ganz in der jüdischen Tradition erzogen. Aber das religiöse Bekenntnis grenzt sie nicht aus der dörflichen Gemeinschaft aus. Sie sprechen denselben Dialekt wie ihre Nachbarn, teilen Freud und Leid mit ihnen. Abraham gehörte zu den Gründern der Freiwilligen Feuerwehr in Dingden und der Molkerei-Genossenschaft. Als er 81-jährig im August 1932 starb, wurde er, der am Krieg 1870/71 teilgenommen hatte, im Beisein der vollständig erschienenen Mitglieder des Kriegervereins auf dem Friedhof der Israelitischen Gemeinde Bocholt mit allen Ehren beigesetzt. Seine vier Söhne Leopold, Siegmund, Ernst und Wilhelm, die beruflich in die Fußstapfen des Vaters getreten waren, hatten als Soldaten am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Jeder für sich ein gläubiger Jude und überzeugter deutscher Patriot.
Zum Zeitpunkt der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 waren fast alle Kinder der Familie Humberg aus dem elterlichen Haus ausgezogen. Nur der älteste Sohn Leopold wohnte dort noch mit seiner Mutter Rosalia. 1937 starb auch sie und wurde an der Seite ihres Mannes in Bocholt begraben. Bei den Novemberpogromen im folgenden Jahr wird das Wohnhaus von lokalen SA-Männern verwüstet. Siegmund, Frieda und Ernst gelingt mit ihren Familien 1939 im letzten Moment die Auswanderung über die Niederlande nach Kanada, wo ihre Nachkommen bis heute leben. Johanna, Leopold, Helene und Wilhelm werden in den Ghettos und Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ermordet. Zusammen mit ihnen starben die Schwiegertochter Rosette Menko, der Schwiegersohn Abraham Frank und vier Enkelkinder: Siegfried Frank (32), Margot (14), Vera (10) und Jakob (8) Humberg.
Das Haus in Dingden wurde zunächst durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt. Nach dem Krieg verkauften die ausgewanderten Humbergs das elterliche Haus dann an ihren ehemaligen Nachbarn.
Mord und Exil hatten jedoch nahezu alle Spuren verwischt, die die Familie Humberg in Dingden hinterlassen hatte, hätte sich der Heimatverein nicht ein halbes Jahrhundert später der Geschichte des Hauses seiner früheren Bewohner angenommen. Zwischen 2001 und 2010 wurden umfangreiche Sanierungsmaßnahmen durchgeführt. Dabei kamen zahlreiche Zeugnisse des jüdischen Lebens in Dingden zu Tage: Das Lesesteinpflaster des Vorgängerbaus mit den Initialen „J N“, das an der Erbauer Jakob Niehaus erinnert; eine Malzdarre für das Bierbrauen, die wahrscheinlich dem ersten jüdischen Bewohner des Dorfes, Simon Cohen, gehörte; und die bereits angesprochene Privatmikwe. Auch ehemalige Farbfassungen und Wandornamente konnten durch die Renovierung sichtbar gemacht werden. Es entstand ein Geschichtsort, der sensibel die noch vorhandenen Spuren offen legen und kontextualisieren soll.
Die Ausstellungskonzeption und -gestaltung entwirft eine zurückhaltende Inszenierung der Räume. Sie platziert behutsam die überlieferten Gegenstände, Möbel, Dokumente und Fotografien in die Räume und ergänzt sie mit Ausstellungsmöbeln, wie etwa zierlichen Kästchen, die Erinnerungsstücke mit den Biographien der Familienmitglieder verknüpfen – angelehnt an die typischen Sammelkästchen, die wohl jeder Zuhause hat, und in denen Memorabilien an Familie, Freunde und die eigene Biographie gesammelt werden.
Auf ausführliche Texttafeln wurde verzichtet, um den authentischen Raumcharakter zu erhalten. Ein li-pod-Guide führt die Besucher durch die Räume und macht sie mit den Biographien der Familie vertraut. Zeitzeugen, Mitglieder des Heimatvereins, Experten und Nachfahren der Familie Humberg schildern anschaulich Leben und Alltag im Humberghaus.
Im Erdgeschoss kann man dieses alltägliche Leben innerhalb der Dorfgemeinschaft bis 1933 nachvollziehen. Die Räume im Obergeschoss erinnern daran, wie sich das Dorfleben während der nationalsozialistischen Zeit änderte, wie ein Teil der Familie nach Kanada emigrieren konnte, während vier Mitglieder mit ihren Familien in der Shoah umgebracht wurden.
Die Ausstellung schlägt eine Brücke in die Gegenwart, indem sie die Geschichte des Hauses nach 1945 dokumentiert und die in Kanada lebenden Nachfahren der Familie Humberg einbezieht.
Die Ausstellung ist durchgängig zweisprachig, Deutsch und Niederländisch, eine englische Version ist das nächste Ziel des Heimatvereins.
Die lange Liste der Förderer zeigt das breite Interesse an dem Projekt. Zur Umsetzung der Ausstellung und multimedialer Führung trugen der Landesverband Rheinland, die NRW-Stiftung, die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die Bezirksregierung Düsseldorf, die Sparkassen Kulturstiftung Rheinland, die Verband Sparkasse Wesel, das Museumsnetzwerk Niederrhein, das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein Westfalen und die Stadt Hamminkeln bei.
An der feierlichen Eröffnung nahmen die Dingdener Bevölkerung, ehemalige Bekannte der Familie Humberg, aber auch die Nachfahren der Familie Humberg aus Kanada: Ruth Muscovitch, die Tochter von Ernst Humberg, ihre Tochter Susan, sowie Marvin und Leonard Terhoch, Urenkel von Rosalia und Abraham Humberg.
Die Eröffnung des Humberghauses ist nicht nur die Frucht des langjährigen Einsatzes und der intensiven Recherchearbeit, sie stellt auch eine weitere Etappe in der Erforschung jüdischen Lebens in Deutschland und in der Entwicklung eines breiten Netzwerkes dar. Der Geschichtsort Humberghaus in Dingden ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Geschichte immer wieder neu gesucht und sichtbar gemacht werden kann.
Der Autor entwickelte mit dem Heimatverein Dingden e.V. und seinem interdisziplinären Team aus Wissenschaftlern, Architekten, Grafikern und Mediendesignern die Konzeption und Umsetzung. Der Kurator und Ausstellungsgestalter lebt und arbeitet in Münster; sein Büro entwickelt innovative Ausstellungs- und Museumskonzepte; 2007 gewann es den Wettbewerb für eine Installation zum Gedenken an die ermordeten jüdischen Bürger in Eichwalde / Brandenburg.
Weitere Infos und Projekte: www.ulrich-hermanns.de
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