Sonntag bis Donnerstag: 9.00-17.00 Uhr Freitags und an den Abenden vor einem Feiertag: 9.00-14.00 Uhr
Yad Vashem ist an Samstagen und jüdischen Feiertagen geschlossen.
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Dr. Uri R. Kaufmann
Die gesamte Schweizer Bevölkerung empfand den 8. Mai 1945 als Befreiung vom schweren Druck von der Umzingelung durch nationalsozialistische und faschistische Kräfte. Dies galt insbesondere für die in der Schweiz lebenden Juden. Dankgebete wurden in den Synagogen rezitiert, 25.000 jüdische Flüchtlinge konnten in der Schweiz überleben, 21.000 eingesessene Juden lebten hier schon vor 1933 und blieben dadurch von der nationalsozialistischen „Endlösung“ verschont. Es gab aber auch über hunderttausend christliche Zivil- und Militärflüchtlinge, die nach Hause zurückkehren wollten. Die Familien der jüdischen Flüchtlinge dagegen waren ermordet, ihr Besitz arisiert und die Wohnungen beschlagnahmt worden: Sie hatten also zumeist keinen Ort, an den sie zurückkehren konnten und wollten und lebten 1945 noch in Internierungslagern, wo sie Sümpfe entwässert und Straßen gebaut hatten, um „produktiv“ sein. Dennoch übte die Eidgenössische Fremdenpolizei unter Dr. Heinrich Rothmund massiven Druck auf die jüdischen Flüchtlinge aus und setzte diese unter Druck, in ihre Heimatländer zurückzukehren oder nach Palästina auszuwandern. Über die Flüchtlingspolitik entspannte sich schon früh eine öffentliche Debatte, die in der Abfassung eines amtlichen Berichtes von Carl Ludwig 1953-1957 mündete. Der zuständige Bundesrat, Rudolf von Steiger, zeigte sich von der Kritik völlig unberührt. Aus einer christlich-ethisch motivierten Haltung heraus, verfasste 1967 der Journalist Alfred Häsler dagegen ein kritisches Buch über die Schweizer Flüchtlingspolitik („Das Boot ist voll“), welches stark rezipiert wurde.
Demographischer WandelDie altetablierten (westeuropäischen) jüdischen Familien prägten auch nach 1945 die Politik in den Vorständen der jüdischen Gemeinden und im 1904 gegründeten Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG). Georges Brunschvig, dessen langjähriger Präsident (1946-1973), war Hauptmann in der Schweizer Armee und genoss hohes Prestige als jüdischer Repräsentant. Noch 1945 waren die jüdischen Gemeinden westlich von Basel und Bern von alten Elsässer Familien bestimmt. In Zürich, Luzern und St. Gallen standen vor allem Endinger, badische oder Vorarlberger jüdische Familien den Gemeinden vor. Die Gegensätze zwischen West- und Ostjuden schliffen sich allmählich ab. Der gemeinsame Religionsunterricht einte und es gab immer mehr „gemischte“ Ehen. Von den 1960er Jahren an, kamen die Kinder der jüdischen Einwanderer aus Osteuropa in Führungspositionen. So etwa Sigi Feigel, langjähriger Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ, 1972-1987), dessen Familie aus Russland stammte.
Die Zahl der Juden in der Schweiz pendelte zwischen 1950 und 2010 immer zwischen 18.000 und 20.000. Zentrum blieb die Agglomeration Zürich mit rund sechstausend jüdischen Einwohnern, gefolgt von Genf mit 4500. Es kam zu kleineren Zuwanderungen im Rahmen der Fluchtwellen aus Ungarn (1956) und der Tschechoslowakei (1968). Auch aus Ägypten wanderten nach 1956 und aus dem Maghreb in den 1960er Jahren Juden zu, vor allem in die Region Genf-Lausanne. Diese glichen das durch Überalterung bedingte demographische Defizit aus.
Die Schweizer Juden sind heute eine städtische, gut gebildete und in der Mehrheit relativ gut situierte Gruppe. Während Juden bis in die 1960er Jahren stark im Textilhandel tätig waren, ältere Personen im Vieh- und Pferdehandel, verloren diese traditionellen Domänen in den 1970er Jahren an Bedeutung. Der Angestellte mit hoher Berufsqualifikation wurde wichtiger, als der selbständige Kaufmann. Im Verhältnis zu ihrer Gesamtzahl wanderten viele aus zionistischen Gründen nach Israel aus. Die Rate der gemischten Ehen nahm bis 1979 auf über 50 Prozent zu; Interessanterweise aber auch die Mitgliedschaft in den jüdischen Gemeinden. Diese waren bis 1973 keine Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern Vereine und mussten ihre Mitglieder daher selber werben.
Anlässlich der Schweizer Landesausstellung „Expo“ in Lausanne 1964 durfte sich die jüdische Gemeinschaft beteiligen. Allerdings baten die Veranstalter darum, die Geschichte nicht anzusprechen. Man fürchtete sich vermutlich vor einer kritischen Darstellung der Schweizer Flüchtlingspolitik vor 1945. So entschloss sich der Schweiz. Isr. Gemeindebund (SIG) die Gunst der Stunde zu nutzen und legte das Jahr 1966 als Jubiläumsjahr von 100 Jahren Emanzipation in der Schweiz fest. Bundesrat Rudolf Gnägi und der bekannte Historiker Jean Rodolphe von Salis gaben dem Anlass Glanz. Allerdings war die Verleihung von Ortsbürgerrechten an die alteingesessenen Juden der beiden aargauischen „Judendörfer“ von Endingen und Lengnau erst 1879 erfolgt, was tatsächlich den Abschluss der Emanzipation bedeutet hatte.
Für die Juden in der Schweiz war die Gründung des Staates Israel 1948 ein zentrales Ereignis. In der Schweizer Bevölkerung insgesamt herrschte große Sympathie für die Aufbauarbeit des jungen Staates. Christen und Juden spendeten (und spenden auch heute) für das Kinderdorf Kiryat Yearim in der Nähe von Abu Gosch. Christlich-jüdische Arbeitsgemeinschaften entstanden und viele Christen wurden sich mehr und mehr des Antijudaismus ihrer Traditionen bewusst. 1967 gab es eine weitere ungeheure Sympathiewelle nach dem für Israel siegreichen Sechstage-Krieg, die auch die Stimmung bezüglich der Juden beeinflusste. Viele christliche Volontäre verbrachten danach Aufenthalte in Kibbuzim. Nach 1973 ebbte die Sympathie allmählich ab. Innerhalb der jüdischen Gemeinden führte eine kritische Sicht auf den Libanonkrieg 1982 zu einer gewissen Distanzierung von der israelischen Regierungspolitik, wodurch auch innerjüdische Konflikte erwuchsen. Die Kritischen Juden Schweiz (KJS) und die Neue Jüdische Vereinigung (NJV) wurden beispielsweise aufgrund ihrer kritischen Haltung als „Nestbeschmutzer“ von etablierten jüdischen Notabeln angegriffen. Hinzu kommt heute eine wachsende kulturelle Entfremdung zwischen Israelis und Schweizer Juden, da in Israel von 1948 bis heute Generationen heranwuchsen, deren Sozialisierung durch Kriege geprägt war und ist und die die deutsche Kultur und Sprache kaum kennen. Heute muss die Schweizer Berichterstattung über Israel als sehr kritisch bezeichnet werden. Dadurch werden auch antiisraelische Emotionen geschürt, die sich auch in Übergriffen auf Juden äußern. In gewissen Quartieren von Zürich oder Genf ist es daher heute nicht ratsam, eine gehäkelte Kippa zu tragen.
Seit 1945 kam es auch zu einer religiösen Differenzierung. Die Orthodoxie baute nach der Schoah in der Schweiz eigene Institutionen auf: Da die Jeschiwot Polens und Litauens zerstört worden waren, wurde in Zürich 1952 eine Talmudhochschule gegründet. Orthodoxe jüdische Primarschulen entstanden danach in Zürich und Basel. Diese traditionalistische Auffassung wurde durch die Gründung liberaler Gemeinden parallelisiert, wodurch sich die innerjüdische Polarisierung verstärkte. Nach Differenzen über die Überlassung von Räumen und die mögliche Anstellung eines liberalen Rabbiners spaltet sich die große Israelitische Cultusgemeinde von Zürich. 1978 entstand daher dort die Jüdische Liberale Gemeinde Or Chadasch. Darauf gründeten in Genf jüdische Familien aus den USA 1981 ebenfalls eine unabhängige Liberale Gemeinde. Von den USA aus kamen in den 1980er Jahren ausserdem die Lubawitscher Chassidim, eine mystisch orientierte Gruppe, die inzwischen an mehreren Orten in der Schweiz vertreten ist. Auch die New Age Bewegung fand Anhänger in der Region Basel („Ofek“, „Migwan“). Die 1979 gegründete modern-orthodoxe jüdische Schule Noam in Zürich zog jüdische Familien aus kleineren Orten an. So gibt es in Zürich und Genf heute je fünf jüdische Gemeinden und weitere kleinere Betgemeinschaften.
1994/95 fiel das Licht der Weltöffentlichkeit auf die Schweiz, weil von den USA aus Schweizer Banken der Vorwurf gemacht wurde, sich am Vermögen ermordeter Juden bereichert und deren Nachkommen bei der Rückerstattung große Schwierigkeiten bereitet zu haben. Die Wogen der Empörung in der Schweiz wogten hoch. Oft war in rechtskonservativen Zeitungen der Schweiz von „Kreisen der amerikanischen Ostküste“ die Rede, ein antisemitisch konnotiertes Codewort für den angeblichen Einfluss der Juden. Rolf Bloch (Bern, Präsident des SIG 1992-2000) und Sigi Feigel (Zürich) vermittelten erfolgreich. Sie prägten die Devise: „Gerechtigkeit für die Opfer, Fairness für die Schweiz“. Die Kontroverse führte neben der Gründung eines Fonds für Schoah-Opfer zu einer historisch-kritischen Aufarbeitung des Verhaltens der Schweizer Bevölkerung zwischen 1933 und 1945 durch die „Unabhängige Expertenkommission – Zweiter Weltkrieg“. Schließlich wurden 2002 über zehntausend Seiten Forschungsergebnisse publiziert.
Juden waren und sind heute vermehrt in städtischen politischen Ämtern anzutreffen. Eine jüdische Gewerkschafterin, Ruth Dreifuss aus Genf, wurde im März 1993 sogar zum ersten jüdischen Mitglied des Schweizer Bundesrates, der Regierung, gewählt. 1994 wurde gegen den starken Widerstand rechtsbürgerlicher Kreise in einem Anti-Rassismus-Gesetz die Leugnung der Schoah unter Strafe gestellt. Die jüdischen Gemeinden erhielten nach 1973 einen öffentlichen Rechtsstatus, allen voran die Israelitische Gemeinde Basel 1973, in den 1990er Jahren folgten Fribourg, Lausanne, St. Gallen, Bern/Biel, am Schluss (2005) zwei Gemeinden in Zürich: Der Weg zur Anerkennung war vollzogen, wenn es auch lange gedauert hatte.
Der erfolgreiche Weg in die Mitte der Gesellschaft, sozialer Aufstieg und eine neue Vielfalt prägen heute das jüdische Leben in der Schweiz. Auswirkungen haben aber auch die Überalterung und die Konzentration auf zwei große Agglomerationen Zürich und Genf/Lausanne. Einige Kleingemeinden sind deshalb eingegangen (Avenches, Bremgarten, Solothurn, Delémont), andere sind gefährdet (St. Gallen, Baden, Luzern). Parallel geplante kostspielige Projekte mussten daher zusammengeführt werden, so die zwei koscheren Restaurants in Zürich oder 2001 die beiden deutschsprachigen Periodika Jüdische Rundschau Maccabi (Basel) und Israelitisches Wochenblatt für die Schweiz (Zürich) im neuen „tachles“ (www.tachles.ch). Die geschrumpfte jüdische Gemeinschaft in Basel kann nur mit großer Mühe gleichzeitig zwei jüdische Primarschulen aufrechterhalten. Wie viele Kinder aus gemischt-konfessionellen oder „nur“ jüdischen Ehen sich für ihr Judentum in all seiner Vielfalt interessieren und einsetzen werden, wird sich zeigen. Diese Probleme müssen bei einem Blick auf jüdisches Leben in der Schweiz nach 1945 mitbedacht werden.
Dr. Uri R. Kaufmann: Geb. in der Schweiz; Studium an der Hebräischen Universität in Jerusalem 1977-1983 (B.A., M.A.), Promotion an der Universität Zürich 1987, Lehrtätigkeit als wiss. Mitarbeiter für jüdische Geschichte an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, danach u.a. Konzeptentwickler für das Stadtmuseum Schwäbisch Hall und die Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin (2000/2001), seit 1. September 2011 Leiter der Alten Synagoge Essen – Haus jüdischer Kultur.
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