„Diese heldenhaften Mädchen, Chajke und Frumke, sind ein Thema, das die Feder eines großen Schriftstellers erfordert. Wagemutig reisen sie zwischen den Städten Polens hin und her. […] Nichts kann sie abhalten. Nichts schreckt sie ab. […] Wie oft haben sie dem Tod in die Augen geschaut? Wie oft hat man sie festgenommen und durchsucht? [...] Die Geschichte der jüdischen Frau wird ein glorreiches Kapitel in der jüdischen Geschichte im gegenwärtigen Krieg darstellen. Und die Chajkes und Frumkes werden die Hauptfiguren in dieser Geschichte sein. Denn diese Mädchen sind unermüdlich.“
- Emmanuel Ringelblum 1942
Entgegen Ringelblums Vorhersage standen „die Chajkes und Frumkes" bisher nicht im Rampenlicht. Die weiblichen Kuriere waren junge Frauen, die während des Holocaust Einsätze für den jüdischen Widerstand im von Deutschland besetzten Osteuropa unternahmen. Um diesen jungen Heldinnen Tribut zu zollen, wollen wir hier einige von Ihnen vorstellen.
Als die deutschen Besatzer die polnischen Juden zwangen, sich in Ghettos anzusiedeln, trennten sie diese damit nicht nur von ihren christlichen Nachbarn, sondern schnitten sie auch von anderen Juden ab. Die Ghettomauern sollten die Juden von Nachrichten, Informationen und Hilfsgütern isolieren, die ihnen hätten helfen können, zu überleben.
Völlig abgeschottet von der Außenwelt, konnten die jüdischen Jugendbewegungen und andere Organisationen ihre Kontakte zu Mitstreitern in anderen Städten nicht aufrechterhalten. Es gab keine Möglichkeit zu wissen, was außerhalb des Ghettos vor sich ging.
Die Juden mussten einen Weg finden, die Außenwelt zu erreichen und miteinander zu kommunizieren. Aus dieser Not heraus wurde das Kuriersystem geboren.
Unter Verwendung falscher Papiere, um ihre jüdische Identität zu verbergen, schmuggelten die Kuriere geheime Dokumente, Waffen, Untergrundzeitungen, Geld, Medikamente, Nachrichten über die aktuellen Aktivitäten der Deutschen, gefälschte Personalausweise und sogar Personen in polnische, litauische und russische Ghettos bzw. aus ihnen heraus. Ihre Aufgaben erforderten ungeheuren Mut, schnellen Verstand und starke Nerven. Durch das Risiko der Entdeckung waren sie ständiger Todesgefahr ausgesetzt.
„Du konntest dein Jüdischsein auf tausend kleine Weisen offenbaren; jede ängstliche Bewegung; jeder Schritt bei einem vom Joch der Sklaverei gebeugten Rücken; jeder Blick, aus dem die Angst eines gejagten Tieres sprach; die gesamte Gestalt, das Gesicht, auf dem das Ghetto seine unauslöschlichen Spuren hinterlassen hatte.
Du warst nichts weiter als ein Jude, nicht nur wegen der Farbe deiner Augen, Haare, Haut, der Form deiner Nase, der vielen verräterischen Merkmale deiner Rasse. Du warst einfach und unverkennbar Jude, weil es dir an Selbstsicherheit fehlte, wegen deiner Ausdrucksweise, deines Verhaltens und Gott weiß, was noch. Du warst schlicht und auffällig ein Jude, weil alle außerhalb des Ghettos darauf aus waren, dein Jüdischsein aufzudecken, all jene Menschen, die dir Schaden zufügen wollten und die den Gedanken nicht ertragen konnten, dass du den Tod überlisten könntest. Bei jedem Schritt, den du tatest, schauten sie dir direkt in die Augen - frech, misstrauisch, herausfordernd - bis du völlig verwirrt wurdest, rot wie eine Rübe, deine Augen senktest - und dich damit unbestreitbar als Jude erwiesest.“
- Gusta Dawidson Draenger, „Justynas Tagebuch“
Als Kuriere wurden in erster Linie Frauen ausgewählt. Dies hatte mehrere Gründe:
In erster Linie konnten jüdische Männer aufgrund ihres Beschnittenseins leicht als solche identifiziert werden. Außerdem erweckten Männer, die während der Arbeitszeit auf der Straße unterwegs waren, Misstrauen. Für Frauen war es viel einfacher, Einkäufe oder ein Treffen mit Freundinnen als Grund vorzuschieben.
Oft fiel es Frauen leichter, sich unbemerkt unter die polnische Bevölkerung zu mischen. Während es hilfreich war, blondes Haar und blaue Augen zu haben, erforderte das unerkannte Auftreten unter der lokalen Bevölkerung jedoch viel mehr als dies. Es ging um das gesamte Erscheinungsbild, einschließlich der Kleidung, der Gestik und des Verhaltens. Viele jüdische Mädchen in Polen besuchten staatliche Schulen, während die Jungen meist im traditionellen Cheder religiös unterwiesen wurden. Die Mädchen sprachen daher fließend Polnisch, ohne Akzent oder typisch jüdische Wendungen, die sie verraten hätten, und fühlten sich auf der polnischen Straße wohler.
Als mit dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion die systematische Vernichtung der Juden begann, wurde die Rolle der weiblichen Kuriere noch wichtiger. Sie verbreiteten Informationen über die Massenerschießungen und ermöglichten der jüdischen Führung in anderen, selbst weit entfernten Orten, die Puzzleteile zusammenzufügen und zu erkennen, dass die Deutschen nicht nur an vereinzelten Orten Juden umbrachten, sondern die Ermordung sämtlicher Juden Europas planten.