Die Geschichte einer jüdischen Schule in Königsberg
Die gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden und die antisemitische Atmosphäre an deutschen Schulen in den ersten Jahren des Nazi-Regimes führten zu einer erhöhten Nachfrage nach rein jüdischen Schulen, auch in Königsberg. 1934 wurde Dr. David Kaelter die Aufgabe zur Einrichtung einer jüdischen Schule übertragen. Er war der Meinung, man müsse den Kindern gerade in Zeiten des wachsenden Judenhasses ein Gefühl des Stolzes und des Zusammenhalts vermitteln, um ihnen zu helfen, den schwierigen Alltag zu meistern. Als die Schule 1935 eröffnet wurde, hatte sie 82 Schüler. In einem Schulalbum aus dem Nachlass Dr. Kaelters findet sich eine von Schülern vorgenommene Aufstellung der wachsenden Schüler- und Lehrerzahlen: in den ersten eineinhalb Jahren hatte sich die Schülerzahl mehr als verdoppelt.
Auch wenn der Zuwachs das Resultat der gesellschaftlichen Ausgrenzung der Juden war, schaffte es Kaelter, den Kindern ein „fast normales Leben" zu schaffen. Er organisierte Ausflüge und Aufführungen, die nicht nur von den Schülern und deren Familien aufgesucht wurden, sondern auch von anderen Juden der Gemeinde. In einer Zeit zunehmender Einschränkungen ermöglichte die Schule der gesamten jüdischen Gemeinde kulturelle Aktivitäten, Ausflüge in die Umgebung und an den Ostseestrand. Jeden Freitag versammelten sich die Schüler zur Sabbatstunde, der auch die Eltern beiwohnten, sangen Lieder und lasen Geschichten.
Doch dieses „fast normale Leben" fand mit dem Novemberpogrom ein abruptes Ende. In seinem Zeugenbericht beschreibt Dr. Kaelter die Geschehnisse dieser Nacht:
„In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 wurden wir gegen Mitternacht durch grossen Lärm auf der Strasse und in der anliegenden Synagoge aus dem Schlaf geweckt. Wir sahen durch die Fenster, wie der Nazipöbel in die Synagoge drang, die Thorarollen aus dem Schrank riss, die Synagoge systematisch zerstörte und schließlich anzündete. Danach überfiel der Pöbel – unter der Führung von SS-Leuten – das jüdische Waisenhaus und trieb die Kinder auf die Straße.“
In den Tagen nach dem Pogrom wurde eine Reihe von Gesetzen erlassen, zu denen u.a. der endgültige Ausschluss der jüdischen Schüler aus dem deutschen Schulsystem gehörte. Die meisten jüdischen Organisationen in Deutschland mussten geschlossen werden. Juden durften keine öffentlichen Veranstaltungen mehr besuchen, Handel, Handwerk und Gewerbe waren ihnen verboten. Des weiteren wurde ihnen eine „Sühneleistung" in Höhe von einer Milliarde Reichsmark für die Schäden des Pogroms auferlegt. Die Juden, die es nicht schafften, Deutschland zu verlassen, verarmten fast völlig.
Dr. Kaelter und die Lehrer der Schule wurden nach der Pogromnacht verhaftet, jedoch aus Kostengründen zehn Tage darauf wieder entlassen. Wie viele andere Juden, beschloss auch Schuldirektor Kaelter, das Land zu verlassen und nach Eretz Israel zu emigrieren. Zwar wurde der Unterricht an der Schule wieder aufgenommen, jedoch operierte sie unter zunehmenden Schwierigkeiten.
Ende 1942 wurden die letzten Kinder der jüdischen Schule von Königsberg nach Theresienstadt deportiert.