Arbeiten Sie auch während Covid-19 weiter oder wurde das Deportationsprojekt vorläufig eingestellt?
Wir arbeiten auch während Corona. Das Projekt wurde zu keinem Zeitpunkt eingestellt, musste aber schon etliche Hürden nehmen und flexibel auf die jeweilige Entwicklung reagieren. Das Team forscht mit viel Engagement und Erfindungsreichtum weiter. Einen Tag vor dem Shutdown haben wir noch schnell Bücher und Unterlagen aus dem Büro nach Hause gebracht, dort dann auf Nachfrage gescannt und im Team verteilt. Unser Zugang zu den Yad Vashem Datenbanken war sehr eingeschränkt und wer immer Zugang hatte, hat benötigtes Material im Team verteilt. Überhaupt ist die Zusammenarbeit ganz toll. Wir haben uns schnell auf Teams und Zoom umgestellt, um uns wöchentlich weiter treffen zu können. Unsere Texte wurden weiter zur Übersetzung und zum Editing geschickt. Es ist ja unklar, wie sich dieser Virus weiter entwickelt, aber im Moment gehe ich davon aus, dass wir trotz dieser Einschränkungen auch in diesem Jahr neu erforschte Deportationen unserer online Datenbank hinzufügen werden.
Wie ist das Projekt zugänglich für die Öffentlichkeit?
Unsere Forschungsergebnisse, die Beschreibungen der einzelnen Deportationen, sind frei zugänglich auf unserer Website von Yad Vashem, in Form einer mehrsprachigen Datenbank – Englisch, Hebräisch und Deutsch. Das online Format der Datenbank lässt es zu, immer wieder Veränderungen vorzunehmen. Unsere Webseite verfügt über mehrere Suchoptionen mit allgemeinen, geographischen und zeitlichen Suchfunktionen. Gesucht werden kann entlang der Deportations-Länder, Transportdaten, nach Abfahrts- und Ankunftsort, sowie nach Namen von Deportierten. Die Option der allgemeinen Suche erlaubt zudem eine Freitextsuche. Unsere Texte auf der Webseite verweisen auf Fotografien, Zeugenaussagen, Filme, Archivmaterialien und Literatur. Die von uns gezeigten Karten sind Rekonstruktionen der Transportstrecken. Unser Projekt lässt sich also ganz gut in den Bereich der „Digital Humanities“ einordnen. Die Transportbeschreibungen auf unserer Webseite sind verlinkt mit biographischen Details aus der Bibliothek und mit Materialien aus dem Archiv von Yad Vashem, soweit möglich auch mit Dokumenten aus anderen Archiven. Unsere Webseite ist mit Yad Vashems Datenbank der Namen der Holocaustopfer verlinkt. All diese Links geben Forschenden, sofern gestattet, Zugriff auf Scans von Originaldokumenten, weiterführende Informationen und zusätzliche Dokumente, die wir mit unserem Projekt sozusagen zum Sprechen bringen.
In der Yad Vashem Internetabteilung versuchen wir ein möglichst breites Publikum mit unterschiedlichen Hintergründen in der ganzen Welt zu erreichen, in dem wir beispielsweise die Deportationen eines bestimmten Tages veröffentlichen oder Transporte mit Besonderheiten, wie z.B. die Deportationen nur einer einzigen Person. Gibt es ein bestimmtes Publikum, das Sie versuchen mit Ihrem Projekt anzusprechen? Worin denken Sie liegt die Wichtigkeit des Projekts?
Das Projekt der Deportationen verfolgt drei Ziele:
- Wir möchten den genauen Ablauf der Deportationen rekonstruieren.
- Wir möchten aufzeigen, wer an den Deportationen beteiligt war und dabei auch weniger bekannte Nazis nennen
- Wir fragen nach den Opfern: Wie haben sie die Deportation erlebt, und welche persönlichen Lebensläufe verbergen sich hinter den Deportationslisten?
Dabei spricht unser Projekt ein breites Publikum an und versteht sich als Portal für Forschende, für Familienangehörige und andere Interessierte. Unsere Online-Datenbank eignet sich beispielsweise prima für die pädagogische Arbeit, weil nach Details der jeweiligen Deportationen von verschiedenen jüdischen Gemeinden in ganz unterschiedlichen Städten und Ländern gesucht werden kann. Wir regen zum Nachfragen an: Was ist in meiner Stadt passiert? War das Sammellager in einer der Schulen eingerichtet? Von welchem Bahnhof fuhren die Deportationszüge ab? Wo hatte die örtliche Gestapo ihre Räume? Welche Juden und Jüdinnen haben in meiner Stadt gelebt, bevor sie „nach Osten“ deportiert wurden – vor aller Augen? Die Deportationen waren nicht lediglich ein technisches Mittel zur Umsetzung der „Endlösung“, um Jüdinnen und Juden von A nach B zu befördern. Wir verstehen die Deportationen als ein modernes Phänomen: Deportation bedeutete die arbeitsteilige Erfassung der Deportierten, unter Mitarbeit von Stellen wie dem Auswärtigen Amt oder dem Finanzamt. Personen werden in Zahlen verwandelt, in Nummern auf den Transportlisten. Die Deportationen stehen exemplarisch für den Versuch, den europäischen Juden ihr Menschsein abzusprechen. Als Forschungsprojekt von Yad Vashem verstehen wir uns auch als aktives Gedenkzeichen und möchten dazu beitragen, den deportierten Männern, Frauen und Kindern Namen, Gesicht und Stimme zu geben.
Dieser Blog wird großzügig unterstützt von der Konrad-Adenauer-Stiftung