Liebe Leserinnen und Leser,
herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe unseres deutschsprachigen E-Newsletters, der sich dieses Mal mit der Bedeutung des Holocaust für die Zweite Generation beschäftigt.
Nachdem wir uns vor einem Jahr dem „Leben nach dem Überleben“ und damit dem Vermächtnis der Überlebenden zugewendet haben, möchten wir dieses Mal den Kindern der Überlebenden die Möglichkeit geben, über ihre Erfahrungen und die Spuren zu sprechen, die die NS-Vergangenheit in ihrem (Familien-) Leben hinterlassen haben. Auch wenn die Überlebenden oft nicht öffentlich über ihre Erfahrungen sprechen konnten und vor allem gegenüber ihren eigenen Kindern die Verletzungen und Traumata zu verbergen suchten, war doch auch deren Leben von den Erinnerungen ihrer Eltern an den Holocaust gezeichnet. In ihren Beiträgen berichten sie von ihrem Leben und vom Alltag in ihren Familien. Sie verdeutlichen die Auswirkungen der Traumatisierungen ihrer Eltern, die sich in kleinen Alltagssituationen äußerten, sich aber auch auf das Selbstverständnis ihrer Kinder auswirkten.Sie betonen aber auch die große Bedeutung, die die Weitergabe der Erinnerung an die Shoah auch für sie selbst, als Kinder von Überlebenden, hat.
Der Psychoanalytiker Kurt Grünberg beleuchtet in seinem Beitrag die Spätfolgen und transgenerationellen Wirkungen des Holocaust. Am Beispiel seiner eigenen Familiengeschichte lässt Grünberg die Leserinnen und Leser am Szenischen Erinnern der Shoah teilhaben, in dem sich Spuren vergangener Erfahrungen und gegenwärtiger Erinnerungskonstellationen zeigen.
Der israelisch-belgische Karrikaturist Michel Kichka hat die Beziehung zu seinem Vater, einem Überlebenden des Holocaust, zum Thema eines Comic-Buches gemacht. Im Interview mit Anna Stocker erzählt er von seiner Familiengeschichte und beschreibt, wie er die Perspektive der Zweiten Generation künstlerisch bearbeitet hat. Alon Less und die Autorin Bettina Stangneth sprechen über Avner Werner Less, der Adolf Eichmann im Vorfeld seines Prozesses verhörte. Im Zentrum des Gesprächs steht nicht nur die Lebensgeschichte von Avner Werner Less und seiner Frau Vera, sondern vor allem die Frage, wie sich deren Erfahrungen der Flucht aus und der Wiederbegegnung mit Deutschland auch auf den Lebensweg und das Selbstverständnis ihres Sohnes ausgewirkt haben. Dabei wird auch deutlich, dass nicht nur das Trauma, sondern auch etwas vom Erbe der verlorenen Heimat in der Diaspora an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wurde. Wie sich aber das Judentum in Deutschland nach der Shoah entwickelte, und wie stark die Erfahrung der Shoah die Identität von in Deutschland lebenden Juden bis heute prägt, ist Gegenstand des Beitrags von Awi Blumenfeld, der darin aber auch nach den positiven Werten des Judentums jenseits der Erinnerung an den Holocaust fragt.
Wir hoffen, dass wird mit diesem Fokus auf die Wahrnehmung des Holocaust und seiner Folgen aus der Perspektive der Zweiten Generation einen weiteren Beitrag zum Verständnis des historischen Geschehens und seines Weiterlebens leisten können. Die Erfahrungen der Kinder von Überlebenden zeigen, dass dieses Kapitel noch lange nicht abgeschlossen ist und, dass auch die Spätfolgen der Verbrechen in unsere (pädagogische) Bearbeitung des Themas einbezogen werden sollten. In Form von Filmen, Büchern, den für diesen Newsletter verfassten Beiträgen oder Michel Kichkas kürzlich auch auf Deutsch erschienenem Comic „Zweite Generation - Was ich meinem Vater nie gesagt habe“ (Egmond Verlag) liegen bereits einige Lebensberichte von Angehörigen der Zweiten Generation vor, die sich auch als Grundlage für die Bearbeitung des Themas im Unterricht und der Weiterbildung eignen.
Neben den thematischen Beiträgen zum Umgang der Zweiten Generation mit den Erinnerungen an den Holocaust enthält auch dieser E-Newsletter wieder Informationen und Hintergründe zu neuen Aktivitäten in Yad Vashem.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.
Herzlich,
Ihre Deborah Hartmann
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