Was bleibt?
2012, zwei Jahre vor seinem Tod, übergibt Elieser Roberg Yad Vashem eine Reihe alter Familienfotos und eine Mesusa – eine Schriftkapsel, die verschiedene Zitate aus der Torah enthält und nach jüdischer Tradition am Türpfosten befestigt wird.
Die Mesusa erzählt die traurige Geschichte der Familie Roberg aus dem niedersächsischen Diepholz zur Zeit der Naziherrschaft. Auf Umwegen gelangt sie viele Jahre nach dem Krieg in Eliesers Besitz: Als die Nazis in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 das Haus der Familie verwüsten, macht sich ein Nachbar der Robergs auf die Suche nach Wertgegenständen. Er findet eine Mesusa und nimmt sie zur Verwahrung mit. Jahre später übergibt er sie einem jüdischen Besucher der Stadt Diepholz, der sie zu Elieser nach Israel bringt.
Wie für viele jüdische Familien in Deutschland stellten die Ereignisse des Novemberpogroms auch für die Robergs einen Wendepunkt dar: Elieser, der in der Pogromnacht im Dienst einer Bäckerei in Hannover Brötchen austrug, konnte der Verhaftung durch die Nazis entgehen, musste aber mit ansehen, wie die Synagoge in Flammen aufging und jüdische Geschäfte zertrümmert wurden. Sein Bruder Heinz, der am jüdischen Lehrerkolleg in Würzburg studierte, wurde verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau gebracht, kurz darauf aber wieder entlassen. Beide Brüder kehrten zu Mutter und Großvater nach Diepholz zurück.
Heinz, der in der zionistischen Jugendbewegung in Deutschland aktiv war, verhalf seinem Bruder Elieser zu einem Platz in einem landwirtschaftlichen Ausbildungslager zur Vorbereitung auf das Leben in Palästina.
Als der 19-jährige Günther (später Elieser) Roberg 1939 von seiner Familie Abschied nahm, erwartete er, sie kurze Zeit später wiederzusehen. Der ältere Bruder Heinz, seine Mutter und sein Großvater hatten vor, ihm kurz später in das unter Völkerbundsmandat stehende Palästina zu folgen. Er ahnte nicht, dass es ein Abschied auf immer war.
Nach einer langen, dramatischen Reise erreichte Elieser am 1. November 1940 den Hafen von Haifa. Um die illegale Einwanderung jüdischer Flüchtlinge zu verhindern, hatten die Briten den Truppentransporter „Patria“ bereitgestellt, der die Neuankömmlinge zur Internierung in einem Gefangenenlager nach Mauritius bringen sollte. Angehörige der zionistischen paramilitärischen Untergrundorganisation „Haganah“ versuchten, die Abfahrt der „Patria“ zu verhindern, indem sie an Bord des Schiffes einen Sprengsatz zündeten. Der Versuch schlug fehl: über 250 Flüchtlinge, darunter Freunde Eliesers, verloren ihr Leben. Ihm selbst gelang es, ans Ufer zu schwimmen.
Der junge Mann ließ sich in der landwirtschaftlichen Kollektivsiedlung („Kibbuz“) Tirat Zwi im Mandatsgebiet nieder, später siedelte er in den Kibbuz Be’erot Zwi in der Negev-Wüste um. Das letzte Lebenszeichen von seiner Familie erhielt Elieser im November 1941 in Form eines Telegramms, aus dem er erfuhr, dass seine Mutter ins Warschauer Ghetto deportiert worden war. Nach der Liquidierung des Ghettos verstand er, dass er seine Familie nie wieder sehen würde. In den folgenden Jahren quälten ihn Einsamkeit und Trauer über den Verlust. 1950 heiratete Elieser schließlich Miriam, mit der er zwei Kinder hatte.