Ein beschwerlicher Weg
Ist Samuel Baks retrospektive Ausstellung ein Blick auf die Odyssee des Künstlers vom Ghetto Wilna zu den grünen Gipfeln von Ponary, die die Last der schrecklichen Erfahrungen während des Holocaust in sich trägt?
Ist Samuel Baks retrospektive Ausstellung ein Blick auf die Odyssee des Künstlers vom Ghetto Wilna zu den grünen Gipfeln von Ponary, die die Last der schrecklichen Erfahrungen während des Holocaust in sich trägt? Oder wurde sie von der Last selber angetrieben? Das ist keine einfache Frage, denn man begegnet einer empfindlichen Anordnung von miteinander verbundenen Gefäßen, deren stabilisierende Flüssigkeit die Summe des Lebens und der Werke des Künstlers ist. Sie finden Ausdruck in jedem seiner Werke, jeweils in ihrem eigenen einzigartigen Gleichgewicht. Die Lebensreise und die Bürde sind miteinander verknüpft, manchmal unter abstrakten Schichten und anonymer Farbe verborgen, manchmal zwischen amorphen Formen und manchmal als scharfes, klares und gewandtes Manifest an die Oberfläche tretend.
Die Vermischung einer Odyssee mit einer Bürde ist nicht einzigartig für den Künstler Samuel Bak. Das Paradigma der Geschichten von Überlebenden, die sich auf eine Lebensreise begeben, nachdem sie bereits dem Tod mit allen seinen Schrecken begegnet waren, und die Last, die sie tragen, ist somit zugleich persönlich und kollektiv – die Geschichte der europäischen Juden während des Holocaust. Wie andere Überlebende, hüllte sich auch Bak zunächst in den Mantel des Schweigens, und versuchte nach seiner Einwanderung nach Israel 1948, sich eine israelische Identität zu formen. Sein Lebensweg führte ihn durch Länder und Kontinente. Allmählich legte er den Mantel des Schweigens ab, fühlte, dass er die Bürde nicht länger in sich verschlossen halten konnte. Somit begann eine Odyssee ganz anderer Art – in die Tiefen seiner eigenen Identität, die in einer direkten Konfrontation mit der Bürde selber und der Realisierung gipfelte, dass sie Teil seines Selbst ist und daher zur Essenz seiner Kunst werden musste.
Betrachter, die an der sechs Jahrzehnte dauernden Odyssee von Samuel Baks Werken, wie sie in dieser Ausstellung präsentiert werden, teilnehmen, sehen sich einem facettenreichen Erlebnis gegenüber: Ein Zusammentreffen mit einem Künstler, der sich direkt mit der grundlegenden Frage des „Wie?”, die der Sprache der Kunst zu Grunde liegt, beschäftigt – mit einem Künstler, der mit sich selbst das Abstrakte und das Bildliche sowie das Dazwischenliegende diskutiert. Seine unterschiedlichen stilistischen Perioden enthüllen einen Künstler, der einerseits die Fähigkeit besitzt, feine Bleistiftzeichnungen im klassischen Stil und andererseits dicke, geschichtete Pasticcio-Öl-Pinselstriche auf großen Leinwänden zu produzieren. Jede Periode enthüllt ein wenig – gibt eine konfigurative Antwort über die Odyssee des Künstlers inmitten eines Meeres von ausdrucksvollen, artistischen Möglichkeiten – doch verbirgt sie doppelt so viel von der inneren Bürde – bis zu jenem krititschen Augenblick, an dem der künstlerische Ausdruck und die innere Wahrheit sich treffen. Die Odyssee und die Bürde werden zu einer Identität verschmolzen, die paradigmatisch sein mag, jedoch einzigartig und persönlich ist – der beschwerliche Weg von Samuel Bak, der sechzig Jahre Kreativität umspannt.
Yehudit Shendar
Leitende Kunstkuratorin