Bielefeld, Westfalen, Deutschland
Die jüdische Gemeinde in Bielefeld
Seit 1345 waren in Bielefeld Juden ansässig. Während der „Pestpogrome“ zur Zeit des Schwarzen Todes (1348-50) wurde die Gemeinde vertrieben. Dank der Verleihung eines Schutzbriefes durch den Grafen von Ravensberg, Wilhem von Jülich, siedelten sich ab 1370 erneut Juden an. Auseinandersetzungen über Zollangelegenheiten verhinderten das Anwachsen der Gemeinde, und 1430 bestand in Bielefeld keine jüdische Bevölkerung mehr. Im 16. Jahrhundert gab es wieder eine jüdische Präsenz in Bielefeld, und innerhalb kurzer Zeit wurde eine dauerhafte Gemeinde gegründet. Mitte des 17. Jahrhunderts wurde ein jüdischer Friedhof eingerichtet, und gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde Bielefeld Sitz des Bezirksrabbinats. Eine Synagoge und eine Mikwe wurden gebaut. Entgegen dem Widerstand vor Ort erneuerte der Kurfürst von Brandenburg die Schutzbriefe für die Gemeinde. Lokale Repressionen führten zu einer Einschränkung des jüdischen Handels. Dennoch nahmen die Juden aktiven Anteil am kommerziellen Leben der Stadt, besonders im Bereich des sich schnell entwickelnden Tuchhandels. Ab Beginn des 18. Jahrhunderts gelangten jüdische Händler aus Bielefeld bis Pommern, Magdeburg und Hessen.
Im 19. Jahrhundert wuchs die jüdische Bevölkerung in Bielefeld auf das Siebenfache an und erreichte eine Anzahl von 653 Personen gegenüber einer Gesamtbevölkerung von 63.000. Die jüdischen Händler waren weiterhin sehr erfolgreich. Die meisten Juden gehörten dem Mittelstand und der Oberschicht an. Fast alle Brotverdiener der Gemeinde waren im Handel tätig. Bielefelder Juden gründeten Textilfabriken, und zahlreiche Frauen waren an den Familienbetrieben beteiligt. 1825 wurde in Bielefeld eine jüdische Grundschule mit einigen Dutzend Schülern eröffnet. Am Ende des Jahrhunderts gingen etwa zwei Drittel der jüdischen Kinder nach Abschluss der Grundschule auf weiterführende Schulen.
Die Juden waren aktiv im öffentlichen Leben der Stadt. Mehrere Juden saßen im Stadtrat. Die meisten Mitglieder der Gemeinde waren liberal in ihren religiösen Ansichten. Die Bar Mitzwa-Zeremonie wurde im Stil einer Konfirmation auf Deutsch abgehalten. In der Synagoge gab es einen gemischten Chor und eine Orgel, und die Voraussetzung eines „Minjan” für den Gottesdienst wurde abgeschafft. Am Ende des Jahrhunderts wurde ein neuer jüdischer Friedhof errichtet, und ab 1914 wurde dort auch die Asche von Juden begraben, deren Leichen verbrannt worden waren (entgegen dem orthodoxen jüdischen Gesetz). Etwa 10 Prozent der Bielefelder Juden traten um die Mitte des 19. Jahrhunderts zum Christentum über, und 1908 war die Hälfte der Hochzeiten der Juden interreligiös. Es bestand weiterhin eine orthodoxe Minderheit. 1905 wurde eine weitere Synagoge mit 750 Plätzen errichtet.
1925, zur Zeit der Weimarer Republik, erreichte die jüdische Gemeinde in Bielefeld mit 883 Seelen ihren Höchststand. Juden dominierten weiterhin die Textilindustrie und taten sich in den juristischen Berufen hervor; 21 Prozent der Rechtsanwälte in der Stadt waren Juden. Über die Hälfte der Juden war im Handel tätig. Ebenfalls vertreten unter ihnen waren Handwerker, Arbeiter und Ärzte.
Die jüdische Gemeinde Bielefeld war ein regionales Zentrum der Wohltätigkeit, jüdischer Organisationen und Jugendgruppen in Nordwestdeutschland. Die liberale Mehrheit hatte wenig Verbindung zu der osteuropäischen orthodoxen Gemeinde.
Die ersten Zionisten Bielefelds gingen aus der liberalen Gemeinde hervor. Sie nahmen ihre Tätigkeit nach dem Ersten Weltkrieg auf. Die Organisation „HeChalutz” war in Bielefeld aktiv, ebenso neigten die jüdischen Pfadfinder dem Zionismus zu. Auch „ORT” war in Bielefeld tätig. Zu dieser Zeit war eine Zunahme des Antisemitismus zu verzeichnen, und bisweilen kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Juden. 1925 wurden in Bielefeld Büros der Nazipartei geöffnet. 1933 war die NSDAP die größte Partei der Stadt. Mehr als ein Drittel der Wähler hatte für sie gestimmt.