Jeanne Daman-Scaglione
(Belgien)
1942 arbeitete Jeanne Daman als junge Lehrerin in Brüssel. Zu dieser Zeit war die jüdische Gemeinde dabei, ihre eigenen Kindergärten einzurichten, denn die jüdischen Kinder durften nicht länger gemeinsam mit nicht-jüdischen Kindern zur Schule gehen. Fela Perelman, eine führende Figur bei den organisierten Rettungsbemühungen für jüdische Kinder, brauchte ausgebildete, qualifizierte Kräfte für die vielen Kinder, die außerhalb des Schulsystems verblieben waren. Auf Empfehlung der Erziehungsbehörde in Brüssel bat sie Daman, sich dem Lehrkörper ihres Kindergartens „Nos Petits" mit etwa 325 Kindern anzuschließen. Bald begann sie, sich aktiv an Rettungsaktionen für jüdische Kinder zu beteiligen.
Jeanne Daman war Katholikin und hatte zuvor keine Juden gekannt, doch sie war mit einem ausgeprägten Sinn für Recht und Unrecht aufgewachsen. Sie entschloss sich, Perelmans Einladung nachzukommen und jüdischen Kindern zu helfen, da sie sah, wie die jüdische Gemeinschaft durch die Diskriminierung zunehmend isoliert wurde. Sie wurde Leiterin des Kindergartens "Nos Petits" auf der Rue de la Roue, wo sie die brutale Massenfestnahme von Juden beobachtete. Dieses Erlebnis sollte ihr Leben verändern. An jedem Schultag fehlten Kinder, und es stellte sich heraus, dass die Familien ausgehoben geworden waren. Andere Kinder wurden plötzlich zu Waisen: ihre Eltern waren abgeholt worden, während sie in der Schule waren. Mütter, die das Schlimmste vorhersahen, baten die Schule um Unterstützung.
Bald wurde klar, dass die Schule geschlossen werden musste, um die Kinder zu retten, und dass es notwendig war, die Kinder bei belgischen Privatfamilien unterzubringen. Es wurde Kontakt zur ONE (Oeuvre Nationale de l'Enfance) aufgenommen, in erster Linie in der Person Nelly Lameeres*, Frau Volons (einer Assistentin Yvonne Nèvejeans*, der Direktorin einer Reihe von Kinderheimen) und Jean Henrinckxs, des Bürgermeisters von Uccle, mit dem man in täglichem Kontakt stand. Dank dieser Zusammenarbeit war Daman in der Lage, die Kinder in Sicherheit zu bringen.
Nach der behördlichen Schließung der Schule wurde Daman von Perelman gebeten, ihre Rettungsbemühungen fortzusetzen, die nun heimlich vonstatten gehen mussten. Immer mehr Kinder wurden plötzlich zu Waisen, und jemand musste sie in ihre Verstecke bringen. Oft begleitete Daman sie und blieb in ständigem Kontakt mit ihnen. Sie reiste durch ganz Belgien, um z.B. Pater Rausch* in Felenne im Süden der Provinz Namur an der französischen Grenze aufzusuchen, der fünfzig dieser Kinder aufgenommen hatte. Der Grad der Geheimhaltung der Aktivitäten nahm zusehends zu. Manchmal musste sie Kinder an Straßenbahnstationen abholen. Nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene brauchten Verstecke, da die Festnahmen häufiger wurden.
Perelman und Daman kümmerten sich auch um Erwachsene, die Hilfe brauchten, und sie entwickelten ein Netzwerk jüdischer Frauen, die bei belgischen Familien als Haushaltshilfen arbeiteten. Daman brachte sie zu ihren zukünftigen Arbeitgebern und stattete sie mit gefälschten Personalausweisen und mit Essenskarten aus, die sie gewöhnlich von Perelmans Ehemann Chaim bekam. Die Zuweisung funktionierte nicht immer und musste oft geändert werden. Auch versuchte Daman, diesen Frauen Informationen über ihre Kinder zu geben, die anderswo versteckt waren.
Perelman, die unter dem Decknamen „Dumont“ operierte, stellte Jeanne Daman Albert Domb vom jüdischen Untergrund vor, der sie bat, bei der Liquidierung von Kollaborateuren zu helfen. Jeanne wurde gebeten, die Wahl des Zeitpunkts zu koordinieren und den Aufenthalt dieser Menschen aufzuspüren. Jeanne nahm eine neue Identität an und wurde Sozialarbeiterin bei der Secours d'Hiver (Winterhilfe, eine Wohlfahrtsorganisation, die von den Deutschen eingerichtet worden war). Ihre neuen Verbindungen und ihre Uniform öffneten ihr neue Türen.
Gegen Ende des Krieges begann sie sich auch an der illegalen Arbeit des MRB (Mouvement Royal Belge) zu beteiligen, das vor der Befreiung Aktionen durchführte und für das sie auf dem Fahrrad Waffen transportierte. Als Spionageagentin war sie aktiv im Brüsseler Corps der Armée Belge des Partisans (Belgische Partisanenarmee).
Nach dem Krieg half sie bei der Rückführung junger jüdischer Waisen zu ihren Familien und bei der besonderen Pflege der Kinder, die aus den Lagern zurückgekehrt waren. 1946 ging sie in die Vereinigten Staaten und half, durch den UJA (United Jewish Appeal) Geld für Israel zu sammeln. Am 12. Oktober 1980 erhielt sie unter der Schirmherrschaft des belgischen Königs die Médaille Entr'aide des Belgischen Jüdischen Komitees 1940-45.
Am 2. Februar 1971 wurde Jeanne Daman-Scaglione von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern anerkannt.