Karolina Juszczykowska
(Polen)
Karolina Juszczykowska wurde 1898 in Budkow in Polen geboren. Die Geschichte ihres Lebens und der Bericht darüber, wie sie Juden versteckt hatte, fand sich in Polizei- und Gerichtsaufzeichnungen – niemand hatte überlebt, um Zeugnis ablegen zu können.
Am 23. Juli 1944 durchsuchte die Polizei Karolina Juszczykowskas Wohnung und entdeckte zwei Juden, die sich in ihrem Keller versteckt hielten. Die zwei Flüchtlinge wurden auf der Stelle erschossen, Karolina wurde festgenommen und einem Verhör unterzogen. Sie erzählte der Polizei: „Ich habe nie eine Schule besucht. Bis ich dreizehn Jahre alt war, habe ich bei meinen Eltern gewohnt. Dann ging ich nach Deutschland, wo ich fünf Jahre lang bei einem Bauern in Mecklenburg im Dienst war ... dann kehrte ich nach Budkow zurück und lebte bis 1934 bei meiner Schwester. Ich half meiner Schwester bei der Hofarbeit. 1934 zog ich nach Tomaszow. Bis zum Kriegsausbruch verdiente ich im Straßenbau meinen Unterhalt. Danach hatte ich verschiedene Stellen als Wäscherin, Dienstmädchen u.ä.. Bis zu meiner Festnahme arbeitete ich in der Küche der OT [Organisation Todt, die in Deutschland und in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten kriegswichtige Bauprojekte durchführte] in Tomaszów. Ich bin alleinstehend und habe eine uneheliche Tochter. Sie ist 20 Jahre alt. Ich habe kein Vermögen und rechne nicht damit, in Zukunft eines zu haben. Ich gehöre keiner politischen Partei oder irgendeiner anderen Organisation an. Politik interessiert mich nicht.“
Außerdem erzählte sie den Vernehmungsbeamten, sie habe die beiden jungen Männer sechs Wochen vor ihrer Festnahme auf der Straße kennengelernt. Sie hätten sie gebeten, ihnen Unterschlupf zu gewähren und ihr versprochen, ihr 300 Złoty pro Woche zu bezahlen. Da sie dringend Geld benötigt habe, habe sie sich entschlossen, das Angebot anzunehmen, obwohl sie sich bewusst gewesen sei, dass es sich um Juden handelte und dass sie ihr Leben aufs Spiel setzte, wenn sie die Männer versteckte. Sie habe sie zu sich nach Hause genommen, und sie hätten auf dem Fußboden geschlafen. Wenn sie zur Arbeit gegangen sei, habe sie sie eingeschlossen. Auch erwähnte sie, eine Nachbarin habe von der Anwesenheit der Männer gewusst. Da sie weder lesen noch schreiben konnte, unterschrieb sie ihre Aussage mit drei Kreuzen.
Angesichts der schweren Anklage, Juden versteckt zu haben, entschloss sich Karolina wahrscheinlich, zu behaupten, ihr Motiv sei finanzieller Art gewesen – nicht der Wunsch, die Verfolgung der Juden durch Nazideutschland zu unterminieren. Tatsächlich war zu dieser Zeit, angesichts der Kriegswirtschaft und der Tatsache, dass die Gehälter von den Deutschen eingefroren worden waren, die Summe von 300 Złoty pro Woche höchst bescheiden, und die beiden Juden, die bereits seit einiger Zeit auf der Flucht waren, hatten wahrscheinlich ohnehin nicht viel Geld übrig.
Am 10. August 1943 wurde Karolina Juszczykowska ins Gefängnis von Piotrkow verlegt, um ihre Verhandlung abzuwarten. Zwei Wochen später, an 23. August 1944, verurteilte sie das Sondergericht [„Sondergerichte“ waren Gerichte, die parallel zum deutschen Gerichtswesen eingerichtet worden waren, um politische Gegner im Schnellverfahren zu verurteilen] von Piotrkow zum Tode. Obwohl sie Frau Juszczykowska zum Tode verurteilt hatten, fügten die drei Richter, von Seydewitz, Brand und Dr. Woyte, ihrem Urteil ein besonderes Gnadengesuch bei: „Wir empfehlen, die zum Tode verurteilte Angeklagte zu begnadigen, da ihr Handeln nicht von dem Wunsch motiviert war, die Deportation der Juden zu verhindern oder einen Profit zu machen. Die Angeklagte ist in einer schwierigen finanziellen Lage und erlag der Versuchung, ihr Leben zu verbessern. 300 Złoty pro Woche für das Verstecken und die Versorgung zweier Juden ist unter den gegenwärtigen Umständen keine hohe Bezahlung. Es erscheint daher dem Gericht, als sei das Vergehen der Angeklagten nicht ausreichend schwerwiegend, um ihre Hinrichtung zu rechtfertigen, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass diese Hinrichtung andere nicht abschrecken wird.“ Die letzte Aussage beruhte wahrscheinlich darauf, dass alle Juden der Umgebung bereits ermordet worden waren und die Richter keinen Grund zu der Annahme hatten, es seien noch weitere Juden versteckt.
Das Gesuch um Strafmilderung wurde abgelehnt, und Karolina Juszczykowska wurde ins Gefängnis Preungesheim (Frankfurt/Main) überführt, wo sie am 9. Januar 1945 hingerichtet wurde. Am folgenden Tag setzte der Staatsanwalt in Frankfurt seinen Kollegen in Piotrkow schriftlich davon in Kenntnis, dass das Urteil vollstreckt worden sei.
Die Namen der beiden Juden, die in Karolina Juszczykowskas Keller getötet wurden, bleiben unbekannt. Bei ihrer Vernehmung konnte Karolina nur die Vornamen angeben, Janek und Paul, und dass die beiden aus Tomaszów stammten. Die meisten verbliebenen Juden der Stadt waren im Januar 1943 nach Treblinka deportiert worden. Nur wenige Hundert Juden waren zurückgeblieben. Im Mai 1943 waren diese letzten Juden zur Zwangsarbeit in der Gegend von Radom verschleppt worden. Janek und Paul war es wahrscheinlich gelungen, zu entkommen, und sie hatten sich in der Gegend versteckt, bis sie zu Karolina Juszczykowska kamen.
Am 17. Mai 2011 wurde Karolina Juszczykowska von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern anerkannt.