Im Holocaust mussten Kinder sehr schnell erwachsen werden. Sehr junge Mädchen funktionierten wie erwachsene Frauen. In vielen Fällen konnten die Eltern nicht mehr für den Unterhalt der Familien aufkommen. Die Mädchen entwickelten Überlebensmechanismen und nahmen ihr Schicksal in die eigenen Hände. Dennoch sehnten sich Mädchen nach einer Freundin, die ihnen Rückhalt bieten könnte und der sie wiederum etwas von sich zurückgeben konnten. Gemeinsam konnten sie Kraft schöpfen aus Erinnerungen an zuhause, an Freunde und aus der Erkenntnis ihrer eigenen inneren Stärke, derer sie sich noch nicht bewusst gewesen waren.
Auch erwachsene Frauen waren auf Freundinnen angewiesen – in den Ghettos, wenn sie ohne ihre Männer überlebt hatten, in Frauenlagern, oder beim Verlust ihrer Familie, die bis dahin die Quelle ihrer Lebenskraft war.
Im Holocaust war Gruppenzusammenhalt ein Phänomen, das in einzigartiger Weise bei Frauen zu finden war. Die Historikerin Judith Baumel-Schwarz weist darauf hin, dass es durchaus von Vorteil war, „unsichtbar“ zu bleiben. Ein Netzwerk von Freunden zog jedoch die Aufmerksamkeit auf sich. Zusammenhalt zwischen Freunden bot aber den Vorteil gegenseitiger Unterstützung im Kampf ums Überleben. Kleine Gruppen von zwei oder drei Freundinnen, Verwandten oder älterer Frauen formten zusammen größere Gruppierungen, die sich jüngerer Mädchen annahmen.
Judith Tydor Baumel, Double Jeopardy: Gender and the Holocaust, London: Vallentine Mitchell, 1998.