Lichtflecke - Frau sein im Holocaust

Mutterschaft

Genia Judzki

„Mama, wir werden zusammen sterben”
flüsterte der 7-jährige Michál seiner Mutter Genia zu und umarmte sie.

Genia, ihr Mann Ber (Bronek) und ihr Sohn Michál überlebten die Selektionen und Verfolgungen im Ghetto Sosnowitz. Im August 1943 wurde das Ghetto aufgelöst und Genias Mann ermordet. Es gelang Genia und ihrem Sohn zur „arischen” Seite zu fliehen. Dort konnte Genia beiden Ausweise organisieren, da sie fließend deutsch und französisch sprach (sie war Hochschulabsolventin der Sorbonne). Ihren Sohn gab sie einer polnischen Frau namens Bronia zur Pflege. Sie schrieb ihr einen Dankesbrief und bat sie, auf ihren Sohn gut aufzupassen. Genia fand Arbeit als Haushaltshilfe eines deutschen Arztes. Der Arzt, der aus beruflichen Gründen nach Wien versetzt wurde, bot Genia an, sie und ihren Sohn mitzunehmen. Der Weg war gefährlich, aber Mutter und Sohn erreichten Wien unerkannt. Einige Zeit später jedoch wurde Genias Identität entdeckt. Sie kam ins Gefängnis, ihr Sohn in ein Waisenhaus. Die Gestapo kündigte Genia ihre Ausweisung an und Genia entschied, ihren Sohn mitzunehmen, da sie fürchtete, das Waisenhaus könnte zerstört werden. Beide wurden 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet; die Kinder des Waisenhauses überlebten.

Brief (siehe rechts)Brief (siehe rechts)

27.September 1943
Liebes Fräulein Bronja,

es fällt mir so schwer, Ihnen zu schreiben. In letzter Zeit geschehen schreckliche Dinge. Das Leben ist so grausam zu mir.
Fräulein Bronja, ich schreibe Ihnen und flehe Sie an, bitte passen Sie gut auf meinen kleinen Sohn auf. Seien Sie wie eine Mutter zu ihm.
Liebe Bronja, öffnen Sie ihm Ihr Herz und ich werde Ihnen bis an mein Lebensende dankbar sein. Er ist ein guter Junge und klug. Ich bin sicher, dass Sie ihn wenigstens ein bisschen lieben können.
Michael soll so viel wie möglich essen. Wer weiß, was noch auf ihn zukommen mag? Er muss stark und standhaft sein. 
Ich bitte Sie,darauf zu achten, dass er immer warm genug angezogen ist und auch Socken trägt.

Ich kann nicht mehr schreiben, meine Tränen sind versiegt.

Möge Gott Sie beide schützen.

Küsse


Meine geliebter Michi,

Spielst Du mit anderen Kindern? Bist Du artig zu Fräulein Bronja? Schreib mir jeden Tag ein paar Zeilen, so lernst Du, mir bald lange Briefe schreiben zu können.

Pass gut auf Dich auf, schlaf mit dem Schlafanzug, den ich Dir geschickt habe, denn er ist warm.

Küsse,
Mama